Ständig gibt es neue medizinische Erkenntnisse – eine Herausforderung angesichts der Vielzahl der Beschwerden und Indikationen, mit denen die Patienten in die Hausarztpraxis kommen. Ein Update zu den wichtigsten Themen gab es bei der practica in Bad Orb.
Thrombozytenaggregationshemmung – Was, wann, wie lange?
Die Aktivierung und die Aggregation von Thrombozyten spielen eine entscheidende Rolle bei der Entstehung akuter Durchblutungsstörungen aufgrund von atherosklerotischen Erkrankungen. Die medikamentöse Behandlung reduziert die Häufigkeit solcher Ereignisse.
Die Empfehlungen, wann und wie lange die verschiedenen Präparate zum Einsatz kommen, sind jedoch komplex. Neue Studienergebnisse, aus denen sich immer wieder andere Behandlungsempfehlungen ergeben, machen dies nicht einfacher. Nachfolgend die wichtigsten Aspekte:
- Bei stabiler KHK ohne vorausgehende Ereignisse ist nach wie vor ASS als alleinige Therapie indiziert.
- Die PAVK wird nur bei Beschwerden mit Clopidogrel therapiert.
- Bei der Primärprophylaxe einer Karotisstenose kann alternativ 75 bis 150 mg ASS gegeben werden.
Schwierig wird es bei gleichzeitig bestehender Dauerantikoagulation. Neben der Tripletherapie empfehlen die europäischen Leitlinien eine Vollantikoagulation plus Clopidogrel. Hier müssen oftmals individuelle Entscheidungen unter Nutzen-Risiko-Abwägung gefällt werden.
Gerade weil die Therapieempfehlungen in Bezug auf die Thombozytenaggregationshemmung so komplex sind, sollten wir Hausärzte, insbesondere im Hinblick auf das individuelle Blutungsrisiko, die Indika- tion hierzu regelmäßig überprüfen.
Differenzialdiagnose: Das kranke Bein
Beinbeschwerden sind vielfältig. Kommt ein Patient mit Schmerzen im Bein, kann die Inspektion weiterhelfen: Leidet der Patient an Krampfadern? Wie ist die Hautfarbe? Liegen klinische Entzündungszeichen vor? Mögliche Differenzialdiagnosen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.
Nur bei etwa zehn Prozent der Patienten mit Schmerzen im Bein wird der Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose bestätigt. Wichtig ist hier die Erfahrung des Erstuntersuchers, der immerhin fast die Hälfte aller Verdachtsfälle auch ohne Bildgebung diagnostizieren kann.
- Ist die Wahrscheinlichkeit für eine tiefe Venenthrombose hoch, sollte ein Kompressionsultraschall zum Einsatz kommen.
- Ist die Wahrscheinlichkeit niedrig, sollte man die D-Dimere bestimmen, die bei einer tiefen Venenthrombose meist erhöht sind.
Bis zur endgültigen Diagnose sollte der Patient auf jeden Fall gewichtsadaptiert niedermolekulares Heparin injizieren.
Bei der Thrombophlebitis mit varikösen Venen (Varikothrombose) ist die Therapie abhängig von der Lokalisation. Kleinlumige Venen werden mit nichtsteroidalen Antiphlogistika und Kompression behandelt, währenddessen großlumige Venen, insbesondere mit einem Abstand von weniger als 3 cm von der Mündung zu tieferen Venen mit niedermolekularem Heparin behandelt werden. Eine operative Sanierung sollte entweder innerhalb der ersten 14 Tage oder nach dem Abklingen der Beschwerden im Intervall operiert werden.
Bei der akuten Extremitätenischämie wird eine sofortige stationäre Behandlung erforderlich. Unter der subakuten Extremitäten- ischämie wird eine lokalisierte Thrombosierung bei bestehendem Kollateralkreislauf verstanden. Auch hier sollte zeitnah eine Rekanalisierung erfolgen.
Liegt bei einem diabetischen Fußsyndrom eine Infektion vor, ist dies ein Notfall und bedarf einer stationären Behandlung, da eine systemische Antibiotikatherapie neben einer Entlastung hier zwingend erforderlich ist. Erschreckend, dass immer noch eine hohe Anzahl an Amputationen erfolgt, ohne dass im Vorfeld eine Gefäßdarstellung durchgeführt wurde.
Das Erysipel ist eine klinische Diagnose. Oftmals ist es schwierig, eine tiefe Venenthrombose davon zu unterscheiden. Hier kann, muss aber nicht, die Bestimmung der D-Dimere weiterhelfen.
Bei der chronisch venösen Insuffizienz wird die primäre von der sekundären Form unterschieden. Die primäre Form ist meist genetisch bedingt und weist ein intaktes tiefes venöses System auf. Bei der sekundären Form handelt es sich meist um ein postthrombotisches Syndrom oder ist Folge einer venösen Hypertonie. Zudem ist das tiefe System insuffizient.
Diagnostisch sieht man hier nicht eindrückbare Ödeme, Faszienlücken und Venenverhärtungen. Die Diagnosesicherung erfolgt durch die farbkodierte Duplexsonografie. Wichtig sind hier die Symptombehandlung und die Vermeidung einer Verschlimmerung. Reicht eine Kompression neben Gewichtsreduktion, Gehtraining und Lymphdrainage nicht aus, muss über eine operative Sanierung nachgedacht werden.
