Die Rehabilitation an sich war Ende der 1980er-Jahre in Kritik geraten. Es gebe kaum wissenschaftliche Grundlagen, es fehle an Konzepten zur Weiterentwicklung und an Einbindung in die medizinische Gesamtversorgung. Demgegenüber stand aufgrund des demographischen Wandels sowie der verlängerten und veränderten Arbeitswelt der faktische Reha-Bedarf.
Die Anfänge der ambulanten Reha gestalteten sich zunächst schwierig: Konzepte mussten erarbeitet und erprobt, Akzeptanz geschaffen werden. Der Ausbau der ambulanten Rehabilitation wurde innerhalb der Rentenversicherung in Bezug auf geeignete Personengruppen diskutiert und spezifische Kriterien für die Reha-Fähigkeit gesetzt [1].
Erst mit den Jahren konnte sich die ambulante Reha von anfänglichen Vorurteilen befreien und zeigen, dass sie ebenso umfangreiche Leistungen wie die stationäre Rehabilitation bietet, einzig mit dem Unterschied, dass Patienten nach fünf bis sechs Stunden Therapie, Beratung und ärztlicher Betreuung nach Hause gehen und im eigenen Bett schlafen. Viele Patienten sehen mittlerweile die Vorteile der ambulanten Form. Zahlreiche Untersuchungen und Qualitätsmessungen zeigen dies eindrücklich. Indem Angehörige, Beruf, soziales Umfeld und Ärzte vor Ort in die Therapie einbezogen werden können, wirkt die ambulante Reha in den Alltag hinein und erleichtert die Wiedereingliederung.
Die Behandlungen und Therapien werden von einem multi professionellen Reha-Team angeboten. Sie erstrecken sich von fachärztlicher Behandlung über Physio-, Ergo-, Sport- und physikalischer Therapie bis hin zu psychologischer Betreuung sowie Ernährungs-, Sozial- und Arbeitsplatzberatung. Ursprünglich in der Indikation Orthopädie angeboten, hat sich die ambulante Reha längst in weiteren Indikatio nen etabliert.
Ambulant vor stationär
Die Vorgabe des Gesetzgebers lautet „ambulant vor stationär“. Paragraf 9 SGB IX räumt den Leistungsberechtigten aber ein Wunsch- und Wahlrecht ein. So breitgefächert die Möglichkeiten, so vielfältig und verschieden auch die Patienten. Die Beweggründe, sich für eine ambulante Reha zu entscheiden, sind mannigfaltig, wie das Beispiel von Natalie S., 31 Jahre, aus Tübingen, zeigt. Sie war nach der Operation eines Nebennierentumors völlig erschöpft und sowohl körperlich als auch seelisch an einem Tiefpunkt angekommen.
Ganz besonders schwer war ihr die Trennung von ihrem Kind und der Familie während des Klinikaufenthalts von über zwei Wochen gefallen. Trotzdem oder gerade deswegen stand für sie fest, dass sie eine Rehabilitation durchlaufen musste, um wieder Boden unter die Füße zu bekommen. „Für mich war die Kombination aus zu Hause zu sein und dennoch eine Rehabilitation zu absolvieren super“, betont die junge Mutter. „So wurden mir vielfältige Angebote aus Krankengymnastik und Sporttherapie zuteil, ich konnte Entspannungstherapien kennenlernen und Vorträge besuchen, ohne auf meine Familie verzichten zu müssen.“
Erleichtert erzählt die junge Frau, dass sie endlich wieder zugenommen habe und durch das Ausdauertraining eine gute Kondition aufbauen konnte. „Bedenken hatte ich vor der Rehabilitation vor den psychologischen Gesprächen“, erzählt Natalie S. im Rückblick. „Jetzt im Nachhinein weiß ich, dass die Gespräche für mich persönlich und für die Verarbeitung meines Schocks aufgrund der Diagnose absolut wichtig waren. Ich gehe jetzt an so manches anders heran. Auch mit dem Stress, den ich mir vor der Erkrankung immer gemacht habe, gehe ich jetzt ganz anders um. Und das Wichtigste für mich ist, dass ich jetzt wieder Zuversicht für mein Leben habe“, ist ihr Resümee.
