Todkranke wissen meist um Ihr Schicksal. Sie wollen es nicht wahrhaben oder zeigen nicht, dass sie um die Schwere ihrer Erkrankung wissen, und nehmen häufig Rücksicht auf ihre Familie. Wer mit dem Leben abschließen muss, wird meist überaus stark und kurz vor dem Tod euphorisch. Die Lebensgeister werden noch einmal überaktiv. Selten ist dann noch Angst vor dem Tod vorhanden, sondern nur vor dem unklaren, unbekannten Sterbevorgang. Dieses Phänomen ist weltweit zu beobachten. Die Seele stirbt nie und sie weiß, wann der irdische Körper sie loslassen muss. Die erfüllte Seele wird ruhig. Gedanken über ihr gelebtes Leben verstummen meist und machen der Hoffnung auf Erlösung Platz.
Wenn bei diesen Patienten noch Wochen zuvor Gedanken über das, was er hätte besser machen können, sehr präsent waren, tritt jetzt Seelenruhe ein. Bei Hausbesuchen ließen die meisten Hausarzt und oft auch Pfarrer an der Nachverarbeitung ihres Lebens teilhaben. Am häufigsten genannt wurden: Meine Freundschaften sind zu kurz gekommen, meine Familie musste zu sehr hinter meiner Arbeit zurückstehen, ich hätte mir Freude und Gutes gönnen sollen. Ich habe nie meine wahren Gefühle gezeigt, nie zu meinem Selbst gefunden. Stattdessen wollte ich nur meiner Umwelt gefallen. Ich habe immer „später“ gesagt. In einem neuen Leben würde ich das besser machen.
Angehörige, Freunde und Kollegen wollen den sterbenden Menschen oft nicht gehen lassen. Dabei denken sie natürlich auch an ihren Verlust. Das macht dem Sterbenden das Gehen häufig schwer. Es wurde mir mehrfach deutlich vor Augen geführt, dass scheidende Seelen noch alles versuchen, dass ihre Botschaft, ihre Energie, ihr Trost, ihr Rat und ihre Liebe bei ihren Lieben zurückbleiben können. Meist wird so das Schicksal weitergegeben und der Auftrag an die Nachwelt, das Werk des Verstorbenen zu verwalten.
Oft ist aber von den Zurückbleibenden auch nach der notwendigen Trauer über Jahre noch Jammern zu hören. Das ist das Selbstmitleid des Alleingelassenen, das kaum noch Bezug zum Verstorbenen hat. Dieser hat doch alle positive Energie seinen Angehörigen hinterlassen. Es sind die starken Gedanken, die immer bei den Angehörigen bleiben. Jeder, der einen geliebten Menschen verliert, verfügt über dessen gute Geister und Kräfte. Er ist nicht geschwächt. Die Macht der Dankbarkeit für das, was man erleben durfte, ist stark und überdauert den Tod.
Wer aber zu Lebzeiten bereits durch einen bestimmten Mitmenschen geschwächt wurde, kann dessen Seelenerbe natürlich auch ablehnen. Diese Menschen blühen häufig nach dem Tod des Angehörigen zusehends auf. Sie leben endlich das Leben ihrer eigenen Bestimmung. Die Gespräche zu solchen Fragen werden häufig in der Hausarztpraxis geführt. Die Entscheidung, sich innerlich von einem Menschen zu trennen, das eigene Leben zu führen, ist wichtig für die künftige Selbstindividuation. Für Menschen, die ohne den verstorbenen Partner aber nicht glücklich weiterleben können, ist es ratsam, den Verstorbenen mit Bildern und Selbstgesprächen täglich präsent zu halten. Das kann auch ein Weg sein.
Weitere Serien-Folgen:
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Teil 1: Jeder Patient ein Geschenk
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Teil 2: Meine ländlichen Patienten