© mauritius images / Chronicle of World History / Alamy / Alamy Stock Photos Arzt und Literat: Mori Ogai (1862-1922)
An der Berliner Humboldt-Universität gibt es eine Gedenkstätte, die einem Japaner gewidmet ist. Weitere Gedenkstätten gibt es in Leipzig und Schloss Döben bei Grimma in Sachsen. Alle sind zu Ehren eines Mannes: Mori Ogai (1862-1922).
Ein Name, der in Deutschland fast unbekannt ist. In Japan dagegen wird Mori als Begründer der modernen japanischen Literatur gefeiert. Einige seiner Novellen gehören zur Pflichtlektüre in den Schulen. Außerdem hat er die deutschen Klassiker ins Japanische übersetzt und so etwa Goethe und Schiller in Japan bekannt gemacht.
Mori Ogai war eigentlich Arzt und stammte aus einer alten, traditionsreichen Ärztefamilie. Sein richtiger Name war Mori Rinato (dabei ist Mori der Familienname). Später, als Dichter und Schriftsteller, legte er sich das Pseudonym Ogai (“Möwenfern”) zu.
Mori studierte Medizin in Tokio. Als Arzt trat er in die japanische Armee ein. Sein Ziel: ein Studienaufenthalt in Deutschland, wo er vor allem das Fach Hygiene studieren wollte. Denn darin waren deutsche Wissenschaftler damals führend in der Welt. 1884 schickte die japanische Armee Ogai denn auch nach Deutschland.
Jahrhundertelang hatte das japanische Kaiserreich eine Politik der Isolation verfolgt. 1861 wurde dann aber ein Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen Japan und Preußen geschlossen, der bis heute zu einem interdisziplinären Austausch zwischen Japan und Deutschland geführt hat. Dieser Vertrag machte es möglich, dass ein Japaner überhaupt als Stipendiat der japanischen Armee in Deutschland studieren konnte.
Novelle über bayerischen Märchenkönig
Japanische Touristen in Deutschland wollen oft unbedingt zum Starnberger See in der Nähe von München. Und das hat mit einer Novelle des Militärarztes und Schriftstellers Mori Ogai zu tun: “Wellenschaum”.
Von 1886 bis 1887 studierte Mori in München am Hygieneinstitutbei dessen Gründer Max von Pettenkofer (1818-1901). In diese Zeit fiel die bayerische “Königstragödie”: Am Pfingstsonntag, am 13. Juni 1886, ertrank König Ludwig II. von Bayern zusammen mit seinem Psychiater Bernhard von Gudden im Starnberger See.
Ludwigs und Guddens Tod haben Mori offenbar tief erschüttert. Die Tragödie um den unglücklichen, kunstbesessenen bayerischen König scheint Mori zum Dichter gemacht zu haben.
Er verarbeitete den Tod Ludwigs in seiner Erzählung “Wellenschaum” (“Utakata no ki”). Dieses 1890 veröffentlichte Werk ist die mittlere seiner “Drei deutschen Novellen”. Mori schildert Ludwig II. als unglücklich verliebten Künstlerkönig, der am Unglücksabend dem Mädchen Marie begegnet. Sie erinnert ihn an ihre Mutter, die er einst geliebt hatte.
Marie war zusammen mit dem Maler Kose zum Würmsee gekommen, wie der Starnberger See früher hieß. Ludwigs alte Liebe flammt auf, er versucht, Marie zu erreichen. Gudden versucht, ihn zurückzuhalten. Ludwig ertränkt den Psychiater und findet dann selbst den Tod im See.
In Moris Erzählung stirbt auch Marie. Sie zerbricht am Schicksal des unglücklichen Königs. Nur der Maler Kose bleibt zurück. Er sinniert über das Schicksal der Menschen, das ihm zerbrechlich erscheint, so wie der Schaum auf den Wellen des Würmsees zerfällt. Dann bricht er ohnmächtig zusammen.
“Wellenschaum” wird meist als romantische Liebesgeschichte interpretiert. In der Novelle geht es aber auch um die zentrale Debatte in der Kunst der 1880er Jahre, um den künstlerischen Wandel zum 20. Jahrhundert, den Mori zusammen mit japanischen Freunden (einer ist als Maler Kose in der Erzählung porträtiert) in der Münchner Künstlerszene hautnah miterlebt hat.
