Depressionen zählen in den industrialisierten Ländern zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt, sind nicht selten rezidivierend und oftmals von langer Dauer [1]. Neben den auch sehr häufigen Angststörungen und Suchterkrankungen führen sie in der Arbeitswelt mit zu den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen [2].
Häufig werden belastende Faktoren am Arbeitsplatz von den Betroffenen als erste bzw. einzige Ursache einer depressiven Störung angesehen, obwohl die Ursachen affektiver Störungen sehr viel komplexer sind und kognitive Störungen bei Depression nicht selten eher sekundär zu arbeitsplatzbezogenen Problemen mit nachlassender Produktivität und Überforderung führen [3].
Arbeit ist andererseits sehr oft einer der wesentlichsten identitätsstiftenden Faktoren im Leben berufstätiger Menschen. Dem Erhalt der Arbeitsfähigkeit im gewohnten Umfeld kommt in der Behandlung und Vorbeugung affektiver Erkrankungen daher eine zentrale Bedeutung zu.
Arbeit als Antidepressivum
Eine nicht überfordernde Tätigkeit am Arbeitsplatz kann als „Prophylaktikum“ oder „Antidepressivum“ angesehen werden [4]. Eine zeitnahe stufenweise Wiedereingliederung mit einer Belastung, die den Möglichkeiten des Betroffenen entspricht, ist essenziell. Dies setzt voraus, dass eine stufenweise Wiedereingliederung im Detail geplant und abgestimmt wird. Zentral ist in diesem Zusammenhang der therapeutische Aspekt der stufenweisen Wiedereingliederung, also die damit verbundene Möglichkeit, die jeweils aktuelle Belastungs- und Leistungsfähigkeit schrittweise wieder einschätzen zu lernen und in diesem Prozess Versagensängste und Ängste vor Überforderung so wie einen Rückfall abbauen zu können, indem man Schritt für Schritt seine Aufgaben und Verantwortung wieder übernehmen kann [5].
Eine frühzeitige Rückkehr sollte, wenn möglich, schon während einer ambulanten Behandlung stattfinden. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, wenn im Rahmen einer Psychotherapie arbeitsplatzbezogene, mitverursachende Aspekte einer depressiven Episode, aber auch die positive Rolle für die Lebensgestaltung und Sinnerfüllung betrachtet und vermehrt in den therapeutischen Prozess miteinbezogen werden, um zukünftig eine bessere Zu sammenarbeit zwischen dem medizinischtherapeutischen und betrieblichen System zu ermöglichen.
Überforderung vermeiden
Eine frühzeitige und gut geplante stufenweise Wiedereingliederung hilft allerdings wenig, wenn die alltäglichen Arbeitsbelastungen zu hoch und überfordernd sind. Folgende zentrale psychische Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz werden von den Beschäftigten selbst genannt: verschiedene Arbeiten gleichzeitig betreuen, starker Termin und Leistungsdruck, ständig wieder kehrende Arbeitsvorgänge, bei der Arbeit gestört, unterbrochen werden, sehr schnell arbeiten müssen [6]. Negativ wirken sich überdies auch eine geringe Wertschätzung, Konflikte mit Vorgesetzten und/oder Kollegen sowie Arbeitsplatzunsicherheit aus [7].
Eine entscheidende Bedeutung kommt hierbei auch der Frage zu, wie die Betreffen den mit derartigen Stressoren umgehen, um gegebenenfalls ihr Verhalten verändern zu können. Nicht selten überlasten sich Menschen durch
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ihre hohe Leistungsbereitschaft und ihren Ehrgeiz,
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eine ausgeprägte Identifikation mit ihrer Aufgabe und ihrem Arbeitgeber sowie
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ein übermäßig hohes Maß an Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit bei der Arbeit.
In diesem Fall muss es auch darum gehen, den Umgang mit den eigenen Ressourcen zu verstehen und zu erarbeiten, was der Betroffene selbst tun kann, um mehr auf sich zu achten und welche Schritte sinnvoll sein könnten, um den Umgang mit Arbeitsbelastungen zu verändern. Beide Seiten der Medaille – die betriebliche und die individuelle – sind integrativer Bestandteil eines erfolgreichen Wiedereingliederungsprozesses, damit die Arbeit eine bewältigbare und sinnstiftende Tätigkeit sein kann.