Nachsorgeprogramme
Im Lauf der 20 Jahre wurde das Angebot um Reha-Nachsorgeprogramme der Deutschen Rentenversicherung (DRV) erweitert. In 24 bis 36 Einheiten (je 90 Minuten) werden die Ergebnisse der Rehabilitation gefestigt. Das jüngste Programm der DRV ist das Präventionsprogramm BETSI (Beschäftigungsfähigkeit teilhabeorientiert sichern), mit dem sich dieser Kostenträger erstmals in der Prävention engagiert.
Qualitätsstandards
Alles in allem hat sich das breitgefächerte ambulante Angebot in die Richtung entwickelt, welche die Kostenträger ursprünglich vorgesehen hatten. Längst haben sich Qualitätsstandards durchgesetzt, therapeutische Leistungen der ambulanten Anbieter werden durch die Rentenversicherung klassifiziert und ausgewertet. Einrichtungen für ambulante Rehabilitation schneiden dabei im Vergleich zu stätionären Rehakliniken stets überdurchschnittlich gut ab, was den ambulanten Gedanken an sich bestätigt.
Viele Einrichtungen haben überdies den Prozess der Zertifizierung durchlaufen und tragen Qualitätssiegel. „Menschen mit einer neuen Idee gelten so lange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat“ – Mark Twain hat auch im Fall der ambulanten Rehabilitation Recht behalten – 20 Jahre sprechen für sich.
Fazit
Für eine ambulante Reha sprechen außer des Alltagsbezugs und der Einbindung von Ärzten, weitere Punkte: Durch Reha-Nachsorgeprogramme und nachfolgende Rezeptbehandlungen ist die Therapie langfristig und aus einer Hand möglich. Viele ambulante Reha-Zentren arbeiten außerdem indikationsübergreifend, was eine ganzheitliche Sichtweise ermöglicht.
Ambulante Reha beantragen
Reha vor Rente“ und „Reha vor Pflege“ – nach diesen gesetzlichen Leitsätzen ist die ambulante Rehabilitation entgegen der landläufigen Meinung unabhängig vom Alter für jeden möglich, ob mit oder ohne vorangegangenem Krankenhausaufenthalt. Im Fokus stehen Fragen nach gravierenden Funktionsstörungen, die eine erhebliche Gefährdung des Erwerbslebens mit sich bringen, die Teilnahme am Alltag behindern oder gar Pflegebedürftigkeit nach sich ziehen.
Chronische Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, berufliche Belastungen, neurologische und muskuläre Ausfallerscheinungen gehören ebenso in den ärztlichen Befundbericht zum Reha-Antrag wie zusätzliche Erkrankungen, Übergewicht, psychosomatische Beteiligung, fehlendes Krankheitsverständnis oder Abusus. Kostenträger der medizinischen Rehabilitation sind Rentenversicherungsträger oder Krankenkassen.
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Erstere für Patienten, die im erwerbsfähigen Alter sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen (Befundbericht G1204 der DRV, Honorarabrechnung G600; www.deutsche-rentenversicherung.de/formulare).
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Ansprechpartner für Patienten, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen oder bereits Altersrente beziehen, sind die Krankenkassen (Formular 61).
Die Einleitung der Rehabilitation kann über Hausärzte erfolgen. Bei Anträgen an die Deutsche Rentenversicherung ist dies von jeher möglich. Auch bei der Antragstellung an Krankenkassen gibt es positive Entwicklungen: Die bisherige Regelung, wonach diese Anträge ausschließlich von Ärzten mit spezifischer Fortbildung gestellt werden können, entfällt ab April 2016.
1. Clausing, Wille: Ambulante medizinische Rehabilitation, ein Begriff mit vielen Gesichtern. DAngVers. 1994;41(12):434-437