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DER FALLWas tun bei Diabetes und Adipositas?

Wie behandelt der Hausarzt Adipositas am besten: Mit der richtigen Ernährung, über die Korrektur von metabolischen Richtwerten oder über verordnete Bewegungstherapie?

Deutschland schreibt sich mit D wie Diabetes – über 6 Millionen Menschen mit der Erkrankung leben hier. Gerade Patienten mit Typ-2-Diabetes mellitus suchen häufig zuerst in der Hausarztpraxis Rat. Wir fragten zwei Kollegen zu ihren Ideen im Fall “Herr V.”, der neben dem Diabetes mellitus auch eine Adipositas Grad II entwickelt hat.

Das sagt der Hausarzt

“Zuerst stelle ich mir die Frage: Ist der Zucker so gefährlich hoch, dass man ihn sofort senken muss, oder geht es um die Zukunft des Patienten – darum, sein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko zu senken? Bei einem BZ von 189 ohne Symptome geht es um das kardiovaskuläre Risiko. Das sinkt mit Lifestyle-Interventionen und mit Metformin.

Ich beginne 3 bis 6 Monate mit Lifestyle-Interventionen, also mit sport- lichen Aktivitäten und Er- nährung. Beim Sport frage ich immer, was die Patienten gerne machen. Herr V. hat mit Tennisspielen ja schon eine gute Idee. Bei Patienten mit einem etwas niedrigerem BMI sehe ich oft, dass es viel bringt, wenn sie sich z. B. nur ein Fahrrad kaufen oder wieder Fußball spielen. Einige verlieren so 10 kg. Auch der Verzicht auf Alkohol bringt manchen Patienten 8 kg weniger, weil ihre Zuckeraufnahme so deutlich sinkt. Allerdings muss man bei einer Ernährungsberatung meiner Erfahrung nach sehr aufpassen, dass man die Patienten nicht verletzt und schnell Türen zuschlägt.

Manche versuchen schon seit 30 Jahren vergeblich abzuehmen. Ich wäre heilfroh, wenn der Patient nicht mehr raucht und würde ihn bestärken, nicht mehr rückfällig zu werden. Außerdem fülle ich einen Risikoscore mit ihm aus, zum Beispiel arriba oder PROCAM. Je nachdem, wie hoch sein Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis in den nächsten 10 Jahren ist, setze ich vielleicht noch ein Statin an, evtl. ASS und optimiere die Blutdruck-Einstellung. Wenn der HbA1c nach 3 bis 6 Monaten nicht auf 7,5 Prozent gesunken ist, beginne ich mit Metformin. Mit Bewegung, Ernährung und Metformin kommt Herr V. wahrscheinlich in den zuvor vereinbarten individuellen Zielbereich, vom Insulin ist er noch weit entfernt. Ein Gespräch muss klären, ob der Patient zusätzliche Medikamente wie z.B. Empagliflozin oder Liraglutid haben möchte. Diese Medikamente senken zwar den Blutzucker etwas stärker und helfen vielleicht beim Abnehmen, haben aber für diese spezielle Situation (noch?) keinen Wirknachweis. Gliptine gebe ich Herrn V. nicht, das sind teure Bonbons, die sein kardiovaskuläres Risiko nicht nachweislich senken.”

Dr. med. Til Uebel Facharzt für Allgemeinmedizin, Hausarzt und Diabetologe in Ittlingen und Neckargemünd-Kleingemünd