Diagnostisches Management von Fieber
Von einer Erhöhung der Körpertemperatur spricht man bei einer Temperatur über 38,3°C. Die Körpertemperatur unterliegt zirkadianen Tagesschwankungen. Nicht nur die Höhe, sondern auch der Temperaturverlauf ist für die Diagnostik wichtig.
Fieber ist ein Symptom von über 200 unterschiedlichen Erkrankungen. Um eine strukturierte Diagnostik durchzuführen, werden diese Erkrankungen in Kategorien unterteilt. Neben Infektionen können Malignome, Autoimmunerkrankungen und auch Medikamente Fieber auslösen. Eine weiterführende Diagnostik ist dann sinnvoll, wenn das Fieber über drei Wochen anhält. Neben der Anamnese und der körperlichen Untersuchung ist hier ein strukturiertes Vorgehen zu empfehlen.
Sollte man trotz weitreichender Diagnostik bis hin zur PET-Computertomografie und stationärer Abklärung keine Ursache für anhaltendes Fieber gefunden haben, bleibt je nach Allgemeinzustand des Betroffenen nur der empirische Versuch einer Kortison- oder Antibiotikagabe.
Multimedikation
Polypharmazie und Multimedikation sind ein wichtiges Thema in der Hausarztpraxis. Ziel aller Behandlungen ist es, Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten. Das setzt eine optimale Pharmakotherapie, gerade im Alter und erst recht bei multimorbiden chronisch kranken Patienten, voraus. Bei der Einnahme von mehr als fünf Medikamenten ist jedoch eine Vorhersage über Interaktionen nicht mehr möglich, außerdem lässt die Adhärenz deutlich nach.
Neben der hausärztlichen Leitlinie der Arbeitsgruppe der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaft (AWMF) zum Thema Multimedikation bieten diesbezüglich verschiedene Listen Unterstützung, allen voran die Priscus- und die FORTA-Liste.
Die Priscus-Liste ist nicht evidenzbasiert und enthält auch nicht alle Medikamente, bietet aber eine medikamentöse Alternative an. Die FORTA-Liste (Fit fOR The Age) beinhaltet die adäquate Medikation des alten Menschen, neben diagnoseabhängiger und evidenzbasierter Klassifikation bestimmter Substanzen.
Diese Listen sollten nur als schnelle Orientierungshilfe gesehen werden. Letztendlich ist die Therapie individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abzustimmen. Unsere Patienten vertrauen uns und gerade deswegen kann die optimale medikamentöse Versorgung nur die Hausarztpraxis als Zentrum der Versorgung leisten. Die Therapiehoheit sollte – wie bisher – beim Hausarzt liegen.
Impfen – Was ist neu?
Noch immer sind die geforderten Durchimpfungsraten von mindestens 95 Prozent nicht bei allen Impfungen erreicht. Umso wichtiger ist es, die Patienten zum Impfen zu motivieren. Das gelingt mit einem strukturierten Impfmanagement, das gut an Versorgungsassisten-tinnen (VERAH) delegiert werden kann. Die wichtigsten Neuerungen in den STIKO-Empfehlungen 2018/2019:
- Der tetravalente Influenza-Impfstoff wurde nun zugelassen.
- Nicht nur Mädchen sollten im Alter von 9 bis 14 Jahren gegen humane Papillomaviren (HPV) geimpft werden, sondern auch Jungen. Hintergrund ist, dass Jungen nicht weniger gefährdet sind als Mädchen und dass durch HPV ausgelöste Tumorerkrankungen zunehmen.
- Hingegen empfiehlt die STIKO den jetzt endlich zur Verfügung stehenden Totimpfstoff gegen Herpes-zoster-Infektionen nur nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung. Damit müssen die Kosten dieses Impfstoffs durch den Patienten selber getragen werden.
- Lebendimpfstoffe sind generell in der Schwangerschaft kontraindiziert. Die Influenza-Impfung kann ab dem 2. Trimenon, bei bestehender Indikation auch ab dem 1. Trimenon durchgeführt werden. Zur Diskussion steht die Pertussis-Impfung, die in anderen europäischen Ländern auch in der Schwangerschaft geimpft wird. Der Grund hierfür ist, dass 75 Prozent aller Pertussis-Todesfälle Säuglinge bis zum 3. Lebensmonat betreffen.
Die Empfehlungen zur Durchführung von Impfungen bei bestehendem Immundefizit sind sehr komplex. Hier sollte sich der Hausarzt mit einem Spezialisten absprechen.
Mögliche Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Literatur
- M.Kocharek, A.Piepereit, B.Böll, A. Shimabukuro-Vornhagen, M. Hallek – Diagnostisches Management von Fieber Der Internist Band 59 März 2018
- S.M. Schellong – Das auffällige Bein Der Internist Band 59 März 2018
- M. Halbach, S. Baldus – Thrombozytenaggegationshemmung bei koronarer, zerebraler und peripherer Makroangiopathie. Was, wann, wie lange? Der Internist Band 59 März 2018
- STIKO Epidemiologisches Bulletin 34/2018
- Impfen bei Immundefizienz Bundesgesundheitsblatt Band 60 Heft 6 Juni 2017
- PD G. Dobler FSME in Deutschland – Fallzahlen weiter im Anstieg Ärztlichs Journal Reise & Medizin 8/2018
- M. Heckmann, H.A. Katus, C. Erbel Krampfadern und ihre Folgen Der Allgemeinarzt 15/2018
- J. Woitalla-Bruning Oberflächliche Beinvenenthrombose Der Allgemeinarzt 15/2018