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Ernährungsmedizin für Hausärzte Update Ernährungsmedizin

Ernährungsmedizin ist ein wissenschaftlich spannendes und in der täglichen Praxis interessantes und unverzichtbares Querschnittsfach. Auch für den Hausarzt ist sie relevant, denn er ist der erste Ansprechpartner für ernährungsbedingte Krankheiten und eine Ernährungstherapie.

Etwa 70 − 80 Prozent aller Krankheiten haben eine ernährungsmedizinische Ursache, beziehungsweise ernährungsmedizinische Folgen. Neben Adipositas und Mangelernährung sind zahlreiche Folgekrankheiten wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Hyperlipoproteinämie, degenerative Gelenkerkrankungen, Krebserkrankungen bedeutsam. Auch für den Verlauf einer Schwangerschaft ist das Körpergewicht von entscheidender Bedeutung [3, 5]. An den positiven Effekten einer fachkundigen Ernäh- rungstherapie bestehen aus wissenschaftlicher Sicht keine Zweifel. Die Ernährungstherapie ist ein Heilmittel im Sinne des §27 Abs. 1 Nr. 3, §32 SGBV.

Diagnose steht vor der Therapie

Vor jeder Therapie muss eine klare Diagnose stehen (Tab. 1). Es ist eine primär ärztliche Aufgabe, organische und psychische Erkrankungen vor der Verordnung einer Ernährungstherapie auszuschließen. Bei Vorliegen einer ernährungsabhängigen Erkrankung mit ernährungstherapeutischem Ziel stellt der Arzt die Indikation für eine entsprechende Ernährungstherapie.

Die Ernährungstherapie wird der Arzt in der Regel nicht selbst durchführen wollen. Dafür sind Ernährungsfachkräfte in der Regel besser geeignet und ausgebildet. Für den Erfolg dieser Maßnahme ist ein enger fachlicher Austausch zwischen Arzt und Ernährungsfachkraft notwendig. Der Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) hat Schwerpunktpraxen für Ernährungsmedizin (SPEM) als Pilotprojekt entwickelt und erfolgreich in die Praxis eingeführt. In schwierigen Fällen kann auch die Überweisung eines Patienten in ein Schulungsprogramm mit einer interdisziplinären, multimodalen Therapie mit Arzt, Ernährungsfachkraft, Psychologe und Physiotherapeuten notwendig sein.

Was gibt es Neues?

Bei den Kostformen hat sich die Vollkost nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) durchgesetzt. Hier liegen die Ernährungsempfehlungen der DGE und die Einhaltung der DACH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr zugrunde [4].

Die Energiezufuhr sollte sich an dem täglichen Energiebedarf von 20 – 30 kcal pro kg Körpergewicht orientieren, dies heißt im Einzelfall zwischen 1.500 und 2.500 kcal pro Tag. Die Proteinzufuhr ist wichtig und sollte mindestens 0,8 g pro kg Körpergewicht betragen. Die Hälfte des Proteins sollte pflanzlichen, die andere Hälfte tierischen Ursprungs sein. Die Fettzufuhr sollte auf 30 Energieprozent reduziert werden und jeweils zu 30 Prozent aus gesättigten Fettsäuren, einfach ungesättigten Fettsäuren und mehrfach ungesättigten Fettsäuren bestehen. Omega-3-Fettsäuren sollten bis zu zehn Prozent der Fettzufuhr betragen. Transfettsäuren sollten gemieden werden.

Kohlenhydrate sollten etwa 50 Prozent der Energiezufuhr betragen. Ballaststoffreiche Produkte wie Vollkornbrot, Gemüse und Obst sind zu bevorzugen. Komplexe Kohlenhydrate sind besser als Mono- und Disaccharide. Eine Ballaststoffzufuhr von mindestens 30 g pro Tag an nichtlöslichen Ballaststoffen vom Typ Weizenkleie ist zu empfehlen. Lösliche Ballaststoffe (Haferkleie) sollten ebenfalls vermehrt zugeführt werden.

Das menschliche Gehirn und die Nieren benötigen Glukose. Deswegen ist es erforderlich, zirka zehn Prozent der gesamten Energie als Zucker zuzuführen. Die Kochsalzzufuhr sollte maximal sechs Gramm pro Tag betragen, die Trinkmenge ungefähr zwei Liter pro Tag. Eine Empfehlung zu Alkohol kann nicht ausgesprochen werden, da Alkohol ein hohes Suchtpotenzial und karzinogene Wirkungen hat.

Eine vegetarische Kost kann uneingeschränkt empfohlen werden, wenn die Eiweißzufuhr gewährleistet ist. Bei einer veganen Kost ist sachkundige Beratung erforderlich, um Defizite zu vermeiden.

