Vor genau 30 Jahren fiel die Grenze zwischen Ost und West. In Sachsen feiert der Landeshausärzteverband an diesem Wochenende im Rahmen seines Hausärztetags den Mauerfall. Passend dazu: Eine Zeitreise durch ein Stück deutsche Geschichte, allerhand Umbrüche für Hausärzte – und fast vergessene Therapieansätze.
An die Eröffnung ihrer Praxis im April 1991 erinnert sich Ingrid Dänschel noch genau. “Sogar der Landrat kam, um zu gratulieren und sich die Praxis anzuschauen”, erzählt die Hausärztin stolz. “Wir waren die modernste Praxis in der Umgebung.” Denn: Drei Monate war Dänschel zu diesem Zeitpunkt zwar schon niedergelassen – allerdings, wie viele Kollegen, auf zunächst 27 Quadratmetern im ehemaligen Landambulatorium. Der Bau ihrer eigenen Praxisräume unterschied sie zur damaligen Zeit von anderen.
Was den Tag so besonders machte, waren jedoch nicht nur der moderne Bau oder der hochkarätige Besuch. Vielmehr war es die bis dato weitgehend unbekannte Tätigkeitsform der Niederlassung. Denn nur etwas mehr als ein Jahr vorher, als eine Mauer noch Ost- und Westdeutschland trennte, wäre diese nicht denkbar gewesen: In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) waren Hausärzte Angestellte des Staates, ihre Arbeitsorte waren sogenannte Ambulatorien oder Polikliniken, die in der Grundidee heutigen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) entsprechen. Allein Ärzten, deren Eltern bereits eine Praxis vor der Staatsgründung 1949 eröffnet hatten, war der Schritt in die Niederlassung durch den Einstieg in die elterliche Praxis überhaupt möglich – doch Dänschels Vater war Diplom-Ingenieur. “In dem Moment, in dem ich dann die Möglichkeit hatte, habe ich gehandelt”, sagt Dänschel, die sich seit Jahrzehnten im Sächsischen Hausärzteverband sowie im Bundesvorstand des Deutschen Hausärzteverbands engagiert.
30 Jahre ist es in diesem Herbst her, dass sich der Mauerfall jährt. Es sind Bilder, die sich ins gesellschaftliche Gedächtnis gebrannt haben: Am 9. November 1989 kündigt Politbüro-Sprecher Günther Schabowski Reisefreiheit für alle DDR-Bürger an – und läutet damit unfreiwillig das letzte Kapitel in der Geschichte der deutschen Teilung ein. Noch am selben Abend öffnen sich die Grenzübergänge: Deutsche aus Ost und West liegen sich in den Armen, Freudentränen fließen, das Land jubelt. Es war eine friedliche Grenzbegradigung – “ein Wunder, betrachtet man heute internationale Konflikte”, erinnert Dänschel.
Emotionale Erinnerungen
Die bewegenden Bilder sind auch in den Köpfen der Menschen tief verankert. Steffen Heidenreich, Vorsitzender des Sächsischen Hausärzteverbands, war dabei, als die Mauer fiel. Als Medizinstudent hat er die ersten beiden Studienjahre in Berlin verbracht. “Ich habe an der Warschauer Straße gestanden”, erzählt er. “Ein unbeschreibliches Gefühl.”
Dr. Rüdiger Zitterbart verfolgte den Moment aus rund 400 Kilometern Entfernung in Kaltennordheim. “Wir waren gerade in der Chorstunde, als wir vom Mauerfall erfahren haben”, erinnert sich der heute 76-jährige Hausarzt. “Ein zahnärztlicher Kollege ist sofort mit seinem Trabi in den Westen gefahren, da haben wir gestaunt, wie er das so schnell geschafft hat”, sagt er mit einem Lachen.