Das sagt der Facharzt

“In den Kliniken herrscht immer noch zu wenig Sachverstand – da werden einfach BZ-Werte gesenkt, bis sie nicht zu hoch und nicht zu tief sind, ohne den Sinn zu hinterfragen. Mit Insulin beginnt dann die Kaskade mit Gewichtszunahme und mehr Insulin-Bedarf. Dieser Patient benötigt zunächst eine gute Ernährungsmedizinische Beratung mit dem Ziel einer Remission. Wenn der Patient es schafft, sein Gewicht deutlich zu reduzieren, hat er dafür eine gute Chance. Ab einem Gewichtsverlust von 15 kg haben wir Remissionsraten von bis zu 86 Prozent. Das sollte der Patient auch wissen. Ein Klassiker, bei dem wir oft ansetzen, ist das Snacking. Das ständige Essen führt dazu, dass fortwährend Entzündungsmediatoren ausgeschüttet werden und die Inflammation erhalten bleibt – das begünstigt wiederum die Insulin-Resistenz. Fünf Mahlzeiten am Tag zu essen, was immer noch gemacht wird, ist nicht gut. Auch die Freigabe der Kohlenhydrate und iss was du willst – das war gestern. Je mehr Kohlenhydrate, desto schneller dreht sich die Gewichtsspirale. Wir plädieren für Gemüse, möglichst unverarbeitetes Essen und pflanzliches Eiweiß. Wir verhandeln immer individuell mit unseren Patienten und fragen, wozu sie bereit sind. Wenn der Patient mit Vorschlägen nicht einverstanden ist, wird es nicht gemacht. Für die Gewichts- reduktion nehmen wir uns schon mal ein halbes Jahr, bis zu einem Jahr Zeit. Danach arbeiten wir mit Metformin und dann auch noch mit SGLT-2-Inhibitoren, da verlieren die Patienten oft noch einige kg Gewicht. Oder wir nehmen DDP-4-Hemmer, die sind wenigstens gewichtsneutral. Wir setzen auch Inkretinmimetika ein, etwa Dulaglutid, mit denen Patienten ihr Gewicht dann vielleicht noch einmal um sechs Kilo in einem Jahr reduzieren können. Viele Patienten brauchen dann kein Insulin mehr und kommen aus der Gewichtszunahme-Kaskade heraus. In den DMPs steht die Gewichtsreduktion zwar drin, aber es wird viel zu wenig beschrieben, wie wir sie erreichen.”

Dr. med. Matthias Riedl Facharzt für Innere Medizin, Diabetologe, Ernährungsmediziner und ärztlicher Direktor des MVZ medicum Hamburg


Das sagt die Evidenzbasierte Medizin

Die S3-Leitlinie „Hausärztliche Risikoberatung zur kardiovaskulären Prävention“ empfiehlt, bei Patienten mit neu aufgetretenem Typ-2-Diabetes mellitus eine Risikokalkulation ihres kardiovaskulären Gesamtrisikos mit einem evaluierten Risiko-Algorithmus, wie arriba, durchzuführen. Bei einem absoluten Risiko von über 20 Prozent für ein kardiovaskuläres Ereignis in den nächsten 10 Jahren soll den Patienten eine Statin- und eine ASS-Therapie angeboten werden. In der Nationalen Versorgungsleitlinie „Therapie des Typ-2-Diabetes“ von 2014, deren Gültigkeit allerdings abgelaufen ist, steht als Basistherapie des Typ-2-Diabetes: Schulung, Ernährungstherapie, Steigerung der körperlichen Aktivität und Raucherentwöhnung. Bei einem BMI von 27-35 kg/m² empfiehlt die Leitlinie etwa 5 Prozent Gewichtsabnahme, bei einem BMI >35 kg/m² mehr als 10 Prozent Gewichtsabnahme. Weiterhin sagt sie: „Die Entscheidung über die Wahl der Kostform sollte individuell getroffen werden, da keine ausreichenden Daten für eine Empfehlung vorliegen.“ Die Leitlinie beinhaltet aber eine Checkliste zur Ernährungsberatung. Bei der Pharmakotherapie ist Metformin als Mittel der 1. Wahl angegeben. Zur weiterführenden medikamentösen Behandlung konnten sich die Experten der unterschiedlichen Fachgesellschaften nicht auf eine gemeinsame Empfehlung einigen, deshalb führt die Leitlinie hier zwei voneinander abweichende Therapieschemata auf.


Weitere Informationen…

unter https://arriba-hausarzt.de Hier können Sie u.a. das kardiovaskuläre Gesamtrisiko ermitteln.

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