Bei älteren Patienten über 65 Jahren ist auf eine erhöhte Eiweißzufuhr zu achten. Die Proteinzufuhr sollte ein Gramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag betragen. Bei Schwangeren und Stillenden ist der erhöhte Energiebedarf (bis zu 10 Prozent) zu berücksichtigen.

Mangelernährung

Bei Mangelernährung muss die Energiezufuhr auf 30 – 35 kcal pro kg Körpergewicht pro Tag gesteigert werden. Die Proteinzufuhr sollte bis zu 1,5 g pro kg Körpergewicht pro Tag betragen. Falls die Protein- und Energiezufuhr durch die üblichen Lebensmittel nicht zu gewährleisten ist, müssen in Ausnahmefällen oral bilanzierte Diäten verabreicht werden. Zur Diagnostik der Mangelernährung hat sich das Screening gemäß Global Leadership Initiative on Malnutrition (GLIM) bewährt.

Übergewicht und Adipositas

Adipositas liegt bei einem Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m2 vor, Übergewicht bei einem BMI von 25 – 29,9 kg/m2. Übergewicht muss behandelt werden (Leitlinienstandard), wenn gewichtsbedingte Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes und hoher psychosozialer Leidensdruck vorliegen. Eine Adipositas bedarf grundsätzlich der Therapie. Für eine erfolgreiche Gewichtsreduktion ist nicht die Nährstoffrelation, sondern das Energiedefizit entscheidend. Die Energiezufuhr sollte mindestens 500 – 1.000 kcal unter dem Bedarf liegen. Bei ausgeprägter Adipositas haben sich Formuladiäten bewährt. Crashdiäten werden nicht empfohlen. Einseitige Nährstoffrelationen sind bei der Gewichtsreduktion nicht erfolgreich [2].

Diabetes mellitus

Bei Diabetes wird grundsätzlich Vollkost empfohlen. Die Energiezufuhr orientiert sich am Körpergewicht sowie an der individuellen Therapie mit Insulin bzw. oralen Antidiabetika. Zucker ist nicht generell verboten, sollte jedoch auf maximal zehn Prozent der Energiezufuhr beschränkt bleiben. Zuckeraustauschstoffe sind erlaubt. Zwischenmahlzeiten sind grundsätzlich nicht erforderlich.

Hyperlipoproteinämie

Die Ernährung bei Hypercholesterinämie und Hypertriglyzeridämie sollte fettarm sein und dem Prinzip der leichten Vollkost entsprechen. Die Fettzufuhr sollte 30 Prozent der Energiezufuhr nicht übersteigen, die Cholesterinzufuhr sollte maximal 300 mg pro Tag betragen. Bei Hypertriglyzeridämie sollten kurzkettige Kohlenhydrate reduziert werden. Eine Erhöhung der Ballaststoffzufuhr auf 30 – 40 g pro Tag ist günstig. Zusätzlich haben sich Omega-3-Fettsäuren durch erhöhten Verzehr von Fisch oder Omega-3-Fettsäure-Kapseln bewährt.

Hyperurikämie und Gicht

Auch bei Hyperurikämie wird eine leichte Vollkost empfohlen. Bei Übergewicht sollte das Körpergewicht reduziert werden. Die Purinzufuhr sollte reduziert werden. Alkohol führt zu einer Steigerung der Harnsäure. Eine erhöhte Trinkmenge (3 l pro Tag) führt zu erhöhter Harnsäureausscheidung. Eine überwiegend pflanzenbetonte Kost kann den Urin alkalisieren und zur besseren Ausscheidung der Harnsäure führen.

Arterielle Hypertonie

Bei Hypertonie sind die Begrenzung der Kochsalzzufuhr auf maximal fünf Gramm pro Tag und eine Reduktion von Übergewicht bzw. Adipositas wichtig. Pflanzliche Lebensmittel haben einen hohen Kaliumgehalt, was für die Senkung des Blutdrucks günstig ist. Alkohol sollte reduziert oder gemieden werden.

Lebererkrankungen

Eine spezifische Leberdiät wird heute nicht mehr empfohlen. Alkoholkarenz ist bei jeder Lebererkrankung erforderlich. Bei der nicht alkoholischen Fettleber (NAFLD) mit Übergewicht bzw. Adipositas muss eine Gewichtsreduktion eingeleitet werden. Die Ernährung sollte fettarm sein. Bei der alkoholischen Fettleberhepatitis spielt das Körpergewicht in der Regel nicht die entscheidende Rolle. Eine eher hohe Energiezufuhr und eine hohe Eiweißzufuhr sind hier wünschenswert.

