Der in Stuttgart geborene Sohn des späteren württembergischen Ministerpräsidenten Karl Weizsäcker und Onkel des Bundespräsidenten Weizsäcker studierte ab 1904 in Tübingen, Freiburg und Berlin Medizin, promovierte in Heidelberg mit einer Dissertation über die Fließeigenschaften des Blutes bei Anämie und habilitierte sich 1917 in Innerer Medizin nach einer siebenjährigen Assistentenzeit bei Ludolf von Krehl an der Medizinischen Klinik in Heidelberg über die Physiologie des Herzmuskels.
Nach mehreren Hospitationen, unter anderem beim späteren Nobelpreisträger Archibald Vivian Hill in Cambridge, erhielt er 1941 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Neurologie nach Breslau und ging 1945 zurück nach Heidelberg. Dort richtete die Medizinische Fakultät für ihn einen Lehrstuhl für „Allgemeine klinische Medizin“ ein, den er bis zu seiner frühen Emeritierung 1952 (als Folge einer Parkinson’schen Erkrankung) inne hatte.
Viktor von Weizsäckers Lebenswerk ist durch eine mehr als 6.000 Seiten umfassende zehnbändige Gesamtausgabe des Suhrkamp-Verlages dokumentiert (die auch als Quelle dieses kurzen Artikels diente). Unter dem Begriff „Gestaltkreis“ entwickelte von Weizsäcker auf der Grundlage der Erkenntniskritik von Immanuel Kant eine biologische Theorie, in der er davon ausgeht, dass sich jedes Lebewesen in ständigem Dialog und in permanenter Wechselwirkung mit seiner Umwelt befindet. Eine objektive Organismus- und Umweltbeschreibung sei ohne reduktionistischen Experimentalansatz nicht möglich, weil durch methodische Prägungen der Betrachtungen und Experimente und durch Vorinformationen die Ergebnisse der Umweltbetrachtung mit beeinflusst werden. Jede Bewegung der betrachtenden Subjekte verändere die Umwelt, die einer objektiven Beschreibung dadurch nicht immer zugänglich ist.
Auf diese Grundüberlegungen baut von Weizsäcker das System seiner anthropologischen Medizin auf, in das er alle Aspekte zu integrieren sucht, die das Leben und damit auch die Krankheiten mitbestimmen. Dabei favorisiert er die historische Beschreibung des individuellen Lebenslaufes des Kranken, mit dem Ziel, Regeln für den Umgang mit Krankheit und Gesundheit zu finden. Zusammen mit von Uexküll et al. hat von Weizsäcker durch seine Arbeiten wichtige Grundlagen der Psychosomatik und Allgemeinmedizin geschaffen.
Die seit Sigmund Freud entwickelte psychologische Medizin wird akzeptiert und die Bedeutung der Patient-Arzt-Interaktion für Erkennung und Behandlung von Erkrankungen hervorgehoben. Eine ausschließlich objektiv naturwissenschaftlich – physikalisch begründete Krankheitslehre wird daher konsequent abgelehnt aber pragmatisch akzeptiert, sofern sie nützlich ist und nicht schadet. Nach von Weizsäcker sind philosophische, soziale und selbst religiöse Aspekte für den Umgang der Ärzte mit Krankheiten und Patienten unverzichtbar. Als Beleg für seine These dient ihm die Beschreibung der Experimente durch Ärzte in den Konzentrationslagern. Deren naturwissenschaftliche Denkansätze seien oft schlüssig gewesen. Experimentelle Medizin ohne Moral sei dennoch abzulehnen.
Viktor von Weizsäcker fand viele Unterstützer und Kritiker. Zu letzteren zählte Karl Jaspers. Dessen ungeachtet sollte die zeitgenössische akademische Allgemeinmedizin sich fragen, ob naturwissenschaftlich richtige Pathophysiologie und randomisierte kontrollierte Studien für sie als Grundlage ausreichen.