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ReiseberichtBonjour, Toulouse!

Die südfranzösische Stadt an der Garonne ist wie ein spritziger Cocktail aus Lebenskunst und Kulturerbe. Sie lockt mit Tradition, technischem Fortschritt und mit einem genussreichen Twist. Vor allem aber mit viel Sinn für Sinnlichkeit.

Toulouse: Als „La Ville Rose“ bezeichnet sich die Stadt an der Garonne.

Toulouse. Traumstadt. Trendmetropole. Als “La Ville Rose” bezeichnet sich die Stadt an der Garonne. Dabei taucht das Nachmittagslicht die typischen Backsteinfassaden nicht in ein zart-zurückhaltendes Rosarot, sondern in ein leuchtendes Orange-Rot. Als würde die Hauptstadt Okzitaniens von innen heraus glühen. Toulouse strotzt nur so vor Energie.

Auf halber Strecke zwischen Mittelmeer und Atlantik, mit den Pyrenäen in Sichtweite, trifft südeuropäische Lebenslust auf wissenschaftlichen Elan, eine dynamische Wirtschaftsmetropole auf jahrtausendealte Geschichte.

Lebhafter Mittelpunkt der Stadt ist schon immer der von roten Arkadenbauten gesäumte Place du Capitole mit dem Rathaus, wo seit über 800 Jahren die Geschicke der Stadt bestimmt werden. Auf dem Platz ist ein 18 Meter breites okzitanisches Bronzekreuz in den Boden eingelegt, Sinnbild jener Verwaltungsregion, die 2016 durch den Zusammenschluss von Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées entstand.

Der Name geht auf eine historische Kultur- und Sprachregion zur Zeit der Antike im Südwesten Europas zurück. Das Okzitanische schwirrt genauso durch die Straßen von Toulouse wie ein fröhliches Kauderwelsch aus Englisch, Französisch und einem halben Dutzend anderer Sprachen.

Mit rund 450.000 Einwohnern Frankreichs viertgrößte Stadt, dazu kommen fast 100.000 Studenten. Keine Stadt in Frankreich ist in den letzten Jahren schneller gewachsen. Tendenz steigend. Das schlägt sich in teuren Immobilienpreisen nieder, aber es wird seitens der Stadtregierung auch viel investiert.

3.000 neue Wohnungen sind etwa gerade im neuen Eco-Quartier La Cartoucherie am linken Garonne-Ufer entstanden, eine nagelneue Stadtseilbahn ergänzt seit Kurzem den öffentlichen Personentransport, eine dritte U-Bahnlinie ist bereits im Bau.

In keiner anderen europäischen Stadt arbeiten mehr Angestellte und Wissenschaftler der Luft- und Raumfahrttechnik als hier. Allein beim Giganten Airbus sind es 27.000, dazu kommen 400 größere und kleinere Zulieferfirmen.

Die Stadt gehört zu den bedeutendsten Luftfahrtzentren der Welt. Das prägt: Während andere Städte ihr Selbstverständnis immer noch in erster Linie aus Geschichte, Kultur und Tradition ziehen, hat Toulouse sein Portfolio längst erweitert.

Der Geschmack des Südens

Immer schon drängt Toulouse mit großen Schritten in die Zukunft. Auch 1959 fackelte man nicht lange. Für mehr Parkplätze in der Innenstadt wurde die alte Markthalle, eine schöne dreischiffige Glas- und Stahlkathedrale von 1896, abgerissen. Stattdessen setzte man einen fünf Stockwerke hohen Betonklotz mitten in die Altstadt. Oben drei Etagen Parkhaus, im Erdgeschoß zogen wieder die Lebensmittelhändler in den Marché Victor Hugo ein.

Wie vorher in der alten Halle, florierte “der Bauch von Toulouse” weiter prächtig. “Auf diesem Markt gibt es die besten Produkte aus ganz Okzitanien,” schwärmt Michel Sarran, mit zwei Michelin-Sternen der führende Koch der Stadt.

Käse in allen Variationen, Meeresfrüchte und Fische, Confits und Pasteten – feinste Spezialitäten verführen dazu, sich wie Gott in Frankreich zu fühlen. In fünf Restaurants im Obergeschoss wird aufgetischt, was die Stände im Markt zu bieten haben.

Kulinarischer Genuss wird neuerdings auch in der Gastro- und Freizeithalle “Les Halles de la Cartoucherie” auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsfabrik zelebriert. Marktstände und Straßenküchen sind dicht umlagert. Im “Cassoularium” dreht sich für Gastronom Remy Monceret alles um das Nationalgericht Cassoulet.

“Das Rezept variiert von Koch zu Koch”, erklärt der sympathische 39-Jährige mit dem dichten schwarzen Vollbart. Auf jeden Fall aber gehören große weiße Bohnen, Entenconfit und die Saucisse de Toulouse zu den Zutaten. Ein gelungenes Cassoulets muss stundenlang im Backofen garen, die Kruste wird mehrmals untergerührt bevor das deftige Schmorgericht überbacken serviert wird. Für Remy Monceret steht fest: Das Cassoulet ist “der Geschmack des Südens”.

