© Alamy Stock Photos / Cola Images Agostino Bassi (1773 - 1856) veröffentlichte 1835 sein Buch zur Kontagienlehre „Del mal del segno“.
Bakterien und Viren waren jahrhundertelang unbekannt, einfach, weil man sie nicht nachweisen konnte. Pilze waren natürlich allbekannt, allerdings nur deren Fruchtkörper. Erst als im 17. Jahrhundert das Mikroskop entwickelt wurde, konnten auch die winzigen Pilzfäden entdeckt werden, die mit bloßem Auge nicht zu sehen waren.
Aber dass Pilze und andere Keime von außen Krankheiten verursachen können – das war deshalb noch lange nicht klar. Dieses Wissen verdanken wir den Forschungen eines italienischen Juristen mit Sehschwäche: Agostino Bassi (1773-1856).
Bassi stammte von einem Bauernhof im Dorf Mairago bei Lodi in der Lombardei. Er studierte an der Universität von Pavia. Alles interessierte den jungen Mann, vor allem die Naturwissenschaften. So studierte er Medizin, Physik, Chemie, Mathematik.
Er hatte berühmte Lehrer wie den Anatomen Antonio Scarpa, den Physiker Alessandro Volta, den Pathologen Giovanni Rasoni oder Lazzaro Spallanzani, einen Philosophen, Physiker und Universalgelehrten. Seinen Eltern zuliebe konzentrierte sich Bassi aber auf die Rechtswissenschaft und wurde 1798 als Jurist promoviert. Er arbeitete dann als Provinzialbeamter und hatte verschiedene Stellen im öffentlichen Dienst inne.
Der junge Mann bildete sich weiter fort. Er las extrem viel, nicht nur dienstlich. Und langsam ließ seine Sehkraft nach. Um 1816 kehrte Bassi deshalb auf den elterlichen Hof zurück. Hier blieb er für den Rest seines Lebens.
Forschungsobjekt Seidenraupen
Müßig war er nicht. Er wandte sich der Landwirtschaft zu und forschte akribisch auf verschiedenen Gebieten, etwa der Schafzucht, dem Kartoffelanbau, der Käserei und der Weinherstellung. Jedes Mal publizierte er die Ergebnisse seiner Forschungen.
Vor allem aber widmete er sich der Seidenraupenzucht. Damit hatte er bereits 1807 noch als Provinzialbeamter begonnen. Insgesamt 30 Jahre lang erforschte er die Hauptkrankheit dieser kostbaren Tiere.
Wie viele Bauern in Italien damals züchtete auch Agostino Bassis Familie Seidenraupen. Allerdings gab es ein großes Problem: Immer wieder starben eine Menge der Raupen an einer bestimmten Krankheit, “Weißer Muscardin” genannt. In Italien hieß sie auch “mal del segno”, “schlechtes Zeichen”, oder “calcino” oder “calcinaccio”, denn die toten Raupen waren wie mit weißem pulverigem Kalk überzogen.
Besonders schlimm: Wenn eine Raupe krank wurde, starben andere auch. In Italien war zwar viel über die Zucht von Seidenraupen und Maulbeerbäumen publiziert worden. Da kannte man sich gut aus. Aber diese Krankheit und der damit verbundene große Verlust an kostbaren Raupen machte alle ratlos.
Seide, der mysteriöse Faden
Die feinen Seidenfäden werden aus den Kokons der Raupen des Seiden- oder Maulbeerspinners gewonnen. Die Seidenraupen ernähren sich in der Natur ausschließlich von den Blättern des Maulbeerbaumes. Heute geben Züchter Nahrungsergänzungsmittel dazu. Allein dadurch könne der Seidenfaden, der von einer einzigen Raupe gewonnen werden kann, auf 1.000 Meter verlängert werden, teilt die Universität Münster mit.
Die Herstellung des kostbaren Stoffs aus diesen feinen Fäden ist sehr aufwändig. Sie wurde schon vor 5.000 Jahren in China entwickelt. Seither begeistert Seide, die Königin der Textilien, die Menschen. Jahrtausende lang war die Zucht der Seidenraupen ein wohlgehütetes Geheimnis der Chinesen. Dann verbreiteten sich die Kenntnisse langsam in alle Richtungen. Immer hatte es mit Schmuggel zu tun.
So soll die Seidenzucht auch nach Europa gekommen sein. Es ranken sich viele Legenden darum. Meist wird erzählt, dass zwei Mönche im Jahr 522 nach Byzanz gewandert seien und Samen der Maulbeerbäume und Eier des Seidenspinners in ihren Spazierstöcken auf einer abenteuerlichen Reise in den Mittelmeerraum geschmuggelt hätten.
Der größte Seidenhersteller Europas war Italien. Bis ins 16. Jahrhundert blieb das Land führend in der Produktion des federleichten Stoffes. Konkurrenz kam aus Frankreich, wo ab 1470 eine eigene Seidenproduktion aufgebaut wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts kam die Seidenproduktion in Europa zum Erliegen, bis sie im 20. Jahrhundert ganz eingestellt wurde.
