Berlin. Jedes Jahr sind in Deutschland 230.000 Menschen von einer Sepsis betroffen, mindestens 85.000 sterben daran, wie das Aktionsbündnis Patientensicherheit informiert. Es wird davon ausgegangen, dass viele Fälle nicht erfasst werden und die tatsächliche Zahl der Erkrankten deutlich höher liegt.
Eine Sepsis sei daher wie ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt ein medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich behandelt werden müsse, erinnert Dr. Wolfgang Bauer, Notfallmediziner am Campus Benjamin Franklin der Berliner Charité. “Je früher sie erkannt wird, desto besser kann sie behandelt werden.”
Sepsis-Verdacht laut Studie kaum erfasst
Häufig werden Sepsis-Fälle vom Rettungsdienst allerdings nicht erkannt. Das haben Bauer und die Gesundheitswissenschaftlerin Silke Piedmont in einer gemeinsamen Studie herausgefunden.
Dafür haben sie rund 221.500 Rettungsdiensteinsätze in Krankenkassendaten und rund 110.420 Einsätze in sogenannten Rettungsdienstprotokollen des Jahres 2016 in Deutschland analysiert. Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, wie häufig eine Sepsis im Rettungsdienst tatsächlich festgestellt wird und welche Methoden sich dafür besonders eignen.
Hohe Mortalitätsrate
“Die Sepsis wurde viel zu selten und im Falle des nicht-ärztlichen Rettungspersonals kein einziges Mal als Verdacht erfasst”, so Bauer. Notärztinnen und Notärzte dokumentierten demnach nur in 0,1 Prozent der untersuchten Fälle den Verdacht auf einen septischen Schock.
Die Studie zeigt außerdem, dass der Anteil der Patienten im Rettungsdienst, bei denen im Krankenhaus eine Sepsis diagnostiziert wurde (1,6 Prozent), nur leicht unter dem von Herzinfarkten (2,6 Prozent) und Schlaganfällen (2,7 Prozent) lag, es bei der Mortalitätsrate aber deutliche Unterschiede gab. Demnach starben fast 32 Prozent von allen Sepsis-Patienten innerhalb von 30 Tagen nach der Nutzung des Rettungsdienstes, beim Herzinfarkt waren es rund 13 Prozent, beim Schlaganfall rund 12 Prozent.
Rettungsdienstpersonal sollte deutschlandweit eigentlich eine standardmäßige Anweisung haben, Vitalparameter wie Herzfrequenz, Blutdruck, Sauerstoffgehalt im Blut, Körpertemperatur, Atemfrequenz und eine mögliche Veränderung des Bewusstseins zu messen, erinnerte Piedmont, Erstautorin der Publikation und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zentralen Notaufnahme der Charité am Campus Benjamin Franklin. Oft werde aber noch nach Bauchgefühl entschieden.
National Early Warning Score 2 erkennt Fälle
Um das zu ändern, sei zunächst einmal wichtig, dass überhaupt an eine Sepsis als mögliche Diagnose gedacht werde, meint Bauer. Allgemein fehle es noch an Bewusstsein für das Syndrom, auch in der Bevölkerung sei es nicht ausreichend bekannt.
Zu den Symptomen zählten vor allem eine plötzliche Wesens- oder Bewusstseinsveränderung, niedriger Blutdruck und ein schneller oder erniedrigter Puls. Auch eine niedrige Sauerstoffsättigung, Kurzatmigkeit und Hypo- und Hyperthermie seien Merkmale.
Um eine Sepsis zu diagnostizieren, kann das Rettungsdienstpersonal zur Unterstützung verschiedene Messinstrumente nutzen, die Vitalparameter abfragen und daraus Maßnahmen ableiten. Ein Bewertungssystem aus verschiedenen Messungen, das sogenannte National Early Warning Score 2 (NEWS2), erkennt der Studie zufolge fast drei Viertel der Sepsis-Fälle.
In Deutschland werde diese Art der Überprüfung in der Sepsis-Leitlinie aber nicht genannt und kaum eingesetzt. Auch Menschen, für die eine Sepsis nicht tödlich endet, leiden sehr häufig an Lang- und Spätfolgen, wie Piedmont erklärt.
dpa