Das blaue Wunder

Und die Farbe des Südens? Toulouse gilt zwar als die rosa Stadt, doch reich geworden ist sie durch Blau. Gewonnen wurde der blaue Farbstoff in einem aufwändigen Verfahren aus der heimischen Pflanze Pastel, zu deutsch Färberwaid. Nur Könige und Kardinäle konnten sich damals das Blau leisten, denn für zwei Kilogramm des Pigments benötigte man eine Tonne der leichtgewichtigen Pflanzenblätter.

40.000 Tonnen jährlich exportierte Toulouse seinerzeit in alle Welt. So verhalf Pastel der Stadt und der Region Okzitanien zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert zu einem enormen Reichtum – bis im Jahr 1560 Indigo entdeckt wurde.

Seit einigen Jahren erlebt Pastel in Toulouse eine sagenhafte Renaissance, weil einige Toulousians das alte Handwerk wieder entdeckt und -belebt haben. Im Stadtteil Minimes etwa befindet sich das Atelier “APHY Créations Bleu de Pastel” von Annette und Yves Hardouin. Das kreative Ehepaar hat sich ganz dem Handwerk der traditionellen Blaufärberei verschrieben. In ihrem Laden bieten die beiden Künstler kurzweilige Färbeworkshops an und verkaufen Designerkleidung aus exklusiven Pastelstoffen.

Auch die Samen der Pflanze sind wertvoll. Färberwaid wird heutzutage von den lokalen Marken “Graine de Pastel” und “Terre de Pastel” wegen seiner dermatologischen Eigenschaften zur Herstellung von Naturkosmetik genutzt.

Das Öl aus den Samen der Pastel-Pflanze enthält hohe Anteile an ungesättigten Fettsäuren (Omega 3, 6 und 9), die Pflanzenproteine sollen zudem die Collagensynthese anregen, wie eine Studie der Universität Toulouse festgestellt hat. “Terre de Pastel” betreibt im Stadtteil Labège ein Museum, einen Laden und ein Day-Spa, “Graine de Pastel” hat einen Laden im Stadtzentrum an der Place Saint-Étienne.

Auf den Spuren von Astronauten und Flugpionieren

Aber zurück zum Fliegen und den Sternen. Seit 1997 weist ein 55 Meter hoher Nachbau der Ariane-5-Rakete den Weg in die “Cité de l’Espace”. Diese “Weltraumstadt” ist eine Mischung aus Erlebnispark und Wissenschaftsmuseum. 170 interaktive Exponate, Planetarium, eine begehbare Raumstation, IMAX-Kino und eine Welthalbkugel mit 3D-Animation lassen die Faszination des Weltalls spürbar werden.

Workshops und Shows machen komplexe physikalische Phänomene verständlich. Wer es greifbarer mag, bewundert echtes Mars- und Mondgestein. Oder versucht sich als Astronaut: Hier kann jeder ausprobieren, wie sich das anfühlt, schwerelos über den Mond zu laufen.

Im Südosten, am ehemaligen Flughafen, hat die Stadt ihr erlebnisorientiertes Angebot erweitert: In “La Halle de la Machine” begeistern die beweglichen Riesenfiguren der Theaterkompagnie La Machine. Die 6.000 Quadratmeter große Halle ist das Zuhause von über 100 mechanischen Objekten, Skizzen, Modellen und verrückten Musikinstrumenten. Maschinistin Audrey Boissé und ihre Kollegen erwecken bei ihren Führungen die Maschinenträume zum Leben.

Flammen, Rauch, infernalische Klänge, Metallgeschöpfe, die sich drehen und Kunststücke machen. 15 Menschen etwa sind nötig, um eine Riesenspinne mit ihren acht Beinen zum Tanzen zu bringen, sagt Audrey. 38 Tonnen wiegt das Riesentier namens “The Princess”, Spinnen-Schwester “Ariane” ist ähnlich gigantisch.

Spektakulär ist der Auftritt des 14 Meter hohen Minotaurus “Astérion”, der draußen vor der Halle fauchend und majestätisch seine Runden dreht. Schaurig schön, wenn er die riesigen blauen Augen öffnet oder durch die Nüstern Wasserfontänen bläst. Jules-Verne-Geschichten in live!

Direkt gegenüber huldigt die Ausstellung “L’Envol des Pionniers” den französischen Flugzeugpionieren – der berühmteste unter ihnen: Antoine de Saint-Éxupery –, die im Prinzip den Weg für Airbus mit vorbereitet haben. Und im Norden der Stadt, unweit des Hauptsitzes des europäischen Flugzeugherstellers, können Fliegerfans im Luftfahrtmuseum “Aeroscopia” in der legendären Concorde Platz nehmen oder ins Innere einer A330 kraxeln. Auch Werksführungen bei Airbus sind gegen Voranmeldung möglich. Was für eine aufregende Stadt!

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