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MedizinhistorieÄrzte und Juristen im Streit über Seuchenbekämpfung

Manche schlecht sitzende FFP2-Maske erinnert an den schnabelförmigen Fortsatz der Pesthauben, die im Mittelalter zum Schutz vor dem Schwarzen Tod getragen wurden. Zwischen damals und heute gibt es aber noch mehr Parallelen, etwa die Rivalität zwischen Ärzteschaft und Politik, wer über die zu treffenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Erkrankung entscheidet.

Unter dem Titel “Wer besiegt den Schwarzen Tod?” hat der Historiker und promovierte Jurist David von Mayenburg, Frankfurt, in einem Aufsatz* beschrieben, wie zur Zeit der Pestepidemien am Beginn des 17. Jahrhunderts juristisch gebildete Amtsträger die Organisation der staatlichen Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung an sich rissen und der Ärzteschaft bisweilen jede Kompetenz in Sachen Pest absprachen – der aktuelle Streit über die Expertise der STIKO lässt grüßen.

Anders als heute war es zur Zeit der Pestepidemien allerdings nicht schwer, den Wissensstand der Ärzteschaft über diese Krankheit in Zweifel zu ziehen. Bekannt war damals nur, welche Symptome die Pest hervorrief und dass sie sich schnell von Dorf zu Dorf bzw. Stadt zu Stadt ausbreitete.

Den Stand des damaligen (Un-)Wissens fasst das “Pariser Pestgutachten” von 1348 zusammen. Den Pestepidemien um diese Zeit fielen in Europa je nach Schätzung 30 bis 60 Prozent der Bevölkerung zum Opfer.

Miasmen statt Erreger

Gemäß der damals allgemein anerkannten Lehre Galens liegt Erkrankungen ein Ungleichgewicht der vier Körpersäfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – zugrunde. Als Ursache der Störung wurden im Pariser Pestgutachten “Zersetzungsprozesse verrottender Materie” postuliert, wodurch gefährliche “Miasmen” freigesetzt würden.

Entsprechend sollte die Pest durch Entfernen von Abfällen, Reinhalten der Luft und Ausräuchern von Häusern mit wohlriechenden Dämpfen bekämpft werden. Das Prinzip der Ansteckung von Mensch zu Mensch oder gar von Tier zu Mensch war für die damalige Medizin undenkbar.

Erst knapp 200 Jahre später konnte sich der Kontagionismus (“Berührung”) gegenüber der Miasmen-theorie durchsetzen.

Auf der Grundlage des Pariser Pestgutachtens entstanden zahlreiche Pesttraktate, die nicht nur für Gelehrte von Interesse waren, sondern auch für breite Bevölkerungsschichten, denn jeder Einzelne galt durch sein Verhalten als mitverantwortlich für eine etwaige Erkrankung. Die Ratgeber waren sehr erfolgreich und festigten zunächst die Rolle der Ärzte als Pestexperten. Immer mehr Städte leisteten sich einen Stadtphysikus.

Die Stunde der Juristen

Schon damals warfen die Pestepidemien aber auch rechtliche Fragen auf: Sollten einige Vorschriften für die Abfassung eines Testaments in Seuchenzeiten ausgesetzt werden? Durfte ärztliches Personal bei Ausbruch der Pest das Krankenhaus verlassen und fliehen?

Durften Frauen bei Priestermangel die Sakramente spenden? Als immer deutlicher wurde, dass sich das Wesen und die Folgen der Pest mit der Miasmentheorie nicht erklären ließen und Erfolge in der Bekämpfung der Seuche ausblieben, litt das Ansehen der Medizin.

Historiker vermuten, dass die Darstellung von Ärzten mit Schnabelmasken – die damals wohl eher selten getragen wurden – als Spottzeichnungen zu verstehen sind. Anstelle der medizinischen gewann nun die juristische Expertise an Bedeutung.

Inzwischen hatte sich der Kontagionismus immer mehr durchgesetzt. Statt gemäß der Miasmentheorie Unreinheiten zu bekämpfen, gewann das Unterbrechen von Übertragungswegen an Bedeutung. Der Bremer Stadtarzt – und Jurist – Johannes Ewich fasste dies in seiner Pestschrift von 1582 zusammen, die angesichts heutiger Corona-Regeln hochaktuell erscheint:

“Den Einwohnern soll man befehlen …, alle öffentlichen Zusammenkünfte zu vermeiden, wie Hochzeiten, Theateraufführungen, Chöre …, belebte Märkte … . Belebte Schulen sollen an geeignete Orte mit Belüftung verlegt werden. Weniger belebte Schulen und Grundschulen sind so lange zu schließen, bis die Krankheit aufhört zu wüten.” (Zitiert nach Mayenburg)

Die Staatsgewalt greift durch

Die Dominanz der Rechtswissenschaften bei der Seuchenbekämpfung dokumentiert 1684 das Handbuch zur Pestbekämpfung, verfasst von dem Juristen Girolamo Gastaldi aus Bologna. Gastaldi war Kardinal und wurde von Papst Alexander VII. beauftragt, ein Übergreifen der Pest von Neapel auf Rom zu verhindern.

Gemäß Gastaldis Vorgaben wurden die Grenzen des Kirchenstaats zu Wasser und zu Lande geschlossen. Päpstliche Notare organisierten ein System von Passierscheinen, um den Verkehr von Waren und Personen zu steuern.

Man durchkämmte die Straßen, um Kranke aufzuspüren. Infizierte wurden auf eine Insel im Tiber verbannt, Verdächtige in ein Siechenhaus außerhalb der Stadt gebracht. Alle Märkte, Schulen und Kirchen blieben geschlossen, öffentliche Versammlungen waren verboten. Quarantänebrecher wurden zur Abschreckung an überall in der Stadt errichteten Galgen gehenkt.

Arme hatten schlechte Chancen

Schon Gastaldis Zeitgenossen stritten über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Das minderte aber Erfolg und Ruhm des Justizgelehrten nicht. Immer wieder wurde hervorgehoben, dass aufgrund der ergriffenen Maßnahmen die Pest auf dem Gebiet des Kirchenstaats viel weniger Opfer gefordert habe als in anderen Gegenden Italiens.

Gastaldi sprach den Ärzten jegliche Kompetenz in Sachen Pest ab, sowohl in der Prävention als auch in der Behandlung. Für ihn war die Pest kein medizinisch, sondern ein rechtspolitisch zu lösendes Problem. Auch Theologie und kirchenrechtliche Tradition spielten für Gastaldi in der Pestbekämpfung keine Rolle.

Rom setzte Gastaldis Maßnahmen bisweilen mit roher Gewalt durch. Das jüdische Ghetto wurde komplett abgeriegelt und sich selbst überlassen. Entsprechend hoch waren die Todeszahlen dort. Auch dies ist eine Parallele zur Corona-Pandemie unserer Tage: Arme und weniger Privilegierte hatten und haben die schlechtesten Überlebenschancen.

Quelle: * Quelle: von Mayenburg, D. (2021). Wer besiegt den Schwarzen Tod? Juristische Experten und der Aufstieg der öffentlichen Seuchenbekämpfung in der frühen Neuzeit. Forschung Frankfurt 1.2021, 16–21. https://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/103050481.pdf

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