Berlin. Abhängig davon, wie stark eine Therapie oder eine Grunderkrankung die Immunantwort auf die Covid-19-Impfung einschränkt, sollen Menschen mit Immundefizienz eine Auffrischung mindestens sechs Monate oder mindestens vier Wochen nach Abschluss der Grundimmunisierung erhalten. Dazu rät die Ständige Impfkommission (STIKO).
Im Epidemiologischen Bulletin 39/2021, das am 24. September veröffentlicht wurde, legt die STIKO auch fest, wann eine serologische Untersuchung auf spezifische Antikörper (AK) gegen das SARS-CoV-2-Spike-Protein erfolgen soll. Darüber hinaus nimmt die STIKO ihre bisher ausgesprochene Einschränkung der gleichzeitigen Gabe von Covid-19-Vakzinen und anderen Totimpfstoffen zurück, was insbesondere für die bevorstehenden Grippeimpfungen relevant ist.
Noch kein Wort zu allgemeinen Auffrischungen
Am Freitagvormittag (24.9.) sagte STIKO-Chef Prof. Thomas Mertens gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa), dass die Frage nach der Notwendigkeit einer Covid-19-Auffrischimpfung für Nichtrisikopatienten deutlich schwerer zu beantworten sei als für Menschen mit Immundefizienz. Eine Empfehlung der STIKO für Nichtrisikopatienten werde daher noch einige Wochen dauern.
Zur Erinnerung: Die Gesundheitsminister der Länder hatten schon Mitte August festgelegt, dass neben Patienten mit Immundefizienz unter anderem Bewohner von Pflegeheimen, zu Hause lebende Pflegebedürftige und Über-80-Jährige eine dritte Dosis erhalten sollen. Auch Berufsgruppen mit engem Kontakt zu Pflegebedürftigen zählen zu diesem Kreis.
Schwere der Immundefizienz bestimmt Zeitpunkt
Am Freitagabend (24.9.) veröffentlichte die STIKO dann ihre neue Empfehlung. Demnach sollen nun alle Patienten mit Immundefizienz etwa sechs Monate nach Abschluss der Grundimmunisierung unabhängig davon, mit welchen Impfstoffen diese erfolgte, eine weitere Impfung mit einem m-RNA-Vakzin erhalten. Bei schwerer Immundefizienz (= relevanter Einfluss auf die Impfantwort, s. Tab. 1) soll der Abstand zur Grundimmunisierung in der Regel auf vier Wochen verkürzt werden.
Serologische Überprüfungen der Impfantwort vor und mindestens vier Wochen nach der dritten Impfdosis werden nur bei schwerer Immundefizienz empfohlen.
Der Deutsche Hausärzteverband hatte sich zuvor für ein Vorgehen nach den STIKO-Kriterien ausgesprochen. Es solle nur in relevanten Fällen erneut geimpft werden oder wenn für passende Patienten Impfstoff übrig sei, den die Praxen andernfalls etwa verwerfen müssten.
Wann ist Serologie nötig?
Da bislang nicht bekannt ist, ab welchen AK-Werten auf eine dritte Impfdosis verzichtet werden kann und auch bei guter AK-Lage keine Sicherheitsbedenken gegen eine dritte Impfdosis bestehen, empfiehlt die STIKO derzeit keine generelle Antikörpertestung. Nur bei Patienten mit schwerer Immundefizienz (vgl. rechte Spalte Tab. 1) und entsprechend erwartbar stark verminderter Immunantwort sollen frühestens vier Wochen nach der zweiten Impfdosis (= vor der dritten Impfstoffdosis, am Tag der Impfung möglich) UND frühestens vier Wochen nach der dritten Impfstoffdosis die spezifischen AK gegen das SARS-CoV-2-Spike-Protein bestimmt werden.
Wichtig: Wenn die spezifischen AK vier Wochen nach der dritten Impfung sehr niedrig oder nicht messbar sind, müssen die Patienten darüber informiert werden, dass sie möglicherweise keinen Impfschutz haben.
Kombi mit Grippeimpfung möglich
Zwischen der Gabe von Covid-19-Vakzinen und anderen Totimpfstoffen muss ab sofort kein Abstand (bisherige Empfehlung: 14 Tage) mehr eingehalten werden. Die Injektion soll aber in der Regel in unterschiedliche Gliedmaßen erfolgen.
Somit kann eine Covid-19-Impfung zusammen mit der Grippeimpfung erfolgen. Die STIKO weist darauf hin, dass noch keine Zahlen über die Verträglichkeit bei der gleichzeitigen Gabe vorlägen. Noch nicht veröffentlichte Daten aus Großbritannien hätten aber gezeigt, dass die Reaktogenität bei simultaner Applikation mit Influenzavakzinen nur leicht erhöht sei.
Politik versus Expertise: Deutschland kein Einzelfall
Wie schon bei der Impfung für Kinder und Jugendliche haben die Gesundheitsminister bei den Auffrischimpfungen eine Entscheidung getroffen, ohne eine evidenzbasierte Empfehlung der STIKO abzuwarten. Dies hatte auch der Deutsche Hausärzteverband mehrfach kritisiert.
Die Stellungnahme der STIKO zu allgemeinen Auffrischimpfungen wird daher mit Spannung erwartet. Zumal eine kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie aus Israel positive Effekte gezeigt hat: Eine Auffrischimpfung bei über 65-Jährigen mehr als fünf Monate nach der zweiten Impfung verringerte die Rate bestätigter (Durchbruch-)Infektionen um den Faktor 11,3 und schwere Covid-19-Erkrankungen um den Faktor 19,5.
Wie Impfkommissionen durch politische Entscheidungen ausgehebelt werden können, zeigt ebenso ein aktuelles Beispiel aus den USA zum ACIP, also das amerikanische Pendant zur STIKO: Am 23. September hat das ACIP („Advisory Committee on Immunization Practices“, es berät die Centers for Disease Control and Prevention [CDC]) eine Auffrischimpfung nur für Personen über 65 Jahre, Pflegeheimbewohner sowie Menschen mit Grunderkrankungen mit Risiko für einen schweren Verlauf empfohlen, nicht aber für sog. Frontline-Worker (unter anderem im Gesundheitswesen Tätige sowie Lehrerinnen und Lehrer).
Das ACIP blieb damit hinter der am 22. September von der Food and Drug Administration (FDA) erteilten Zulassung des BioNTech-Impfstoffs für Auffrischimpfungen zurück. Die FDA hat auch Menschen mit beruflich bedingtem hohen Risiko für schwere Covid-19-Erkrankungen eingeschlossen.
Wie die New York Times am 24. September berichtete, hat sich CDC-Direktorin Rochelle Walensky über das Votum der ACIP hinweggesetzt und auch Frontline-Worker in die Booster-Empfehlung aufgenommen. Diese Entscheidung wird als politischer „Boost“ für Präsident Jo Bidens Impfkampagne gewertet. Denn das Weiße Haus war dafür kritisiert worden, dass es mit seinem Impfprogramm der Entscheidung von FDA und CDC vorgegriffen hatte.