Trauer ist kein Problem, sondern die Lösung. Das sagen Trauerbegleiter und Psychotherapeuten Menschen, die einen großen Verlust hinnehmen mussten: durch einen Verkehrsunfall, einen Suizid in der Verwandtschaft, den Verlust von Haus und Hof, der Arbeitsstelle, durch eine Ehescheidung oder einfach durch den Verlust des geliebten Haustieres.
Viele der trauernden Menschen wenden sich dann an ihre Hausarztpraxis. Und das Schlechteste, was eine Hausärztin oder ein Hausarzt dann unternehmen kann, ist der Versuch, die Trauer zu beenden.
Es gehe vielmehr darum, sie zu ermöglichen, sagt Cordelia Wach vom Hospizdienst im Niedersächsischen Oldenburg. Doch welche Haltung brauchen Hausärzte, um Trauernden gerecht zu werden?
Trauer verläuft nicht linear
“Trauer hat viele Gesichter”, erklärt Wach. Gefühle wie Zorn, Verzweiflung, Mutlosigkeit oder depressive Verstimmungen tauchen immer wieder unvermittelt in Wellen auf.
“Es gibt aber keine generelle Definition von Trauer”, betont Wach. Klar ist: Die intensiven Gefühle sind im Rahmen der Trauerverarbeitung “eine gute und gesunde Reaktion”, sagt Wach.
In der Vergangenheit folgten Trauerbegleiter oft festen Phasenmodellen. Das erste Modell dieser Art, aus dem Jahr 1969, dürfte von der US-Schweizerischen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross stammen.
Sie identifizierte in ihrem Buch “Interviews mit Sterbenden” fünf aufeinanderfolgende Phasen des Abschieds und der Trauer: das Nicht-wahrhaben-Wollen des Verlusts, die Wut über ihn, das Verhandeln, die Depression und schließlich die Akzeptanz. Trauer hat hier also einen festen Ablauf und ein definiertes Ende.
“Aber heute wissen wir: Trauer verläuft nicht linear”, erklärt Wach, “sie kommt und geht in Schüben.” Trauer sei ein facettenreicher Prozess, der sich bis zu einem Jahr oder länger hinziehen kann. Es sei besser, nicht auf das Loslassen oder Beenden der Trauer hinzuwirken, sondern ihr Raum zu geben.
Trauer brauche vor allem Zeit und eine akzeptierende und wertschätzende Haltung der Begleitperson, sagt Wach. Denn Trauernde wollen in ihrer Situation ernst genommen werden.
Genau hier können Hausärzte – trotz voller Wartezimmer und knappen Zeitbudgets – etwas tun, um Trauernde zu unterstützen. Denn Hausärztinnen und Hausärzte helfen oft schon allein dadurch, dass sie die Betroffenen schon seit Jahrzehnten betreuen und in Krisenzeiten eine Nähe herstellen können, wie sonst kaum jemand.
Davon abgesehen sei auch eine Adressliste von Trauergruppen oder Trauerbegleitern hilfreich, an die sich die Betroffenen wenden können, sagt Wach.
Persönliche Erfahrungen verbinden
Aber die größte Hilfe können wohl diejenigen Ärztinnen und Ärzte leisten, die ihre eigenen Trauererfahrungen reflektiert haben. Zum Beispiel Dr. Klaus Korte aus Ahrbrück.
Der Ort liegt im von der Flut 2021 verheerend getroffenen Ahrtal: Verwüstung ganzer Orte, 180 Tote und Tausende Obdachlose. “Fast jedes Gespräch in meiner Praxis beginnt immer noch mit den Folgen der Flut”, berichtet Korte.
Immer noch werden die Patientinnen und Patienten von den furchtbaren Bildern von Tod und Zerstörung in ihrem Tal verfolgt. “Dazu gehören zum Beispiel die Gesichter der Menschen, die vom Wasser in ihren Autos eingeschlossen in Todesangst schrien.”
Auch Kortes Kollege in der Praxis hat durch die Flut Frau und Kind und Haus und Hof verloren. “Ich hatte Praxisangestellte, die haben alles, einfach alles verloren”, so Korte. “Auch meine eigene Praxis wurde komplett zerstört.”
Durch die gemeinsame Betroffenheit ist Korte aber auch noch näher an seine Patienten herangerückt, wie er berichtet: “Sie sind mir viel enger ans Herz gewachsen.” Und die Erfahrung von Nähe und Solidarität wirkt auf die Trauernden heilend.
Trauer zu teilen, hilft
Ulf Leonhard aus Potsdam hat erlebt, wie wichtig die Betreuung von Trauernden in der Hausarztpraxis sein kann. Vor zwei Jahren hat er seine Frau an Krebs verloren. “Aber niemand hat mir etwas über Trauer sagen können”, berichtet er.
Da hat er sich an die Hausärztin und Palliativmedizinerin seiner Frau gewandt. “Sie hat sich die nötige Zeit für mich genommen”, sagt Leonhard, “und mir einen Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik vermittelt, der mich sehr unterstützt hat.”
Heute verarbeitet Leonhard seine Trauer auch über seine Webseite www.esgehtjaweiter.de. Er sagt: “Mir geht es darum, was wirklich wichtig ist – Austausch, Werte, Lebensfreude.”
Auch die Hausärztin Ute Hartenstein aus Weinböhla im Landkreis Meißen weiß, wie ihre Patientinnen und Patienten leiden, wenn sie in Trauer in ihre Praxis kommen.
Denn auch Hartenstein musste schmerzhafte Verluste hinnehmen. “Das Elbehochwasser 2002 hat mich als junge Ärztin heimgesucht, in meiner Wohnung stand ein halber Meter Elbe”, berichtet sie.
“Ich hatte das Gefühl, da schwimmt mein ganzes Leben davon. Das war wirklich wie eine Entwurzelung, ein Gefühl, das noch einmal hochkam, als ich von der Flut an der Ahr erfahren habe. Ich konnte den Verlust gut nachfühlen.” Auch die sächsische Ärztin hat erlebt, dass es heilsam ist, die Trauer einfach zu teilen, statt gegen sie vorzugehen.
“Wir sind keine Götter in Weiß”
Zugleich warnt Hartenstein davor, die ärztliche Aufgabe in der Arbeit mit Trauernden zu überschätzen. “Was vor allem hilft, sind meiner Meinung nach die Netzwerke, die Nachbarschaften und Familien.
Mit Hilfe dieser Beziehungen schaffen es viele Betroffene auch, die Trauer zu überwinden.” Schließlich sei Trauer keine Krankheit, die der Hausarzt behandeln müsste, betont sie.
“Im Übrigen sind wir keine Götter in Weiß, die immer Rat wüssten”, sagt Hartenstein. “Manchmal, wenn wir Ärzte nicht weiter wissen, ist es gut, den Patienten zu zeigen, dass wir gedanklich und emotional aus den eigenen Trauerfahrungen heraus bei ihnen sind, auch wenn wir gerade keine Lösung für sie haben.”