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Hausarzt MedizinAlkohol: Leitlinien setzen auf Hausärzte

Seit Februar 2015 gibt es in Deutschland erstmals eine interdisziplinäre S3-Leitlinie zu „Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen.“ Insbesondere bei der Früherkennung, aber auch bei der Therapie von Patienten mit schädlichem Gebrauch von Alkohol und in frühen Stufen der Abhängigkeit hat der Hausarzt große Einflussmöglichkeiten.

Knapp zwei Millionen alkoholabhängige Patienten gibt es in Deutschland. Dazu kommt eine ähnlich hohe Zahl von Menschen mit schädlichem Alkoholkonsum. „Diese erfüllen noch nicht die Kriterien der Abhängigkeit, haben aber bereits somatische Schäden wie etwa eine Ösophagitis, eine Gastritis oder eine Fettleber“, betont Professor Karl Mann vom Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Weitere sechs Millionen Menschen praktizieren einen riskanten Alkoholkonsum, nehmen also mehr als 24 Gramm Alkohol (Frauen: 12 Gramm) pro Tag zu sich.

Trotz dieser Zahlen sind nur etwa 200.000 Menschen wegen Alkoholabhängigkeit in spezialisierter Behandlung. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass es hinsichtlich der Diagnose und der Behandlungsoptionen Unsicherheiten gibt. Hier setzt die Anfang Februar 2015 vorgestellte S3-Leitlinie „Alkoholbezogene Störungen: Screening, Diagnose und Behandlung“ an. Sie wurde unter dem Dach der AWMF verfasst von 54 Fachgesellschaften und Organisationen, darunter die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) und die Bundesärztekammer.

Die neue Leitlinie äußert sich unter anderem zu den sehr hausarztrelevanten Themen Screening, präventiv ausgerichtete Kurzinterventionen sowie Entwöhnungstherapie bei Menschen mit schädlichem oder riskantem Konsum (Details dazu im Interview). Weitere Abschnitte behandeln den qualifizierten Entzug sowie die postakuten Therapien.

Bei der Entzugsbehandlung wird in Deutschland die akute Entgiftung mit einer Psychotherapie kombiniert. Dieses „qualifizierte“ Konzept gebe es in angloamerikanischen Ländern in dieser Art nicht, sagte Professor Dr. Norbert Wodarz von der Abteilung Suchtforschung der Universität Regensburg beim Deutschen Suchtkongress in Berlin. Für die deutsche S3-Leitlinie ist es trotzdem der Standard. Nachdem es vergleichsweise wenige große Studien dazu gebe, seien die entsprechenden Passagen allerdings überwiegend als klinischer Konsens formuliert, so Wodarz.

Ein qualifizierter Entzug kann ambulant oder stationär erfolgen. Besteht das Risiko von Entzugsanfall oder Entzugsdelir, dann ist die stationäre Therapie die bessere Wahl. „Eine wichtige Frage dabei ist, ob so ein Ereignis schon einmal aufgetreten ist“, so Wodarz. Ist das nicht der Fall, kann im Prinzip ambulant entzogen werden, sofern die jeweilige Einrichtung damit Erfahrung hat.

In der Postakutbehandlung wird in der Leitlinie mit höchstem Evidenzgrad die Abstinenz als primäres Therapieziel angesehen. Nur dann, wenn eine Abstinenz nicht möglich ist oder wenn schädlicher bzw. riskanter Konsum vorliegt, kann auch die Reduktion der Trinkmenge als Therapieziel angestrebt werden.

Dabei sollte die Entscheidung für oder gegen eine Therapie nicht vom Alter abhängig gemacht werden, betonte Peter Missel vom Verhaltensmedizinischen Zentrum für Seelische Gesundheit der AHG Kliniken Daun. Dies gilt nicht nur für die postakuten Therapien, sondern auch für die Entwöhnungen bei schädlichem oder riskantem Konsum. Dass diese Entwöhnungen im Alter nichts mehr brächten, sei eine Legende: „Solche Behandlungen sollten älteren Menschen im Gegenteil mit Verweis auf die überdurchschnittlich gute Therapieprognose angeboten werden“, so Missel.

Neben seiner Rolle als Diagnostiker und Therapeut kommt dem Hausarzt über das gesamte Spektrum der alkoholbezogenen Störungen hinweg eine Lotsenfunktion zu. „Wenn eine suchtmedizinische Beratung nötig wird, muss der Hausarzt in der Lage sein, Empfehlungen zu geben bzw. Termine zu vereinbaren“, so Professor Karl Mann. Auch Selbsthilfegruppen sind erfolgsträchtiger, wenn der Arzt sie aktiv empfiehlt. Der pauschale Verweis auf die Anonymen Alkoholiker ist dabei oft nicht ausreichend: „Es gibt praktisch überall unterschiedliche Arten von Selbsthilfegruppen, die der Arzt kennen sollte, um Alternativen aufzeigen zu können, wenn es mit einer Gruppe nicht klappt“, so Mann. Für enorm hilfreich hält der Experte Angehörigengruppen, die Familien im Umgang mit alkoholkranken Familienmitgliedern unterstützen können. Auch hier ist der Hausarzt ein optimaler Impulsgeber.

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