Aufblühen statt ausbrennen, lieben statt leiden: Wohl jeder stünde lieber auf der Sonnenseite des Lebens. Ist dieses Glück relevant für die Medizin in der Hausarztpraxis? Unbedingt, sagt Glücksforscher und Allgemeinmediziner Prof. Tobias Esch vom Lehrstuhl für Integrative Gesundheitsversorgung sowie Gesundheitsförderung an der Universität Witten-Herdecke. Die Medizin kümmere sich viel zu wenig um die positiven Effekte von Glück auf den Menschen. Wer glücklich ist, hat eine "dramatisch höhere Lebenserwartung", sagt er, "Glück ist potenziell gesund". In seinen verschiedenen Ausprägungen erzeugt es Hormone, die positiv auf das Stresslevel einwirken. Der Hausarzt mit seiner "Chance, mit jedem Patienten in eine Beziehung zu treten", wird so zum einflussreichen Begleiter auf dem Weg in ein glückliches, zufriedenes Leben. Gleichwohl: "Fürs Glück muss man was investieren", sagt Esch.
Glück liegt nicht nur in den Genen
Der Allgemeinmediziner beschäftigt sich schon lange mit Glücksforschung, Stressmanagement, Gesundheitsförderung und Prävention; vor allem über seine Forschung zur glücklichen Lebensweise sprach der 46-Jährige anlässlich der Ringvorlesung "Was hilft heilen?" am Lehrstuhl für Allgemeinmedizin der Frankfurter Goethe-Universität. Im Kern stellte er dabei neben zahlreichen US-amerikanischen und deutschen Studien, an denen er teils selbst mitgewirkt hat, Thesen seines Buchs "Die Neurobiologie des Glücks. Wie die Positive Psychologie die Medizin verändert" (2011) vor, das vor zwei Jahren in zweiter und überarbeiteter Auflage neu aufgelegt wurde.
Glück liegt, so führt Esch aus, nicht (nur) in den Genen; nur zur Hälfte sei die Fähigkeit glücklich zu sein angeboren. Im Übrigen könne man auch trotz seiner Gene glücklich sein. Was aber ist grundsätzlich wichtig zum Glücklichsein? Die Harvard Grant Study als Langzeitstudie über 75 Jahre macht fünf Determinanten aus:
Wichtig zum Glücklichsein
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eine erfüllende Arbeit oder Tätigkeit,
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die Fähigkeit loslassen zu können,
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die Fähigkeit zu geben ohne Gegenleistung,
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der Glaube
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und – als wichtigste – die Liebe, und zwar sowohl als Fähigkeit jemanden oder etwas zu lieben als auch sich selbst als liebenswert zu empfinden.
Eine gelingende Partnerschaft, Kinder und gute Freunde nennt Esch als Quellen für Glücksmomente. Auf dem Weg zum Glück seien Dritte – also der Partner, Familie, Freunde –, die Offenheit für andere Menschen und Wandel im Sinne geistiger Beweglichkeit und Flexibilität entscheidende Faktoren. "Es gibt ein Potenzial an erreichbarem Seelenfrieden, was wichtig für die Therapie ist."
Drei Arten von Glück macht Forscher Esch aus: Vergnügen, Erleichterung und Freude. In funktioneller Einteilung der endogenen Motivations- und Belohnungssysteme entspricht demnach das Vergnügen einer kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung, die Erleichterung dem Resultat einer Angst- und Stressvermeidung, die Freude hingegen als höchstmöglichem Glückszustand tiefer Zufriedenheit, Sicherheit und Verbundenheit. Verantwortlich für die unterschiedlichen Glückszustände sind Hormone: beim Vergnügen nennt Esch Dopamin, Opioid-Peptide und Adrenalin, bei der Erleichterung Cortisol, Opioid-Peptide und Adrenalin, bei der Freude Oxytocin, Serotonin und endogene Opiate. Sie werden ausgeschüttet bei Belohnungs- und Motivationssystemen wie Bewegung, Entspannung, Spaß, Liebe, Ernährung, Naturerlebnissen, Spiritualität, Glaube und sozialer Interaktion.
Glück hängt auch vom eigenen Verhalten ab
Mit seiner Forschung in den USA entdeckte Esch, dass einige der Hormone konstitutiv gebildetes Stickstoffmonoxid erzeugen, das für Herzgesundheit und Stressbewältigung verantwortlich ist – und damit einen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass zum Beispiel Bewegung an frischer Luft gemeinsam mit Freunden besser tut als ein einsamer Abend vor dem Fernseher. Konkret nachgewiesen hat Esch das unter anderem im Feldversuch mit Studenten, die abends abwechselnd zum Waldsport mit Freunden respektive Couchlümmeln angehalten wurden.
Das Glück ist also, so hat es auch die britische Million Women Study gezeigt, kein Selbstwert, sondern steht in Abhängigkeit vom individuellen Verhalten. Es muss eingebettet sein in den passenden gesellschaftlichen Rahmen; als Happiness Indices – Glücksfaktoren, die global Glück messen –, gelten unter anderem das Gemeinschafts- und Zusammengehörigkeitsgefühl, ein adäquater sozialer sowie ein kultureller Raum zur Identifikation. Passen Rahmen und individuelles Verhalten zusammen, führt Glück zu einer höheren Lebenserwartung. Auch das hat die Million Women Study gezeigt, an der zwischen 1996 und 2001 mehr als eine Million Frauen zwischen 50 und 64 Jahren teilgenommen haben und damit mehr als die Hälfte der Bevölkerung dieser Altersklasse. "Eine subjektive Bedrohung dieser Determinanten führt zu Stress und einer Reduktion der Lebenszufriedenheit", stellt Tobias Esch fest. Individuelle Bedrohungsfaktoren zu identifizieren, scheint damit ein Schlüssel zur Verhaltens- und/oder Einstellungsänderung hin zu höherer Zufriedenheit zu sein.
Anleitung zur Selbsthilfe
Patienten zu einem glücklicheren Leben zu verhelfen, steigt tief ein in die Psychologie; nicht von ungefähr führt Esch die "positive Psychologie" im Untertitel seines Buchs. Neben der Medikation und medizinischen Prozeduren steht damit die dritte Säule ressourcenorientierter Medizin im Fokus des Handelns, nämlich die Selbsthilfe und eine entsprechende Anleitung dazu. Die Fähigkeit, negative Erlebnisse als sinnhaft zu empfinden, könne man lernen, sagt Esch.
"Wir wissen viel darüber, was gesund wäre, aber wir tun es nicht", resümiert er, vertritt aber zugleich die These, dass die Lebenszufriedenheit steigt, je weiter das Leben voranschreitet. Im Laufe seines Lebens mache der Mensch linear alle Zustände von Glück – Befriedigung, Erleichterung, Freude – durch und Zufriedenheit sei erst das Resultat eines gelebten Lebens, vermutet Esch. Vor diesem Hintergrund gewinnen positive Vorbilder an Bedeutung – und hier kommt möglicherweise wieder der Hausarzt als Vermittler ins Spiel.
Glückshormone
… werden ausgeschüttet bei Belohnungs- und Motivationssystemen wie
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Bewegung
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Entspannung
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Spaß
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Liebe
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Ernährung
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Naturerlebnissen
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Spiritualität
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Glaube und
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sozialer Interaktion