Reizdarmsyndrom

In der Regel gibt es keine spezifische Diät für das Reizdarmsyndrom. Nach Ausschluss organischer Ursachen wie Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder konsumierenden Erkrankungen und Infektionen kann eigentlich jede Vollkost empfohlen werden. Bei Obstipation sind pflanzliche Ballaststoffe vom Typ Weizenkleie zu bevorzugen. Probiotika können das Mikrobiom des Darms im positiven Sinn beeinflussen. Verschiedene Diätformen wie eine Low-FODMAP-Diät können ausprobiert werden. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Therapie jedoch nicht der herkömmlichen Ernährungstherapie überlegen.

Obstipation

Eine Obstipation bedarf bei Mangel an unlöslichen Ballaststoffen einer erhöhten Ballaststoffzufuhr von über 30 g pro Tag (dies sind etwa drei Esslöffel Weizenkleie). Die Trinkmenge sollte zwei Liter pro Tag betragen. Probiotika sind für die Pflege des Mikrobioms wünschenswert.

Nierenerkrankungen

Bei Nierenkrankheiten ist Vollkost generell geeignet. Auch eine mediterrane Kost kann empfohlen werden. Die Eiweißzufuhr sollte im Durchschnitt 0,8 g pro kg Körpergewicht pro Tag betragen. Bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz oder Dialyse ist die Eiweißzufuhr klinisch nicht so relevant, sie sollte deshalb mindestens 1 g pro Tag betragen. Bei ausschließlicher Dialyse kann eine erhöhte Proteinzufuhr bis 1,5 g pro kg Körpergewicht pro Tag erforderlich werden. Die ärztliche Kontrolle und eine Einbindung in ein diätetisches Schulungsprogramm sind für Patienten mit Niereninsuffizienz und Dialyse unverzichtbar.

Rheuma und Osteoporose

Bei chronisch entzündlichen rheumatischen und orthopädischen Erkrankungen sollte die Erhöhung mehrfach ungesättigter Fettsäuren mit fettreichen Fischmahlzeiten oder die Zufuhr von Fischölkapseln angestrebt werden. Auch pflanzliche Öle sind reich an Omega-3-Fettsäuren (Raps-, Walnuss- und Leinöl) und daher günstig.

Bei Osteoporose ist der Nutzen einer Vitamin-D-Zufuhr von 1.000 Einheiten pro Tag belegt. Eine Kalziumzufuhr wird nicht empfohlen. Kalzium sollte über die normale Ernährung aufgenommen werden.

Substitution

Ein Mangel an Mineralstoffen, Vitaminen oder Spurenelementen muss ärztlicherseits substituiert werden. Nahrungsergänzungsmittel werden generell nicht empfohlen. Die einzigen gesicherten Defizite, die diätetisch nicht behoben werden können, sind ein Mangel an Vitamin D und bei Menschen unter 50 Jahren ein Jodmangel. Da es sich bei Vitamin D um ein fettlösliches Vitamin handelt, sollte die tägliche Zufuhr 1.000 Einheiten nicht übersteigen. Jodmangel könnte durch erhöhte Fischzufuhr beseitigt werden. In der Regel ist aber eine Substitution mit 100 µg Jod täglich erfolgreicher.

Fazit für die Praxis

  • Die Zusammenhänge zwischen Krankheiten und Ernährung sind heute wissenschaftlich gut belegt.
  • Diagnostische und therapeutische Maßnahmen der Ernährungsmedizin sind in zahlreichen Leitlinien evidenzbasiert dargestellt.
  • Durch die neue Weiterbildungsordnung kann jeder Hausarzt Kompetenz in Ernährungsmedizin erwerben und in der täglichen Praxis einsetzen.

Memorandum Ernährungsmedizin

“Der Deutsche Ärztetag hat inzwischen die Ernährungsmedizin als Zusatzbezeichnung in die Weiterbildungsordnung aufgenommen. Dies ist ein wichtiger Fortschritt. Darüber hinaus ist die Schaffung von Lehrstühlen auf dem Gebiet der Ernährungsmedizin unabdingbar. Die drei Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM), Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) und die Deutsche Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) haben gemeinsam zwei Initiativen gestartet und dazu zwei Memoranden erstellt, die beim Autor angefordert werden können.

Leitfaden Ernährungstherapie

Der Leitfaden Ernährungstherapie in Klinik und Praxis (LEKuP) fasst den aktuellen Stand der Ernährungstherapie zusammen:

www.bdem.de, www.daem.de, www.dgem.de

 

Mögliche Interessenkonflikte: Der Autor hat keine deklariert.

Literatur unter www.hausarzt.digital

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