Inzwischen interessiert man sich in Europa aber wieder für die Seidenfäden. Diesmal in der medizinischen Forschung. In Münster zum Beispiel konzentrieren sich Molekularbiologen in einer Kooperation mit indischen Biotechnologen auf die vielen Proteine in der Seide der Raupen. Etwa 100 Proteine sind untersucht, einige davon sind wichtig für den natürlichen Zelltod – “und damit auch für die Lebensdauer des Menschen”, so die Uni Münster.
Auch in Wien etwa experimentiert man mit den feinen Fäden. Hier wird nach verbesserten Therapieoptionen bei Nervenverletzungen gesucht. Plastische Chirurgen der Uni Wien arbeiten mit Kollegen aus Oxford zusammen. Ihnen sei es geglückt, Nervenleitschienen aus zwei verschiedenen Seidenarten herzustellen, berichtet die Medizinische Universität Wien über eine ganz neue Studie: “Die Seide von Seidenraupen wurde für die Röhrchen, die Seide von Spinnen für deren Füllung verwendet.” Die Faszination der feinen Seidenfäden ist noch lange nicht vorbei.
Allgemein angenommen wurde, dass der Muscardin spontan entstehe (“Selbstzeugung”). Davon ging auch Bassi zunächst aus. Er vermutete, es gebe äußere Einflüsse etwa aus Umwelt, Ernährung, Atmosphäre oder Zuchtmethoden, die die Krankheit entstehen ließen. So begann er mit breit angelegten Experimenten und kontrollierten Studien an gesunden und kranken Raupen.
Er unternahm Feldstudien und entwickelte neue Typen von Maulbeerbäumen. Doch es gelang ihm nicht, die Bedingungen zu finden, die zu der Krankheit führen. Das war es also nicht. Doch Bassi gab nicht auf und untersuchte andere Theorien – alle ohne Erfolg.
Pilz-Sporen als Überträger
Nach Jahren des Experimentierens kam Bassi schließlich zu dem Schluss, dass die Krankheit durch Kontakt mit dem weißen Pulver, das die toten Raupen umgibt, oder durch den Züchter selbst (mit Händen oder der Kleidung) auf die gesunden Tiere übertragen werden musste.
Bassi gelang es, gesunde Raupen mit dem kalkartigen Pulver der toten Tiere anzustecken. Er konnte die Krankheit so auch auf Raupen anderer Insekten übertragen und dann wieder zurück auf gesunde Seidenraupen. Er beobachtete sogar, dass auch Fliegen die Krankheit von toten auf gesunde Tiere übertragen konnten. Die Krankheit kam also von außen in gesunde Raupen hinein – etwas bis dahin Unvorstellbares.
Unter dem Mikroskop konnte Bassi nachweisen, dass es sich um einen Pilz handelte. Das weiße Pulver, die Sporen des Pilzes, hielt er für dessen “Samen”. Die Sporen bleiben zwei bis drei Jahre lang keimfähig. Sie waren die wirklichen Erreger des Weißen Muscadins. Der Pilz ist heute nach seinem Entdecker benannt: Beauvaria bassiana.
All seine Experimente und Studien hatten Bassi viel Geld gekostet, inzwischen hatte er große finanzielle Probleme. Deshalb hielt er seine Entdeckung zunächst geheim, um sie dann zu einem guten Preis verkaufen zu können. Er bot sie zum Verkauf an, doch niemand war interessiert.
Jurist mit Sehschwäche
Schließlich war es ihm wichtiger, dass die Öffentlichkeit und vor allem die Seidenraupenzüchter von seiner Entdeckung profitieren konnten. Deshalb präsentierte er seine Ergebnisse 1833 in einer öffentlichen Demonstration an der Universität Pavia.
Zwei Jahre später veröffentlichte er sein Buch “Del mal del segno”. Hier entwickelte Bassi aus seinen Beobachtungen an Seidenraupen eine allgemeine Kontagienlehre: Verschiedene Krankheiten von Pflanzen und Tieren könnten durch pflanzliche Krankheitskeime (damals zählte man Pilze zu den Pflanzen) und Parasiten verursacht werden.
Er ging sogar so weit zu vermuten, dass das auch auf den Menschen zutreffen könnte. Krankheiten wie Pest, Pocken, Syphilis oder Cholera könnten ebenfalls durch pflanzliche Mikroorganismen hervorgerufen werden.
Agostino Bassi, der Jurist mit Sehschwäche, war seiner Zeit voraus. Seine Erkenntnisse bildeten die Grundlagen für die Forschungen von Robert Koch und Louis Pasteur.
Quellen u.a.:
Eckart, Wolfgang U., Gradmann, Christoph: “Ärztelexikon.” Verlag C.H.Beck
Heidenreich, Bärbel: “Geschichte der Seide”. Planet Wissen, WDR, 2005, aktualisiert 2017
Medizinische Universität Wien: News vom 3.4.2023
Porter, J. Roger: “Agostino Bassi Bicentennial (1773-1973)” Bacteriological Reviews, 1973
Westfälische Wilhelms-Universität Münster: News vom 9.7.2010