Hausarzt MedizinBiosimilars: So gut wie Originalpräparate?

Biosimilars sind lange für unmöglich herstellbar gehaltene Kopien bewährter rekombinanter Arzneimittel. Ungerecht fertigt ist aber das Gefühl, aus Kostengründen „Biologicals 2. Klasse“ verordnen zu müssen. Daher ist es wichtig, das Konzept der Biosimilar-Herstellung und -zulassung zu verstehen.

Seit 2006 gibt es eine neue Wirkstoffgruppe, deren Realisierungschance man jahrelang kategorisch verneint hatte [1]. Auf den ersten Blick eher unspektakulär, handelt es sich um Kopien gentechnisch hergestellter Arzneimittel, die seit 2001 zunehmend ihren Patentschutz verlieren: die Biosimilars.

Diese Beschreibung weckt sofort Assoziationen zur Arzneimittelgruppe der Generika, die sich seit Jahrzehnten im internationalen Arzneimittelmarkt etabliert hat und die anhaltend zur Kostensenkung im Arzneimittelsektor einen signifikanten Beitrag leistet. Jedoch lässt schon der andere Name „Biosimilars“ vermuten, dass diese Analogie dem Charakter der Biosimilars in keiner Weise gerecht wird. Biosimilars unterscheiden sich nämlich so signifikant von Generika, dass zunächst einmal ein Regelwerk etabliert werden musste, das eine Zulassung dieser besonderen Wirkstoffe ermöglichte.

Besonderheiten einer besonderen Stoffklasse

Bei Biologika handelt es sich ausnahmslos um Proteine. Diese Moleküle sind chemisch deutlich labiler als praktisch alle chemisch-synthetischen Substanzen. Zudem „funktionieren“ sie nur in einer ganz bestimmten dreidimensionalen Anordnung, der Tertiärstuktur, die im Wesentlichen von schwachen Wechselwirkungen zusammengehalten wird.

Das hat zur Folge, dass immer ein mehr oder weniger kleiner Teil der Wirkstoffmoleküle in partiell degradierter Form vorliegt, sodass man bei Proteinpräparaten nie von einer homogenen Molekülpopulation ausgehen kann [2]. Um trotzdem die Herstellung sicherer Wirkstoffe garantieren zu können, hat man für die Prozess- und Molekülcharakteristika eine Vielzahl an „Spezifikationskorridoren“ eingeführt, die durch Ober- und Untergrenzen definiert sind und die während des Herstellungsprozesses kontrolliert und akribisch eingehalten werden müssen. Ziel ist es, die unvermeidbare strukturelle Heterogenität der Wirkstoffe innerhalb genau definierter Grenzen konstant zu halten und dies durch eine hochentwickelte Analytik zu dokumentieren.

Revolution in der Proteinanalytik

Strukturcharakteristika von Proteinen exakt und sensitiv zu bestimmen, ist erst seit einigen Jahren möglich. Denn die Proteinanalytik hat sich, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, geradezu sensationell weiterentwickelt. Vor allem die Fortschritte im Bereich der Massenspektrometrie ermöglichen heute eine extrem genaue und detalierte Analyse der hochkomplexen Proteine.

Bei Anwendung dieser Hochleistungsanalytik auf einen Originalwirkstoff (Referenzsubstanz) und ein Biosimilar lässt sich heute im Detail darstellen, welche Qualitätsattribute entscheidend sind, damit Proteine als identisch oder lediglich als ähnlich einzustufen sind. Zu diesen Merkmalen gehören beispielsweise die Integrität der Proteinenden, der Oxidationsgrad eines Methionins, der O- und N-Glykosylierungsgrad an einer bestimmten Proteinsequenzposition bis hin zur Sequenz der Zuckerstrukturen in Glykoproteinen oder der Anteil an Proteinaggregaten.

So können für ein Biosimilar je nach Komplexität des Moleküls 50 bis 100 Qualitätsattribute allein durch die Massenspektrometrie bestimmt und mit dem Originalwirkstoff (der Referenzsubstanz) quantitativ verglichen werden.

Die mitentscheidende Frage, welche Moleküldetails (noch) als ähnlich zu werten und welche ober- oder unterhalb eines akzeptablen Spezifikationskorridors liegen, wird unter anderem durch die systematische Analyse unterschiedlicher Chargen der zugelassenen Originalprodukte beantwortet [3]. Aus prinzipiellen Überlegungen müssen sich hier Unterschiede ergeben, und diese können erstaunlich deutlich ausfallen. Im klinischen Alltag fallen diese Molekülvariationen in der Regel nicht auf, auch wenn sie analytisch klar erkennbar sind.

