Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln schlug vor nicht mal vier Jahren hohe Wellen: Drei chronisch kranken Patienten wurde die Erlaubnis erteilt, Cannabis in der für sie notwendigen Menge selbst anzubauen und zu verarbeiten. Daran geknüpft war die Bedingung, dass keine therapeutischen Alternativen bestehen und der Bezug der Droge über die Apotheke für die Betroffenen unerschwinglich ist.
Cannabis als Medizin
Die politische Diskussion, die sich zur Legalisierung von Cannabis für medizinische Zwecke samt Kostenerstattung entzündet hatte, ist zwar letztlich mit dem „Cannabis-Gesetz“ zum Abschluss gekommen. Weitestgehend ausgeklammert blieb indes die Frage der geeigneten Zubereitungsformen. Grund genug für die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) und des House of Pharma, in einem Treffen mit Professoren diverser pharmazeutischer Universitätsabteilungen, Medizinern und Vertretern von Herstellern die offenen Punkte aus pharmazeutischem Blickwinkel zu beleuchten.
Mit Inkrafttreten des Gesetzes vor gut einem Jahr ist der Zugang zu Medizinal-Cannabis für austherapierte Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen neu geregelt. Ärzte haben nun die Möglichkeit, neben Cannabis-basierten Fertigarzneimitteln und Dronabinol-Zubereitungen auch Cannabis-Extrakte oder getrocknete Blüten auf Betäubungsmittelrezept zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zu verordnen. Dass Cannabinoide über ein erhebliches therapeutisches Potenzial verfügen, stand für alle Teilnehmer der Expertenrunde außer Frage. Eine Abgabe von Blüten an Patienten sei hingegen aus pharmazeutischer Sicht als kritisch zu werten. Grund: Der Gehalt an den therapeutisch bedeutsamen Inhaltsstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) variiert je nach Sorte und wird vom Hersteller spezifiziert. Das BfArM geht wenn überhaupt von „geringen Auswirkungen“ aus.
Blüten und Extrakte
Ein Blick in die Arzneibuch-Monografie „Cannabis-Blüten“ zeigt, dass mit ihr lediglich eine Annäherung an eine Standardisierung erreichbar ist, da sie für alle Varietäten gilt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich nicht nur die Cannabis-Sorten unterscheiden, sondern es auch innerhalb einer Sorte, je nach Ernte, zu Gehaltsschwankungen kommen kann. Bei der Verordnung muss der Arzt bestimmen, welche Sorte/Sortenmischung der Patient erhalten soll und ob die Blüten als Tee (seltener) oder mittels Dampfvernebler zu applizieren sind (S. 36). Da die Droge dafür erhitzt werden muss, sei es bedenklich, sie in der Apotheke abzugeben und darauf zu vertrauen, dass der Patient sie schon richtig dosieren und anwenden würde.
Im Sinne einer qualitätsgesicherten Therapie stellen Cannabis-Blüten demzufolge eher einen Rückschritt dar, so der Konsens in der Expertenrunde. Auch bei Einsatz von Cannabis-Extrakten solle trotz ihrer zweifellos hocheffizienten Wirkkomponenten die Sinnhaftigkeit hinterfragt werden, da die wirksamen Inhaltsstoffe (noch) nicht identifiziert seien. Nach pharmazeutischer Auffassung haben die Phytopharmaka demzufolge an Bedeutung als Therapeutikum verloren – zugunsten der isolierten Reinsubstanzen. Laut AkdÄ belegen Studien keine Vorteile für eine Darreichungsform (S. 36).
Fertigarzneimittel
Es gibt zwei Cannabis-Fertigarzneimittel, die zudem nur für spezielle Indikationen zugelassen sind, sodass es sich bei Verordnung in einem anderen Anwendungsgebiet um Off-Label-Use handelt. Hier sei die pharmazeutische Industrie gefordert, die Entwicklung und Zulassung zeitgemäßer Arzneiformen – Fertigarzneimittel mit Einzelstoffen oder kombinierten Reinsubstanzen – voranzutreiben, so die Experten. Auf dem Markt sind:
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Canemes®, das das vollsynthetische Cannabinoid Nabinol enthält und peroral zur Behandlung erwachsener Krebspatienten mit Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie indiziert ist.
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Sativex®, ein Oromukosalspray mit den beiden therapeutisch wirksamen Cannabinoiden THC und CBD, das bei mittelschwerer bis schwerer Spastik aufgrund von Multipler Sklerose angewendet wird.
Studienlage eher dünn
Trotz des langjährigen Einsatzes von Cannabis und seinen Zubereitungen ist die Datenlage für viele Indikationen noch nicht ausreichend und die Qualität der klinischen Studien sehr heterogen (S. 36). Als gesichert, weil am besten untersucht, gilt die Anwendung gegen Spasmen bei Multipler Sklerose. Zudem bestehen gute Evidenzen für eine Wirksamkeit bei chronischem und neuropathischem Schmerz. Gut möglich, dass sich die hohen Erwartungen an Cannabis nicht gänzlich erfüllen lassen. Dennoch könnte das Gesetz trotz noch bestehender Anlaufschwierigkeiten zu mehr Lebensqualität für die Patienten beitragen.
Indikationen für eine Cannabis-Gabe
Seit dem 10. März 2017 können Ärzte schwerkranken Patienten Medizinal-Cannabis auf Betäubungsmittelrezept zu Lasten der Krankenkassen verordnen. Voraussetzung ist, dass keine therapeutischen Alternativen existieren und die Aussicht auf eine positive Beeinflussung des Krankheitsverlaufs besteht.
Als Anwendungsgebiete für Cannabis gelten derzeit:
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Mittelschwere und schwere Spastiken bei Multipler Sklerose
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Chronischer und neuropathischer Schmerz
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Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie (erwachsene Krebspatienten)
Das BfArM gibt, wie bei anderen Arzneimitteln auch, keine Therapieempfehlungen zum Einsatz von medizinischem Cannabis, sondern verweist auf entsprechende Übersichten, z.B. im JAMA (Whiting PF et al., Cannabinoids for Medical Use: A Systematic Review and Meta-Analysis, JAMA 2015; 313(24): 2456-73), bzw. die Fachinformationen der verfügbaren Fertigarzneimittel (mehr: S. 35-36).
Quelle: „Pro und Contra: Cannabis als Arzneimittel – Qualität und therapeutische Perspektive“, House of Pharma und Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft, Frankfurt, 8.5.18