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Serie Gender-MedizinDiabetes: Gynoid oder android?

Männer erkranken öfter an Diabetes, das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen ist bei betroffenen Frauen aber deutlich höher: Auch bei der Diagnostik und Therapie von Diabeteserkrankungen gilt es, Geschlechterunterschiede zu berücksichtigen.

Die Fettverteilung spielt eine wichtige Rolle bei der Diabetesentstehung.

Um Diabeteserkrankungen frühzeitig diagnostizieren und bei der Behandlung die bestmöglichen Effekte erzielen zu können, müssen ÄrztInnen wesentliche geschlechtsspezifische Aspekte berücksichtigen.

Denn in der Diagnostik und Therapie sowie bei den Komplikationen von Diabetes mellitus gibt es maßgebliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Das gilt sowohl für Diabetes mellitus Typ 1 als auch für Typ 2. Dieser Beitrag legt den Fokus auf Typ 2.

Geschlechtsspezifische Risikofaktoren

Männer haben ein höheres Risiko als Frauen, an Diabetes mellitus zu erkranken. So waren im Jahr 2019 etwa 9,6 Prozent der männlichen und 9,0 Prozent der weiblichen Weltbevölkerung von Diabetes mellitus betroffen [1]. Im Vergleich zu Frauen bekommen Männer die Diagnose häufiger in jüngeren Jahren und auch bei niedrigeren Body-Mass-Index (BMI)-Werten gestellt.

Die Körperzusammensetzung spielt eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Diabeteserkrankungen. Man unterscheidet hier zwischen einer “gynoiden” und einer typisch männlichen Form. Die “gynoide” Körperzusammensetzung, die vor allem bei prämenopausalen Frauen vorkommt, zeichnet sich durch eine gluteo-femorale Fettverteilung aus, wohingegen Männer eher durch einen höheren viszeralen Fettanteil und eine stammbetonte Fettverteilung charakterisiert sind.

Darüber hinaus liegt bei Männern im Vergleich zu gleichaltrigen Frauen mit vergleichbarem BMI häufiger ein höherer Leberfettanteil vor. Die männliche Fettverteilung ist mit einem größeren kardiovaskulären Risiko verbunden. Bei Frauen hat vor allem der Eintritt in die Menopause negative Auswirkungen, denn hier nähert sich die typisch weibliche Körperzusammensetzung vermehrt der Körperzusammensetzung des Mannes an.

Frauen sind im Vergleich zu Männern durch einen höheren Anteil des braunen Fettgewebes charakterisiert, das sich positiv auf den Glukosestoffwechsel auswirkt.

Natürlich hat auch das metabolische Syndrom einen wesentlichen Einfluss auf die Diabetesentstehung. Im geschlechtsspezifischen Vergleich sind die Zahlen des metabolischen Syndroms bei Frauen und Männern quantitativ ähnlich. Man geht jedoch davon aus, dass Frauen vor allem in jüngeren Jahren besonders stark betroffen sind.

Zudem spielen vom Fettgewebe ausgeschüttete Marker eine wichtige Rolle. Dazu gehören etwa die sogenannten Adipokine wie Adiponectin, das sich positiv auf den Glukosestoffwechsel auswirkt und bei Frauen stärker ausgeschüttet wird als bei Männern. Erhöhte Konzentrationen von männlichen Geschlechtshormonen wie Testosteron haben bei Frauen einen Krankheitswert und beeinflussen den Glukosestoffwechsel negativ.

Auf der anderen Seite wirken sich vor allem höhere Konzentrationen von Östrogen protektiv auf den Glukosestoffwechsel bei Frauen aus. Auch bei Männern sind höhere Testosteronkonzentrationen mit einem geringeren Diabetesrisiko verbunden, wohingegen niedrige Testosteronwerte das Diabetesrisiko erhöhen und den Glukosestoffwechsel negativ beeinflussen [2].

Unterschiede in der Diagnostik

Der Goldstandard in der Diagnostik ist der orale Glukosetoleranztest (OGTT). Frauen haben häufiger eine gestörte Glukosetoleranz als Männer, somit ist der OGTT in der Diagnostik vor allem bei Frauen besonders wichtig. Bei Männern liegt hingegen öfter eine erhöhte Nüchternglukose vor als bei Frauen [3].

Das häufigere Vorkommen der gestörten Glukosetoleranz bei Frauen wird auf den höheren Fettmasseanteil, die geringere Körpergröße und eine langsamere Resorption der Glukose im Darm zurückgeführt [4]; die bei Männern öfter erhöhten Nüchternglukosewerte dürften durch die stärker ausgeprägte gestörte Insulinsekretion vor allem in der frühen Phase der Insulinausschüttung sowie die erhöhte Freisetzung von Glukose in der Leber zu erklären sein [2].

Komplikationen im Vergleich

Frauen mit Diabetes mellitus sind im Vergleich zu Männern häufiger von physischen und kognitiven Einschränkungen betroffen. Darüber hinaus haben sie auch ein höheres Risiko für Depressionen und Angststörungen. Bei beiden Geschlechtern wird Diabetes mellitus gehäuft mit sexueller Dysfunktion in Verbindung gebracht, wobei vor allem eine erektile Dysfunktion bei Männern sehr oft beobachtet wird [2].

Das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen ist bei Frauen mit Diabetes mellitus deutlich größer als bei Männern: Studien zufolge ist bei ihnen vor allem das Risiko für Myokardinfarkte und Schlaganfälle und auch die Mortalitätsrate höher [5].

