Aloe wurde auch damals schon zur Hautpflege verwendet. Eine Salbe gegen Falten enthielt Harnstoff so wie viele moderne Antifaltencremes. Wunden wurden in frisches Fleisch gebunden oder mit Honig behandelt. Wollte ein ägyptischer Arzt prüfen, ob Verletzungen des Lumbal- oder Ischiasnervs vorlagen, forderte er den Patienten auf, die durchgestreckten Beine zu heben und zu senken. Auch dieses Verfahren wird noch immer angewandt und heißt inzwischen Lasègue-Test nach einem französischen Internisten des 19. Jahrhunderts.
"Was medizinisches Wissen angeht, ist Ägypten dem Rest der Welt voraus", schrieb Homer um 800 v. Chr. in seiner Odyssee. Dabei war dieses Wissen damals schon fast 3000 Jahre alt. Und noch heute klingt manches aus der ägyptischen Medizin der Zeit ab 3500 vor Christus geradezu modern.
Dank einiger Papyri wissen wir relativ viel über die Medizin im alten Ägypten. Die wichtigsten sind der Papyrus Ebers und der Papyrus Edwin Smith. Der Papyrus Ebers, heute Eigentum der Unibibliothek in Leipzig, ist mit fast 20 Metern der längste bisher gefundene medizinische Papyrus. Verfasst wurde er wohl im zweiten Drittel des zweiten Jahrtausends v. Chr. Im Papyrus Ebers wird das System der ägyptischen Medizin handbuchartig abgehandelt.
Dazu gehören fast 900 Arzneimittel-Rezepte, in denen etwa Heilpflanzen, aber auch magische Heilmittel empfohlen werden. Von den abgehandelten Krankheiten lassen sich viele identifizieren wie Husten, Arthritis, Krokodilbisse, Parasitenbefall. Ein ganzes Kapitel ist Augenkrankheiten gewidmet. Ägypten ist ein Land der Augenprobleme, durch Wüstensand und Insekten waren die Augen ständig gereizt und entzündet. Noch im vergangenen Jahrhundert war das Trachom als "ägyptische Augenkrankheit" bekannt. Die dicke schwarze Schminke, die die Augen der Ägypter so ausdrucksstark aussehen lässt, war nicht nur Kosmetik, sondern sollte die Augen schützen.
Zauberheiler, Priesterheiler und rational arbeitende Ärzte
Im Papyrus Ebers gehören auch Magie, Beschwörungsformeln und Anrufungen der Götter zu den Heilmethoden. Dagegen wirkt der Papyrus Edwin Smith fast wissenschaftlich. Das knapp fünf Meter lange Dokument, das heute der Academy of Medicine in New York gehört, ist um 1600 v. Chr. verfasst worden. Wahrscheinlich hat der Schreiber aber einen Original-Papyrus aus der Zeit von 3000 bis 2500 vor Christus kopiert.
Der Papyrus wird auch "Wundenbuch" genannt, denn es geht darin um Verletzungen und Wunden. 48 chirurgische Fälle werden beschrieben, darunter 27 Kopf- und 6 Wirbelsäulenverletzungen. Es werden etwa Frakturen, Verrenkungen und posttraumatische Entzündungen abgehandelt. Das Besondere ist die methodische Struktur. Jeder Eintrag beginnt mit einer Fallbeschreibung, es folgen vorgeschlagene Untersuchungen wie Pulsmessung, Prüfung von Haut oder Gelenksteifigkeit, Angaben zu Diagnostik, eine Prognose, Handlungsanweisungen und oft detaillierte Rezepte.
Aus diesen und anderen Quellen wissen wir, dass die altägyptische Medizin sowohl empirisch-rationale als auch magisch-göttliche-dämonistische Elemente enthielt – was damals wohl nicht als Widerspruch empfunden wurde. Entsprechend gab es drei Arzttypen: Zauberheiler, Priesterheiler und rational arbeitende Ärzte. Alle Heiler-Gruppen besaßen ein breites, differenziertes Heilwissen. So verstanden die ägyptischen Ärzte bereits vieles von der Bedeutung von Gehirn und Rückenmark, obwohl das Herz als Sitz der Seele und der Gedanken galt. Angewandt wurden die unterschiedlichsten Heilpraktiken von magischen bis zu medikamentösen, chirurgischen und chiropraktischen. Die ägyptischen Ärzte waren außerdem die ersten, die Prothesen einsetzten. Und zwar mit Erfolg. An mehreren Mumien wurden etwa Zehen-Prothesen gefunden. Neue Untersuchungen haben gezeigt, dass diese gut funktioniert haben müssen.
Berühmter Arzt
Der bekannteste altägyptische Arzt ist Imhotep (etwa 2600 v. Chr.). Er war Würdenträger am Hof des Pharao Djoser und gilt auch als Baumeister von dessen Stufenpyramide in Sakkara, der ersten ägyptischen Pyramide überhaupt. Imhotep war außerdem Hohepriester und ein berühmter Arzt. Als Arzt muss er außergewöhnlich erfolgreich gewesen sein. Es wird sogar spekuliert, dass er der Autor des Papyrus Edwin Smith mit seinem rationalen Zugang zur Medizin sein könnte. Nach seinem Tod wurde ihm göttlicher Status zuerkannt als einzigem, der nicht aus einer Pharaonenfamilie stammte. Es entwickelte sich ein regelrechter Imhotep-Heilkult. Als Heilgott wurde er als Vermittler zwischen Ärzten, Kranken und Göttern angerufen. Zum Imhotep-Kult gehörten sowohl priesterliche Rituale als auch therapeutische Praktiken.
Quellen u.a.: Eckart, Wolfgang: "Geschichte der Medizin", Springer-Lehrbuch.
KNH Centre for Biomedical Egyptology, University of Manchester.
Paul, Gill: "Die Geschichte der Medizin in 50 Objekten", Haupt Verlag, Bern, 2016.