Neue Souveränität der Zulassungsbehörde

Ausschlaggebend für die erstaunlich schnelle Etablierung von Biosimilars in Europa war eine bis dahin so nicht bekannte Souveränität der Behörde, die für die Zulassung von Proteintherapeutika verantwortlich ist. Diese Arzneimittel werden in der EU in einem zentralen Verfahren durch die EMA (European Medicines Agency) zugelassen. Seit 2003 haben Experten bei der EMA neben allgemeinen Leitlinien für Biosimilars auch produktspezifische Richtlinien für die Zulassungsanforderungen für patentfreie Biologika publiziert. So haben Hersteller von Biosimilars klare Vorgaben, wie sie ihre Produkte zu entwickeln haben, um eine Zulassung zu bekommen.

In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass Nachahmerpräparate von Proteintherapeutika, die in nicht oder weniger regulierten Märkten vertrieben werden und den anspruchsvollen Zulassungsprozess der EMA nicht erfolgreich durchlaufen haben, nicht als Biosimilars, sondern allenfalls als Kopien zu bezeichnen sind [4, 5]. Derartige Kopien sind hierzulande nicht verkehrsfähig und dürfen nicht als Beispiele herangezogen werden, um qualitativ hochwertige Biosimilars zu diskreditieren.

Durch die Bewertung der keineswegs seltenen Prozessänderungen bei der Herstellung von Biologicals ist der Datenfundus bei der EMA immens angewachsen. So kann sich die EMA inzwischen ein detailliertes Bild davon machen, wie sich kleine oder größere Moleküländerungen auf die klinische Wirksamkeit, die Sicherheit und die Verträglichkeit der Wirkstoffe auswirken. Anders als dies lange vermutet und propagiert wurde, sind die klinischen Auswirkungen kleinerer, oft nicht vermeidbarer Molekülvariationen meist vernachlässigbar.

Skepsis nicht gerechtfertigt

Besonders den Biosimilar-Antikörpern begegnet die Ärzteschaft mit sehr viel Skepsis. Das ist nicht gerechtfertigt und beruht zum einen auf Wissensdefiziten. Gravierender ist jedoch, dass es für viele Ärzte nicht akzeptabel ist, dass bei Biosimilars die Evidenz im Wesentlichen aus dem Labor und nicht aus der Klinik kommt. Das widerspricht auf den ersten Blick den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin. Bei Generika hingegen ist dies seit Jahrzehnten Gang und Gäbe und wurde nie in Frage gestellt. Denn schließlich ist dieses Prinzip plausibel und korrekt. Warum sollte eine Kopie eines Wirkstoffs anders wirken, als die Vorlage für diese Kopie, die sich jahrelang klinisch bewährt hat?

Sicherzustellen ist natürlich, dass die Kopie der Vorlage strukturell hinreichend ähnelt und dass keine prozessbedingten Verunreinigungen die Sicherheit der Kopie gefährden. Letzteres wird immer, wenn auch meist nur in einer Indikation, in einer klinischen Studie überprüft. Die Prüfung der ersten Voraussetzung übernimmt eine kompetent und sorgfältig agierende Zulassungsbehörde. Ärzte, Apotheker und Patienten können und sollten sich auf das Urteil der europäischen Zulassungsbehörde verlassen.

Fazit

Biosimilars bereichern unseren Arzneimittelschatz ähnlich wie vordem die Generika. Allerdings haben sie sich noch nicht in unserem Gesundheits­ system etabliert.

Die Wahrnehmung von Biosimilars als Biologikas 2. Klasse ist nicht ange bracht. Dies ist auch deshalb wichtig, weil damit zu rechnen ist, dass Ärzte auf kurz oder lang durch Quoten oder Rabattverträge gezwungen werden, Biosimilars zu Lasten von Originalia zu verordnen. Tun sie dies widerstre bend, wird sich ihre Skepsis auf die Patienten übertragen, was sich negativ auf den Therapieverlauf auswirken wird.

Interessenkonflikte: keine

Literatur

    1. Schellekens H: Follow-on biologics: challenges of the next generation. Nephrol Dial Transplant 2005; 20: 31–36.
    1. Kuhlmann M, Covic A: The protein science of biosimilars. Nephrol Dial Transplant 2006; 21: 4–8.
    1. Schiestl M et al.: Acceptable changes in quality attributes of glycosylated biopharmaceuticals. Nat Biotechnol 2011; 29: 310–312.
    1. Weise M et al.: Biosimilars – why terminology matters. Nat Biotechnol 2011; 29: 690–693.
    1. Schneider Ch K et al.: In support of the European Union biosimilar framework. Nat Biotechnol 2012; 30: 745–749.
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