Therapien wirken unterschiedlich

Studien haben gezeigt, dass das First-Line- Medikament Metformin bei Männern stärkere HbA1c-Wert-senkende Effekte hat als bei Frauen [6]. Ähnliche Effekte konnten für Sulfonylharnstoffe festgestellt werden. Umgekehrt haben Thiazolidindione bei adipösen Frauen stärkere blutzuckersenkende Effekte als bei adipösen Männern [3].

Vor allem in Bezug auf die Nebenwirkungen der neuen SGLT-2-Inhibitoren wurde über ein geringeres Vorkommen von Harnwegsinfektionen und Genitalinfektionen bei Männern berichtet. Auch eine diabetische Ketoazidose dürfte bei Männern unter einer SGLT-2-Inhibitor-Therapie seltener auftreten. Obwohl GLP-1-Agonisten bei Männern vor allem in der glykämischen Kontrolle nicht so effektiv sein sollen wie bei Frauen, leiden sie während der Therapie seltener unter typischen gastrointestinalen Symptomatiken [7].

Kommentar

von Dr. Johanna Bobardt

Fachärztin für Allgemeinmedizin Vize-Sprecherin Forum Weiterbildung

Bei der Behandlung von Diabetes und seinen Folgeerkrankungen gab es in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte. Betroffene PatientInnen erhalten durch ihre Hausarztpraxen eine qualitativ hochwertige, longitudinale Betreuung; die Inzidenz von diabetes-assoziierten Nierenerkrankungen im Endstadium oder Sehbehinderungen ist deutlich gesunken.

Doch unabhängig von diesen Erfolgen müssen wir künftig mit einer steigenden Zahl von Diabeteserkrankungen rechnen. Studiendaten von Tönnies et al prognostizieren eine Zunahme von aktuell circa acht Millionen Betroffenen in Deutschland auf mehr als zwölf Millionen Erkrankte im Jahr 2040.

Wo passt da nun die Frage der Geschlechterunterschiede hinein? In Anbetracht der steigenden Zahl Betroffener gilt es, vermeidbare lebensstilbezogene Verhaltensweisen bei Frauen und Männern zielgerichtet zu adressieren. Männer und Frauen unterscheiden sich in Studien im Selbstmanagement ihrer Diabeteserkrankung, zum Beispiel beim Wissensstand zum Thema Ernährung oder bei der Motivation für körperliche Betätigung.

Hier müssen wir HausärztInnen eine geschlechtersensible, patientenindividuelle Kommunikationsebene wählen, die auf die Bedürfnisse unserer PatientInnen abgestimmt ist. So stärken wir deren Fähigkeiten und Vertrauen in die eigene Gesundheitskompetenz und holen sie da ab, wo noch besonders viel Beratungsbedarf besteht.

Im Kontext von wesentlichen geschlechterspezifischen Unterschieden in Diagnostik und Therapie müssen wir uns zudem fragen, warum in der Gesundheitsvorsorgeuntersuchung der Krankenkassen zum Beispiel das bei Frauen sensitivere Instrument des oralen Glukosetoleranztests nicht enthalten ist oder warum die bei Frauen schlechter wirksamen Medikamente nach wie vor als Standard für Männer und Frauen gleichermaßen gelten.

Wir HausärztInnen kennen unsere PatientInnen wie niemand sonst. Wir wissen um ihre Vorgeschichte, ihre individuellen Risiken und auch um ihre Bedürfnisse. Die Integration geschlechtsspezifischer Aspekte in unsere therapeutischen Überlegungen bietet uns die Chance, durch personalisierte Gesundheitsversorgung eine bessere Einbindung und ein verbessertes Langzeit-Outcome für unsere Diabetes-PatientInnen zu erreichen.

Interessenkonflikte: Die Autoren haben keine deklariert.

Literatur:

  1. International Diabetes Federation. IDF Diabetes Atlas, 9th edition. Brussels, Belgium: International Diabetes Federation; 2019.
  2. Kautzky-Willer A, Harreiter J, Pacini G. Sex and Gender Differences in Risk, Pathophysiology and Complications of Type 2 Diabetes Mellitus. Endocr Rev. 2016;37(3):278–316.
  3. Mauvais-Jarvis F, Bairey Merz N, Barnes PJ, Brinton RD, Carrero JJ, DeMeo DL, et al. Sex and gender: modifiers of health, disease, and medicine. Lancet. 2020;396(10250):565–82.
  4. Harreiter J, Thomas A, Kautzky-Willer A. Geschlechtsspezifische Medizin. Frauen- und Männergesundheit. In: Luger A, Preusser M, Anvari-Pirsch A, editors. Innere Medizin: Symptome und klinische Probleme. 8th ed. Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG; 2018. p. 107–22.
  5. Regensteiner JG, Golden S, Huebschmann AG, Barrett-Connor E, Chang AY, Chyun D, et al. Sex Differences in the Cardiovascular Consequences of Diabetes Mellitus: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation. 2015;132(25):2424–47.
  6. Schutt M, Zimmermann A, Hood R, Hummel M, Seufert J, Siegel E, et al. Gender-specific Effects of Treatment with Lifestyle, Metformin or Sulfonylurea on Glycemic Control and Body Weight: A German Multicenter Analysis on 9 108 Patients. Exp Clin Endocrinol Diabetes. 2015;123(10):622–6.
  7. Kautzky-Willer A, Harreiter J. Sex and gender differences in therapy of type 2 diabetes. Diabetes Res Clin Pract. 2017;131:230–41.
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