Vermittler zwischen den Welten in Wissenschaft und Kultur
Mori Ogai war nicht der einzige japanische Student in Deutschland. Auch Kitasato Shibasaburo (1853-1931) gehörte zum Beispiel dazu, der dann zusammen mit Emil von Behring (1854-1917) Immunseren zur Behandlung von Infektionskrankheiten wie Diphtherie und Tetanus entwickelte.
Aber Mori war ein echter Glücksfall. Wie kaum ein anderer verstand er es, nicht nur die Wissenschaft der beiden Nationen zu verbinden, sondern auch deren Kultur.
Von 1884 bis 1888 studierte Mori in Leipzig, Dresden, München (hier bei Max von Pettenkofer) und Berlin (bei Robert Koch). Er befasste sich mit Hygiene, Ernährung, Bakteriologie sowie dem Heeressanitätswesen und verfasste in seiner Zeit in Deutschland verschiedene medizinische Schriften. Zum Beispiel 1887: “Über die diuretische Wirkung des Bieres”. Oder 1888: “Über pathogene Bacterien im Kanalwasser”.
Seine Eindrücke als Student hielt Mori in seinem “Deutschlandtagebuch” fest (das ist übrigens noch immer erhältlich). Neben der Medizin beschäftigte er sich intensiv mit der europäischen, vor allem der deutschen Literatur und Kunst. Er lernte die deutschen Klassiker kennen und lieben.
1885 besuchte er in Leipzig “Auerbachs Keller”, wo Goethe regelmäßig Gast gewesen war und wo auch eine Szene in seinem “Faust” spielt. Hier kam Mori auf die Idee, “Faust 1 und 2” ins Japanische zu übersetzen. 1913 wurde seine Übersetzung gedruckt und ist noch heute gültig. Außerdem hat er zum Beispiel Schiller, Heine, ETA Hoffmann oder auch Knigge übersetzt.
Nach seiner Rückkehr nach Japan im Jahr 1888 arbeitete Mori an der militärärztlichen Akademie. Ab 1893 leitete er sie als Generaloberarzt. 1894 wurde er Chefarzt des Gardecorps und 1907 Generaloberarzt und Leiter des Sanitätscorps. 1916 verließ er den Militärdienst und wurde Generaldirektor der Kaiserlichen Bibliotheken und Museen (bis 1917). Von 1919 bis zu seinem Tod 1922 war Mori Vorsitzender der Japanischen Akademie der Künste.
Berühmt sind seine “Drei deutschen Novellen”
Trotz seiner steilen Karriere beim Militär blieb der Arzt auch bei der Literatur und wurde als Mori Ogai ein noch immer berühmter Schriftsteller. 1890 wurden seine “Drei deutsche Novellen” veröffentlicht, die zu seinen ersten Prosawerken gehören und in denen er Erlebnisse aus seinem Studienaufenthalt verarbeitet hatte.
Die erste spielt weitgehend in Berlin, die zweite in München und Umgebung (siehe Kasten) und die dritte in Sachsen. Mori verfasste Lyrik, Dramen und Erzählungen sowie kulturkritische Arbeiten. Die Gesamtausgabe seines Werks umfasst 38 Bände.
Mori hat Japan in die Moderne geführt
Mori Ogai gehört zu den wichtigsten Persönlichkeiten, die Japan in die Moderne geführt haben. Er war ein großer Vermittler zwischen der japanischen und der europäischen Kultur. In Deutschland ist er zwar weitgehend unbekannt. Aber vergessen ist der Japaner auch hierzulande nicht.
Immerhin sind ihm mehrere Gedenkstätten gewidmet. Sogar in “Auerbachs Keller” wird an ihn erinnert: Der japanische Faust-Übersetzer ist hier auf einem Gemälde verewigt, das ihn bei seinem Besuch zu Weihnachten 1885 in dem historischen Restaurant zeigt.
Quellen u.a.:
Eckart, Wolfgang U., Gradmann, Christoph: “Ärztelexikon.” Verlag C.H.Beck
Leistner, Rasmus: “Mori Ogai (1862-1922): Wegbereiter des interdisziplinären Austauschs”. Dtsch Arztebl 2011; 108(43): A-2293 / B-1933 / C-1913
Röhrer-Ertl, Friedrich: “Mori Ogai und sein Werk “Wellenschaum”.” Bavarikon, München, 2020
Yoshio Birumachi und Schulz Evelyn: “Der japanische Literat und Militärarzt Mori Ogai (1862-1922) in München.” Literatur Portal Bayern, 2016.