"Ich verspreche, die Autonomie und Würde meines Patienten zu respektieren." Es sind wenige, doch bedeutende Halbsätze, die stellvertretend sind für das ärztliche Selbstverständnis – und dafür, wie sich dieses im Laufe der Zeit verändert hat. Denn während der Patient im Hippokratischen Eid eine rein passive Rolle eingenommen hat, ist der Patientenwille in der modernsten Fassung des Ärztegelöbnisses eine feste Größe.
Dass der Berufsethos dieses sich wandelnde Selbstverständnis aufgreift und daher fortlaufend aktualisiert wird, befürwortet Prof. Andreas Ebert deutlich. "Im Praxisalltag kann ein Gelöbnis Orientierung bieten und Ideale vor Augen halten." Etwa, wenn Patienten ohne Übergabe unter Berücksichtigung ihrer Autonomie vom stationären in den ambulanten Sektor übergeben würden: "Das ist eine Katastrophe", betont der niedergelassene Gynäkologe. "Denn die empathische Bindung zwischen Arzt und Patient ist das A und O." Seine Sicht auf das Wirken zwischen Medizin, Moral und Ökonomie hat er jüngst bei einem Symposium der Kaiserin Friedrich-Stiftung vorgetragen.
Teil der ärztlichen Berufsordnung
In Deutschland werden heute weder der Hippokratische Eid noch seine moderne Version, das Genfer Gelöbnis, nach der Approbation verpflichtend geleistet. In medizinethischen Fragen werden sie jedoch nicht nur im wissenschaftlichen Kontext immer wieder als Richtlinie angeführt. "Auf der ganzen Welt berufen sich Ärzte auf das Genfer Gelöbnis. In vielen Ländern ist es Teil der ärztlichen Berufsordnung, in manchen hat es sogar Gesetzescharakter", erklärt Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer.Hierzulande ist das Dokument Bestandteil der Berufsordnungen der Ärzte.
Die 1948 verfasste Deklaration wird daher regelmäßig revidiert – zuletzt vergangenen Herbst.
Im Oktober hat der Eid auf der Generalversammlung des Weltärztebundes (WMA) nach Ansicht des Tübinger Medizinethikers Prof. Urban Wiesing seine "wichtigste und umfangreichste Überarbeitung" erfahren. Seither steht erstmals die Autonomie des Patienten im Gelöbnis. Laut Wiesing war das ein längst überfälliger Schritt. Der Internist und Philosoph war selbst an der Überarbeitung beteiligt.
Bei einem Blick in die Neufassung zeigt sich, dass diese durchaus konkrete Anstöße beinhaltet. Als ethische Größe etwa kann der Eid herangezogen werden, um junge Ärzte für eine verantwortungsvolle Berufsausübung zu sensibilisieren. Später dann, für die eigene Niederlassung, geloben Ärzte etwa, sich auch um ihre eigene Gesundheit zu kümmern. "Es gibt gute Belege, dass überarbeitete oder kranke Ärzte in der Gefahr stehen, keine gute Medizin zu praktizieren", so Wiesing.
Patienten angemessen aufklären
Gleichzeitig ruft die neue Fassung zu mehr Transparenz und Kommunikation auf. "Ich werde mein medizinisches Wissen zum Nutzen der Patienten (…) teilen." Dies kann als explizite Aufforderung gelesen werden, Patienten angemessen über Diagnosen und Therapien zu informieren. Besonderes Gewicht gewinnt der Eid damit in Extremsituationen. In der Palliativmedizin etwa, wenn medizinische Möglichkeiten und subjektive Bedürfnisse austariert werden müssen. "Denn das Wohl und der Wille des Patienten müssen nicht immer übereinstimmen", erklärt Prof. Hans- Peter Vogel, Vize-Geschäfsführer der Kaiserin Friedrich-Stiftung. "In den letzten Jahrzehnten ist es auch rechtlich zu einer Stärkung des Patientenwillens gekommen. So können Entscheidungen getroffen werden, die gegen sein aus ärztlicher Sicht wohlverstandenes Interesse sind." Spätestens dann könne es helfen, ethische Grundpfeiler schwarz auf weiß vorliegen zu haben. J. Kötter
Ein Gelöbnis im Laufe der Zeit
Der Eid des Hippokrates
erstmals im 1. Jahrhundert bezeugt
"Ich schwöre bei Apollon dem Arzt und bei Asklepios, Hygieia und Panakeia sowie unter Anrufung aller Götter und Göttinnen als Zeugen, dass ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil diesen Eid und diesen Vertrag erfüllen werde: (…) Die diätetischen Maßnahmen werde ich nach Kräften und gemäß meinem Urteil zum Nutzen der Kranken einsetzen, Schädigung und Unrecht aber ausschließen. Ich werde niemandem, nicht einmal auf ausdrückliches Verlangen, ein tödliches Medikament geben, und ich werde auch keinen entsprechenden Rat erteilen; ebenso werde ich keiner Frau ein Abtreibungsmittel aushändigen. (…) Auf keinen Fall werde ich Blasensteinkranke operieren, sondern ich werde hier den Handwerkschirurgen Platz machen, die darin erfahren sind. (…) Zum Nutzen der Kranken will ich eintreten und mich von jedem vorsätzlichen Unrecht und jeder anderen Sittenlosigkeit fernhalten, auch von sexuellen Handlungen mit Frauen und Männern, sowohl Freien als auch Sklaven. (…)
Genfer Deklaration des Weltärztebundes
im September 1948 verabschiedet und zuletzt 2017 geändert
"(…) Ich gelobe feierlich, mein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen; Die Gesundheit und das Wohlbefinden meines Patienten wird oberstes Gebot meines Handelns sein; Ich werde die Autonomie und Würde meines Patienten respektieren; (…) Ich werde mich in meinen ärztlichen Pflichten meinem Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Glaubensbekenntnis, ethnische Herkunft, Geschlecht, Nationalität, politische Zugehörigkeit, "Rasse", sexuelle Orientierung, soziale Stellung oder andere Faktoren; (…) Ich werde mein Wissen zum Wohle des Patienten und zur Förderung der Gesundheitsversorgung einsetzen; Ich werde auf meine eigene Gesundheit, mein Wohlbefinden und meine Fähigkeiten achten, um auf höchstem Niveau zu behandeln; Ich werde mein medizinisches Wissen nicht dazu verwenden, Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten zu verletzen, selbst unter Bedrohung; Dies alles verspreche ich feierlich und frei auf meine Ehre."