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BuchrezensionDie kranke Frau

Vom Mythos der umherwandernden Gebärmutter, die das Gehirn von Frauen schädigt, bis hin zur brutalen Klitoridektomie - in ihrem Buch "Die kranke Frau" begibt sich Elinor Cleghorn auf eine aufwühlende Reise durch 3.000 Jahre Medizingeschichte. Dabei zeigt sie eindrücklich: Frauen begegnen in der Medizin bis heute Ablehnung und Zweifel.

Das Buch beschäftigt sich mit der Benachteiligung von Frauen in der Medizin über einen Zeitraum von 3.000 Jahren.

Dieses Buch verschlägt einem den Atem. Man weiß ja, dass Frauen in der Medizin auch heute noch benachteiligt sind: Stichwort Herzinfarkt, der bei Frauen oft später als bei Männern und manchmal auch zu spät erkannt wird, weil Frauen andere Symptome haben. Oder Stichwort Endometriose, von der rund zehn Prozent aller Frauen betroffen sind und die meist erst nach vielen schmerzhaften Jahren diagnostiziert wird, weil die Symptome als “Frauenbeschwerden” abgetan werden.

3.000 Jahre Benachteiligung

Aber über die Benachteiligung von Frauen in der Medizin über einen Zeitraum von 3.000 Jahren (!) zu lesen, und welche Auswirkungen das hat (bis hin zu der Tatsache, dass eine schlechtere medizinische Versorgung schlichtweg dazu führt, dass mehr Frauen an eigentlich gut behandelbaren Erkrankungen sterben) – das macht das ganze Ausmaß erschreckend deutlich.

“In jeder Phase ihrer langen Geschichte hat die Medizin gesellschaftlich konstruierte Geschlechterdifferenzen aufgenommen und konserviert, denn sie sind tief in das Menschsein hineingewoben. [..] Unter genau diesen Bedingungen hat sich die moderne Medizin [..] als Beruf, Institution und wissenschaftliches Fachgebiet entwickelt. Die männliche Dominanz – und mit ihr die Überlegenheit des männlichen Körpers – ist seit der griechischen Antike ein fester Bestandteil der Medizin”, schreibt die Autorin, promovierte Kunsthistorikerin und Feministin Elinor Cleghorn in ihrer Einleitung.

Das rätselhafteste aller Organe

Der erste Teil des 500 Seiten umfassenden Buches (wobei 50 Seiten allein die Quellenangaben und Anmerkungen enthalten, was die wirklich fantastische Recherchearbeit der Autorin zeigt) beschreibt die Zeitspanne vom antiken Griechenland bis ins 19. Jahrhundert. Im antiken Griechenland, in der Zeit des Hippokrates – also des Mannes, auf den der Eid zurückgeht, der auch heute noch für Ärztinnen und Ärzte im Zentrum ihres Handelns steht – besaßen Frauen kaum Menschenrechte.

Hippokrates erkannte zwar an, dass sich Frauen- von Männerkörpern unterscheiden und “dass ‚Frauenkrankheiten’ besondere und spezifische Heilmethoden brauchen”, wie Cleghorn schreibt. Doch “das Recht von Frauen auf körperliche Autonomie und aufgeklärte medizinische Entscheidungen war [auch] ihm eher fremd. [..] Allerdings besaßen Frauen in diesem Anderssein das nützlichste und rätselhafteste aller Organe: den Uterus.”

Und da die einzige Bestimmung der Frau nun mal das Gebären und Großziehen von Kindern war, wurde ihre Gesundheit ausschließlich vom Uterus bestimmt. Kranken Mädchen und Frauen wurde zur Heilung Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft empfohlen, bei älteren Frauen galt der abstruse Mythos, die Gebärmutter sei leer und trocken (weil sie nicht mehr menstruierten oder Geschlechtsverkehr hatten), wandere auf der Suche nach Feuchtigkeit durch den Körper und schädige Organe oder das Hirn.

Die heiligen Hallen der Medizin

Mit der christlichen Theologie entstanden schließlich neue repressive Ansichten über Frauen und ihren Körper. “Das Christentum ersann eine andere Geschichte, um Frauen und ihre Körper für sämtliche Sünden der Welt verantwortlich zu machen. [..] Eva, von Anbeginn unvollkommen und unvollständig – ein Anhängsel, aus Adams Rippe entsprungen – [brachte] mit ihrer Triebhaftigkeit und ihrem Eigensinn nichts als Verderben”.

Gleichzeitig verboten die christlichen Moralgesetze des Mittelalters es Ärzten, Frauen körperlich zu untersuchen. “Letztendlich [..] entschied das Wissen der Männer, wie Frauen geheilt werden konnten, auch wenn diese Männer den Körper einer Frau nicht berühren durften.”

Welch frauenfeindliche Theorien damals zum Teil kursierten, beschreibt Cleghorn am Beispiel von “Secreta Mulierum”, einem Buch, das Kirchenmännern “in Dingen der Fruchtbarkeit, Empfängnis und Schwangerschaft unterrichten [sollte], ohne dass diese sich die Hände schmutzig machen mussten.”

Der Autor, der deutsche Bischof und Mönch Albertus Magnus schreibt darin voller Hass, “eine menstruierende Frau könne mit einem einzigen Blick Tiere vergiften, Kinder in der Wiege krank machen [..] und Männer mit Lepra und Krebs infizieren.” Einen Höhepunkt erreichte die Frauenfeindlichkeit in den Hexenverbrennungen des Mittelalters, dem besonders häufig Frauen zum Opfer fielen, die sich auf das Heilen von Erkrankungen spezialisiert hatten.

Damit sich diese kruden Theorien halten konnten, mussten Frauen unbedingt von den heiligen Hallen der Medizin ferngehalten werden, bemerkt die Historikerin. “Während die Professionalisierung des Arztberufes voranschritt, war es Frauen nicht erlaubt, ihn zu ergreifen, und eine Frau, die trotzdem praktizierte, konnte vor Gericht gestellt werden.”

Keine leichte Lektüre

Im zweiten und dritten Teil des Buches widmet sich Cleghorn dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1940er Jahre und von 1945 bis in die heutige Zeit. Wer hoffte, mit der Verwissenschaftlichung des Heilberufs, mit dem Erkämpfen von Frauenrechten und dem Zugang von Frauen zur akademischen Welt sei endlich Schluss mit der ärztlichen Ignoranz gegenüber Frauen, wird eines Besseren belehrt.

Anhand vieler unbegreiflicher Einzelschicksale – auch ihres eigenen – zeigt die Autorin, wie sich nur langsam das medizinische Verständnis von Frauen und ihren Körpern wandelt. Bis in die 1950er Jahre wurden in den Vereinigten Staaten und in Europa Lobotomien durchgeführt, um “emotionale Anspannung, Depressionen, Zwangsstörungen, Angst, Hypochondrie und Psychosen” zu heilen. Betroffen waren vor allem: Frauen.

Elinor Cleghorns Buch ist kein leichtes Buch, es macht betroffen und oft genug wütend. Aber es ist ein wirklich wichtiges Buch.

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