Unterstützung erforderlich
Ein entsprechende Vorgehensweise erfordert eine hohe Flexibilität der Arbeitgeber, eine große Aufmerksamkeitsleistung seitens der Betroffenen und der Angehörigen sowie der Vorgesetzten und Kollegen als auch die Bereitschaft zu einer sehr zeitna hen Diagnostik und Einleitung einer Therapie durch die gegebenenfalls hinzugezogenen Ärzte. Ein derartiges Vorgehen kann nur gelingen, wenn der tatsächliche Vorteil des Prozesses für die Betroffenen und Betriebe durch Öffentlichkeitsarbeit (unterstützt durch gesetzliche Grundlagen) zu einer weiten Verbreitung dieses modellhaften Vorgehens führen.
Informationen wie die der European Depression Association (www.europeandepressionday.de) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin können dies unterstützen.
Weitere Informationen
Förderliche Faktoren für die Rückkehr an den Arbeitsplatz
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Motivation der zurückkehrenden Mitarbeiter und ihr Selbstvertrauen – wohl wissend, dass das Selbstvertrauen immer auch vom „Fremdvertrauen“ abhängig ist, also von dem, was andere einem zutrauen.
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Konstruktiver Umgang mit der Erkrankung
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Der Austausch mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen gesammelt haben (Bekannte, Freunde, Selbsthilfegruppe), ist in der Regel sehr hilfreich bei der Bewältigung unterschiedlicher Phasen der Erkrankung und Wiedereingliederung.
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Frühzeitige Rückkehr an den Arbeitsplatz in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten und den betrieblichen Return-to-Work-Experten (RTW), denn je länger eine Arbeitsunfähigkeit dauert, desto schwieriger wird es.
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Erwerbsorientierte Unterstützung der Behandler, so dass die Arbeit trotz therapeutischer Behandlung weitergeführt werden kann.
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Offener Dialog mit den betrieblichen RTW-Experten über gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen, die unter Umständen mit zur Arbeitsunfähigkeit beigetragen haben, um gegebenenfalls die Arbeit oder Arbeitsabläufe verändern zu können.
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Flexible Gestaltung der Arbeitsanforderungen, insbesondere während der stufenweisen Wiedereingliederung: Flexiblere Arbeitszeiten, Vermeiden eines frühen Arbeitsbeginns oder ein Tag „Home office“. Auch Teilzeittätigkeiten bieten sich hier an.
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Kurse und Fortbildung zum Zeit- und Stressmanagement
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Stressreduzierung durch gegenseitige kollegiale Unterstützung
Auf Seiten des Betriebes
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Systemisch orientiertes Gesundheits-und Eingliederungsmanagement
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Offener und antistigmatisierender Umgang mit dem Thema „Psychische Gesundheit im Betrieb“ sowie die Förderung einer guten Kommunikationskultur und eine Politik der offenen Tür
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Sensibilisierende betriebliche Kampagnen für die Beschäftigten, um psychische Beeinträchtigungen, Krisen und Erkrankungen frühzeitig erkennen zu können
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Regelmäßige Gespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern mit beidseitigem Feedback, um potenzielle Unter- oder Überforderungen zu erkennen und zu thematisieren und frühe Zeichen des Stresses zu erkennen
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Förderung eines ausgeprägten Teamgeists durch gezielte Unterstützung von Teambildungsprozessen
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Schulung von Führungskräften und insbesondere von direkten Vorgesetzten
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Professionelle Begleitung der zurückkehrenden Mitarbeiter und Koordination der Rückkehr durch einen RTW-Coach
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Soziale Unterstützung der zurückkehrenden Mitarbeiter durch direkte Vorgesetzte und Kollegen
Interessenkonflikte: keine
Literatur
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1 DAK (2014): Gesundheitsreport 2014. Die Rushhour des Lebens. Gesundheit im Spannungsfeld von Job, Karriere und Familie. DAK Forschung, Hamburg.
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2 H.U. Wittchen et al (2011): Depressive Erkrankungen. Heft 51. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Herausgeber: Robert Koch Institut, Berlin.
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3 Adler et al. (2006): Job performance deficits due to depression. American Journal of Psychiatry 163: 1569-1576
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4 OECD (2012): Sick on the Job? Myths and Realities about Mental Health and Work. Paris.
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5 R. Stegmann et al. (2014): Kommunikatives Handeln im Prozess der betrieblichen Wiedereingliederung psychisch erkrankter MitarbeiterInnen. Erste Ergebnisse aus Interviews mit Return-to-Work-Koordinatoren. sicher ist sicher – Arbeitsschutz aktuell.
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6 A. Lohmann-Haislah (2012): Stressreport Deutschland 2012. Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Herausgeber: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Dortmund/Dresden/Berlin.
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7 R. Rau et al. (2015): Risikobereiche für psychische Belastungen. IGA Report 31. Herausgeber: AOK Bundesverband. BKK Dachverband e.V.. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung. Verband der Ersatzkassen e.V.