Kortisol ist außer an der akuten Stressregulation auch noch an zahlreichen weiteren Aufgaben im Körper beteiligt. So spielt Kortisol etwa bei der Regulation des Immunsystems eine wichtige Rolle und hat entzündungshemmende Effekte.
Die Synthese findet in der Nebenniere statt, wird von der Hypophyse gesteuert und unterliegt einem zirkadianen Rhythmus. Etwa ab vier Uhr morgens steigt der Kortisol-Spiegel an und erreicht gegen sechs Uhr einen Höchststand. Über den Tag sinkt der Kortisol-Spiegel allmählich ab, so dass gegen Abend kaum noch Konzentrationen im Blut messbar sind.
“Das ist für die Diagnose wichtig”, erklärte Prof. Stephan Petersenn, Hamburg. Neben dem Zeitpunkt der Blutabnahme kann auch Stress während des Praxisaufenthalts oder eine vorherige Nahrungsaufnahme die Konzentration beeinflussen. Daher ist bei der Untersuchung eine gewisse Standardisierung erforderlich.
Abnehmende Nebennierenleistung
Steht aufgrund einer Nebennierenschwäche zu wenig Kortisol zur Verfügung, treten abhängig von der Ursache verschiedene Symptome auf. So kann eine akute Nebenniereninsuffizienz zu einem lebensgefährlichen Schock führen. Dazu kann es beispielsweise durch eine Einblutung kommen, die gelegentlich unter Antikoagulation oder aufgrund von Metastasen entsteht.
Häufiger ist Petersenn zufolge jedoch eine langsam abnehmende Nebennierenleistung, die mit einer verringerten Leistungsfähigkeit, Müdigkeit sowie Muskel- und Gelenkschmerzen einhergeht. Auch psychiatrische und zentralnervöse Auffälligkeiten wie Psychosen, Depressionen oder Gedächtnisstörungen können auftreten.
In Stresssituationen kann sich ein Kortisol-Mangel als Kreislaufschwäche bis hin zu einem komatösen Zustand bemerkbar machen. Weitere Anzeichen, bei denen der Hausarzt aufmerksam werden sollte, sind ein niedriger Blutzucker oder eine ungehemmt ablaufende, überschießende Entzündungsreaktion. Problematisch ist, dass die Symptome allesamt unspezifisch sind und die Diagnose daher oft erst spät gestellt wird – obwohl sie in bestimmten Fällen lebensrettend sein kann.
Bei Notfällen umgehend handeln
Die Therapie des Kortisol-Mangels aufgrund einer Nebenniereninsuffizienz ist einfach – das fehlende Kortisol wird ersetzt, die Symptome bilden sich zurück. Eine Schwachstelle bilden jedoch plötzliche Belastungssituationen: Dann müssen die Betroffenen mehr Kortison erhalten, um stabil zu bleiben.
“Patienten mit einer Nebennierenschwäche sollten deshalb gut geschult sein und immer einen Notfallausweis mit sich tragen, in dem die Diagnose ‚Nebenniereninsuffizienz‘ vermerkt ist”, so Petersenn.
Eine weitere Herausforderung ist die Einleitung einer Notfalltherapie. Obwohl sich die Mehrzahl der Patienten zeitnah bei einer vermuteten, beginnenden Nebennierenkrise im Krankenhaus vorstellt, erhält nur etwa die Hälfte von ihnen fristgerecht – innerhalb von 30 Minuten – die Kortison-Notfallmedikation. “Eine eventuelle einmalige Überdosierung ist weniger schlimm als das Risiko, an einem Schock aufgrund einer Unterversorgung zu sterben”, verdeutlichte Petersenn.
Morbus Cushing erkennen
Ein zu hoher Kortisol-Spiegel führt wie der Mangel an Kortisol zu einer Vielzahl an Symptomen, da fast jedes Gewebe darauf reagiert. “Kortisol im Überschuss ist beispielsweise an der Entstehung von Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes beteiligt und erhöht das Osteoporose-Risiko”, berichtete Apl.-Prof. Ilonka Kreitschmann-Andermahr, Essen. Weiterhin können Gedächtnisstörungen, Hautprobleme wie Akne oder psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen auftreten.
Diese Veränderungen können einerseits durch eine dauerhafte Einnahme hoch dosierter synthetischer Glukokortikoide entstehen. Andererseits kann ein endogenes Cushing Syndrom dahinter stecken, das zum Beispiel durch einen Tumor in der Nebenniere ausgelöst wird.
Tritt die Erkrankung infolge eines gutartigen Tumors in der Hypophyse auf, spricht man von Morbus Cushing, unter der sich ein schweres Krankheitsbild entwickelt, das unbehandelt mit einer verkürzten Lebenserwartung einhergeht.
Neben den bereits genannten Folgen lagert sich bei Menschen mit Morbus Cushing oft übermäßig viel Fett am Hals (Büffelnacken) und im Rumpfbereich an – vor allem um die Organe im Bauchraum (Stammfettsucht).
Aufgrund der Steroid-induzierten Myopathie verlieren Arme und Beine an Muskelmasse und werden schwach und dünn. Zudem werden Blutgefäße und Haut empfindlicher und dünner, was zu Blutergüssen und breiten Dehnungsstreifen führen kann. Typisch ist zudem ein sogenanntes ‚Mondgesicht‘.
Frühe Diagnose ermöglicht Heilung
Da sich die Erkrankung schleichend entwickelt, gehen viele Betroffene erst spät zum Arzt. “In der von uns durchgeführten Studie dauerte es im Mittel drei bis 4,8 Jahre vom Beginn der Symptome bis zur Diagnosestellung”, berichtete Kreitschmann-Andermahr. In manchen Fällen vergehe jedoch noch eine deutlich längere Zeit, in der zahlreiche (Fach-)Ärzte aufgesucht werden.
“Fehldiagnosen sind bei Morbus Cushing leider nicht selten – auch, weil die Konsultationszeiten im ärztlichen Alltag oft eng getaktet sind und wenig Zeit für fachübergreifende Anamnesen lassen”, erklärte die Neurologin. Dabei könnte eine frühe Diagnose den Betroffenen viel Leid ersparen, denn mit einem neurochirurgischen Eingriff an der Hypophyse lässt sich die Erkrankung behandeln bzw. oft sogar heilen.
Alternativ gelingt es auch mit Medikamenten oder einer Strahlentherapie die Hormonwerte zu stabilisieren, die Symptome zu lindern und schwere Folgekrankheiten zu vermeiden, wodurch sich auch die Lebenserwartung normalisiert. Dazu sollte man die Betroffenen an ein Fachzentrum überweisen.
Quelle: Online-Pressekonferenz anlässlich des 66. Deutschen Kongresses für Endokrinologie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)