Die auf der Bühne stehenden Entertainer waren zumeist Fachleute aus dem Gebiet der Neurologie, die hochkomplexe Forschungsarbeiten oder pathologische Vorgänge so zu verpacken wussten, dass das Publikum mit Spaß neue Erkenntnisse sammeln konnte. Zum Schluss waren die Zuschauer auch gleichzeitig Jury. Abgestimmt wurde mit dem Applau-Meter. Je mehr der/die Vortragende gefallen hatte, umso lauter wurde geklatscht. Am lautesten war der Beifall für die Gewinnerin dieses Science-Slams: Franca Parianen-Lesemann, ehemalige wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.
Der Mensch: zoon politikon
Ihr Vortrag beschäftigte sich mit sozialen Beziehungen und den zwischenmenschlichen Wahrnehmungen. Was wissen wir eigentlich voneinander und wie schlägt dieses Wissen in Gefühle um? Parianen-Lesemann beginnt auf der Suche nach Antworten in ihrer nächsten persönlichen Umgebung. "Neurowissenschaftlerin zu sein klingt schon mal ganz gut. Meine Oma weiß zwar immer noch nicht, was ich eigentlich mache, aber sie ist sehr, sehr stolz auf mich." Tiefe Gefühle sind folglich auch ohne subtiles Wissen des Anderen möglich. Die genauere Beschreibung ihres Tätigkeitsfeldes lautet: "Ich bin soziale Neurowissenschaftlerin, unser Forschungsgebiet ist Verständnis und Mitgefühl." Also schaut man sich unsere Gesellschaft an. Wie kommen Menschen miteinander klar, wie verstehen sich Menschen gegenseitig? Dies allerdings mit Einschränkungen: "Wir konzentrieren uns nicht auf das Große und Ganze der Gesellschaft, sondern auf das Individuum. Denn das ist die einzige Ebene, die wir als Neurowissenschaftler verstehen, denn das Individuum kann man in die Röhre schieben."
Letztlich geht es um das Verständnis des Menschen. Aber was macht den Menschen aus? "Er ist ein soziales Wesen." Dazu zeigt die Neurowissenschaftlerin Bilder, welche darstellen wie Menschen nebeneinander sitzen, nebeneinander hergehen – ohne allerdings die geringste Notiz voneinander zu nehmen.
Dennoch: blickt ein Mensch einmal in das Antlitz eines anderen Menschen, erwidert er meist dessen Gesichtsausdruck. Ein Lächeln wird mit einem Lächeln erwidert, eine traurige Mimik mit traurigen Gesichtszügen. Verantwortlich für solche Reaktionsweisen zeichnen die Spiegelneurone. Wir imitieren, einmal um den Anderen zu verstehen, aber auch, um uns untereinander besser zu verstehen, wollen Harmonie erzeugen. Aber nicht nur der Gesichtsausdruck überträgt sich, sondern eventuell ebenfalls die darin zum Ausdruck gebrachte Emotion selbst. Der Anblick eines leidenden Kindes stimmt uns ebenfalls traurig.
"Niemals könnten wir diesem Kind ein weiteres Leid zufügen", gibt die Referentin zu bedenken. Aber der Mensch kann in solchen Situationen korrektiv regulierende Mechanismen aktivieren. "Wie sonst könnte ein Arzt einem derart traurig dreinblickenden Kind eine Spritze geben?" Also müssen inhibitorische Impulse wirksam gemacht werden, damit in solchen Situationen die mitfühlende Emotionalität nicht überhand nimmt. Auch das Mitgefühl – und das hat die Neurowissenschaft klar herausgefunden – ist also kontextabhängig.
Aber prinzipiell werden Gefühle übertragen, im Fachjargon spricht man von Gefühlsansteckung: Leid erzeugt Mitleid! Aber, so fragt Parianen-Lesemann: Wie kommt denn dann das Böse in die Welt? Betrachten wir den Schmerz, fährt sie fort, so empfindet der gesund fühlende Mensch ebenfalls Pein, wenn er sieht wie jemand anderem Schmerzen zugefügt werden. Aber auch diese Spiegelung kann umschlagen. Dann nämlich, wenn wir sehen, dass einem Menschen tatsächlich Schmerzen zugefügt werden, der ein ganz fieser Typ ist. Dann verwandelt die Spiegelung Schmerzen in Schadenfreude.
