Hausärztliche Kernaufgaben, Nebenpflichten und Fremdzwänge
Kranke ambulant regelmäßig als Erste ärztlich zu betreuen und zu behandeln, ist die Kernaufgabe der “Spezialisten für den ganzen Menschen”, der Hausärztinnen und Hausärzte. Ihr umfassendes und ganzheitliches Herangehen spiegelt sich z.B. in ihrer Fachdefinition durch die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) wider. …
Schon immer sind mit den Kernaufgaben auch Nebenpflichten verbunden. So ist das Wahren des anvertrauten Patientengeheimnisses nicht nur gesetzlich auferlegte Pflicht (§ 203 StGB; Muster-Berufsordnung Ärzte), sondern auch unverzichtbare Grundlage des Vertrauens und der Vertraulichkeit im besonderen personalen Umgang miteinander von Krankem und Arzt.
Auch die ärztliche Dokumentationspflicht liegt im beiderseitigen Interesse, die heutzutage regelmäßig auch mittels eines elektronischen Praxisverwaltungssystems (PVS) erfüllt wird. Aus diesen guten Gründen bestehen in jeder Praxis die Kartei und das elektronische PVS bisher als “Insellösung”. …
Zunehmend kommen als Fremdzwänge zumindest für vertragsärztlich Tätige weitere Pflichten seitens der Kostenträger sowie, strafbewehrt, des Gesetzgebers hinzu… z.B. jede Praxis in technischer und organisatorischer Hinsicht in die Telematik-Infrastruktur einzugliedern, auch wenn diese TI noch im Auf- und Umbau ist und weder in ihrer Praktikabilität noch in ihrem Kosten-Nutzen-Verhältnis erprobt (validiert) wurde.
Die Implementierung von Anwendungen der TI, wie VSDM – Versichertenstammdatenmanagement, NFDS – Notfalldatensatz/Notfall- datenmanagement, eAU (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), E-Rezept (eRP, elektronisches Rezept), eMP (elektronischer Medikationsplan, bundeseinheitlich, BMP), ePA (elektronische Patientenakte), KIM (Kommunikation im Medizinwesen, elektronisch), TI-Messenger, müssen die Praxisverantwortlichen und ihre Mitarbeiterinnen, gemeinsam mit den Herstellern von PVS-Soft- und Hardware, zeitlich eng beieinander liegend, jedoch ohne inhaltliche Verbindung untereinander oder einheitliche Logik, oftmals nach dem Prinzip “Jugend forscht!”, soll heißen “Versuch und Irrtum”, experimentell und unter Einsatz erheblicher personeller, materieller und zeitlicher Ressourcen umsetzen.
Auch in stationären Einrichtungen muss die TI implementiert werden. Hier jedoch erledigt dies oftmals eigens ein Verwaltungsdirektor oder, in großen Krankenhäusern, gar eine eigene IKT-Abteilung. Ärzte dort sind damit nicht befasst, müssen allerdings die Auswirkungen all dieser Prozess- und Aufgabenumstellungen erleiden, verstehen und umsetzen.
Vielfach sind die zu erfüllenden Anforderungen ganz und gar unklar und von weitgehender Unkenntnis des Alltags aller PraxismitarbeiterInnen gekennzeichnet. Beispiel: Das “Befüllen der elektronischen Patientenakte (ePA)” durch die Hausärztin, auf Wunsch der Patientin. Wenn die Leistungslegende zur Erstbefüllung der ePA: Pseudo-GOP 88270 (10 Euro) einschränkt “… mit der Erstbefüllung sind keine vertragsärztlichen Beratungspflichten der Versicherten zur Funktionalität oder Nutzung der ePA verbunden (sic!) …”, dann ist das nicht nur vollkommen realitätsfern, sondern vermutlich auch rechtswidrig.
Wenn ich als Hausarzt eine ePA befülle, betreibe ich elektronische Datenverarbeitung, bin also “Verantwortlicher” i.S. des Artikels 4, Punkt 7, in Verbindung mit Artikel 24 DSGVO. Vollmundige Erklärungen der Gematik oder der Kostenträger, die Verantwortung für die ePA läge bei ihnen, müssen ihren Bestand vor klagenden Bürgern und Gerichten noch erweisen. Insbesondere bleibt die Verantwortlichkeit auch bei gemeinsamer Verantwortlichkeit nach Artikel 26 DSGVO zunächst in vollem Umfang bei jedem einzelnen Verarbeiter.
Wohlgemerkt: Digitalisierung im Gesundheitswesen ist dringend erforderlich. Hausärztinnen und Hausärzte benötigen schnell und umfassend Unter- stützung mit den Mitteln moderner Informations- und Kommunikationstechnologie. Jedoch müssen das Ziel, nämlich das Patientenwohl, und die hausärztlichen Kernaufgaben dabei leitend sein.
Der Nutzen jeglicher IKT-Anwendung muss jedwede eventuellen Nachteile (“Kosten”) klar überwiegen – und dies muss vor ihrer Einführung in der Regelversorgung aussagekräftig und unter Realbedingungen nachgewiesen werden.
Dr. med. Johannes Hauswaldt, MPH, Braunschweig
Vorsicht bei Gabapentin und Pregabalin
Betreff: “Juckreiz bei Nierenerkrankungen – was tun?”, S.52-54, HA19 vom 20.11.21
Im Artikel fehlt bei der relativ unkritischen Empfehlung zu Gabapentin und Pregabalin der dringende Hinweis, dass beide Substanzen ein zum Teil nicht unerhebliches Abhängigkeitsprofil haben.
Dr. med. Andreas Zsolnai, Stuttgart