Die Spiegelung von Gefühlen und Empfindungen ist wohl tief evolutionär verankert, aber dennoch kontextabhängig. Aber es gibt auch Menschen, die auf diesem (Spiegel)Auge blind sind, oder die ihre eigenen Gefühle nicht verstehen oder beschreiben können, und daher Schwierigkeiten haben, die Gefühle anderer Menschen auch nur einigermaßen richtig zu interpretieren. Es bleibt also noch viel zu tun – auch für die Forschung.
Epilepsie und Politik – ein Drama in vielen Akten
Wiebke Schick belegte auf dem Applau-Meter wahrscheinlich den zweiten Platz. Die Tübinger Doktorandin hatte selbst einen schweren Unfall und leidet seitdem an Epilepsie. Das Kopfgewitter war daher ihr Slam-Thema und zugleich ihr Anliegen. Nachdem sie die normale Reizweiterleitung im Gehirn von Neuron zu Neuron dem Publikum anhand von Slam-Kollegen, die ein Klatschsignal bis zum Zielneuron Ronny weitergaben, erklärt hatte, demonstrierte sie auch, was schieflaufen kann. Wenn nämlich zu viele Signale auf einmal bei Ronny, ankommen, was bei Ronny zu einer heillosen Konfusion führt.
Ihr eigenes Anliegen aber waren die antiepileptischen Medikamente. So wurde sie selber von einem Präparat ungeheuer aggressiv. Antiepileptika haben individuell sehr unterschiedliche – oft gravierende – Nebenwirkungen. Ihr Arzt wechselte das Medikament und es wurde besser. Die Anfälle waren kontrolliert und die Störwirkungen akzeptabel. Aber, so berichtet Schick, im Jahr 2011 wurden im Zuge des AMNOG einige dieser sehr hilfreichen Medikamente vom Markt genommen. "Da jedes Gehirn anders ist und auch die Läsionen, welche epileptische Anfälle auslösen, brauchen wir viele Medikamente." Denn es muss ein für das jeweilige Individuum passende Antikonvulsivum immer erst gefunden werden. Von daher war das AMNOG für viele Epilepsie-Patienten ein großes Unglück, weil einige der Medikamente, die ihnen geholfen hatten, nicht mehr verfügbar waren. Aber Schick konnte wieder Mut machen. Durch von vielen Menschen unterschriebene Petitionen kam es zu einer entsprechenden Anhörung im Bundestag und zu neuen Verhandlungen, so dass zwei der vier vom Markt genommenen Medikamente wieder verfügbar sind, und bei den anderen zwei ist man guter Hoffnung. So konnte auf unterhaltsame Art auch ein politisches Problemfeld dargestellt werden.
Spiel mir das Lied von der Migräne
Dr. Philipp Feige beschäftigte sich mit Richard Wagner, der in Leipzig geboren wurde und geraume Zeit dort lebte. Er stellte die Frage: Hatte Wagner nur Musik im Kopf? Mitnichten, denn er hatte ebenfalls sehr schwere Migräne-Attacken. Wagner selbst beschreibt eine Kopfschmerzdauer über mehrere Tage, eine Symptomatik, die sich unter körperlicher Aktivität verstärkt. Dies war begleitet von Lichtscheu und Lärmüberempfindlichkeit. Zudem klagte Wagner in der Attacke über Sehstörungen, die sich in Form von Augenflimmern, Zick-Zack-Mustern und Gesichtsfeldausfällen äußerten.
Doch, führt Feige weiter aus, manifestierte sich dieses wiederholte Erleben auch in seiner Musik. In der Oper ‚Siegfried’ etwa beginnt der 1. Akt musikalisch "mit einem anschwellenden Brummen, welches sich zu einem pulsierenden, pochenden Rhythmus steigert, gefolgt von einem schrillen Hämmern, was schließlich in dem Ausruf des Sängers mündet: ‚Zwangvolle Plage, Müh’ ohne Zweck …’" So, könnte man sagen: Auch Migräne macht Musik.
Quelle: Geistesblitze – der Science Slam über das Gehirn, im Rahmen des 90. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)in Leipzig.
Literatur: www.dgnkongress.org/programm/highlights/science-slam