Können Ärzte auch ohne Therapie Beschwerden lindern? In gewissem Maße ja, ist der dänische Hausarzt und Forscher Prof. Frede Olesen von der Universität Aarhus überzeugt. Gerade Hausärzte seien dafür prädestiniert, seien sie doch “Spezialisten für Symptome”. Symptome setzten sich aus zwei Komponenten zusammen: einem Signal von außen und einer Reaktion des Gehirns. “Erwartungen der Patienten beeinflussen, wie sie Beschwerden empfinden”, sagte Olesen, der beim DEGAM-Kongress die Hufeland-Lecture der Stiftung Allgemeinmedizin gehalten hat.
Als ein Beispiel führte er eine Studie mit 66 Migränepatienten an [1]. Eine Stunde nach jeder der 453 Attacken wurde die Schmerzintensität erfasst; eine unbehandelte Attacke diente als Referenz. Um 62 Prozent reduzierten sich die Schmerzen, wenn Patienten Maxalt einnahmen und dies als Maxalt beschriftet war. Um nur noch 38 Prozent verbesserten sich die Beschwerden, wenn sie zwar Maxalt erhielten, aber glaubten, es sei ein Placebo. Nahezu dieses Ergebnis erzielte auch die Placebo-Gabe, wenn dies als Maxalt gekennzeichnet war (minus 30 Prozent). Entscheidend sei daher die Frage, “wie können wir den Filter des Gehirns beeinflussen?”, so Olesen. Seine Antwort: Hausärzte sollten den “Placebo-Effekt” von Zuwendung besser nutzen. In der Praxis werde aber die persönliche Beziehung zwischen Arzt und Patient für den Therapieerfolg häufig unterschätzt.
Doktor-Droge überragt Therapie
Wie sich die Zuwendung durch den Arzt auf die Schwere von Symptomen auswirkt, untersuchte eine Studie mit 262 Reizdarm-Patienten [2]. Sie wurden entweder beobachtet (“Warteliste”) oder erhielten eine Schein-Akupunktur. Die dritte Gruppe bekam ebenso eine Schein-Akupunktur, zusätzlich bauten Ärzte aber eine “intensive” Beziehung zum Patienten auf. Nach drei Wochen berichteten 62 Prozent der dritten, aber lediglich 44 Prozent der zweiten und 28 Prozent der ersten Gruppe, dass sich ihre Beschwerden deutlich gelindert haben. Den gleichen Trend belegten Messinstrumente zur Verbesserung des Gesamtzustands und zur Symptomschwere.
Ähnliches zeigte eine Studie mit 117 Rückenschmerzpatienten [3]. Sie wurden zufällig einer von vier Gruppen zugewiesen und bekamen entweder aktive oder Schein-Physiotherapie sowie entweder eine sehr empathische oder eingeschränkte Zuwendung. Patienten, die Physiotherapie und Empathie vom Therapeuten erhielten, schmerzte der Rücken danach am wenigsten. An zweiter Stelle folgten die Patienten, die zwar eine intensive Zuwendung, aber nur eine Schein-Behandlung bekamen. Sie lagen damit noch vor der Gruppe mit Physiotherapie und ohne Empathie (s. Abb. 1). “Die maximale Doktor-Droge überragt hier also sogar die aktive Therapie”, betonte Olesen. “Auch von uns vermittelte Informationen und Erwartungen des Patienten beeinflussen, wie das Gehirn Reize empfindet.” Dies funktioniere sogar, wenn es Reize nicht bewusst wahrnehmen könne [4].
Eine Frage der Aufklärung
Für Ärzte stelle sich daher die Frage, “wie detailliert sollte ich meinen Patienten über Nebenwirkungen informieren?”, so Olesen. Auch angesichts der informierten Entscheidungsfindung mit Patienten (ISDM) sei dies schwierig zu beantworten. Mögliche Folgen erläuterte er am Beispiel erektile Dysfunktion (ED) [5]: An der Studie nahmen 96 Männer mit neu diagnostizierter kardiovaskulärer Erkrankung teil, die nicht an ED litten. Ein Drittel erhielt verblindet den Beta- Blocker. Ein Drittel wurde über den Beta-Blocker informiert, aber nicht über die Nebenwirkung ED. Und ein Drittel wurde über die Nebenwirkungen vollständig aufgeklärt. Nach drei Monaten berichteten nur 3,1 Prozent der ersten, aber 15,6 Prozent der zweiten und 31,2 Prozent der dritten Gruppe über sexuelle Probleme. Mit Informationen sollten Ärzte gegenüber ihren Patienten daher mit Bedacht umgehen, rät Olesen. Denn mitunter könne eine umfassende Aufklärung über Nebenwirkungen diese gerade erst hervorrufen.
Symptome im Fokus
Um den Placebo-Effekt therapeutisch zu nutzen, schlug Olesen vor, die Ziele des Patienten in den Fokus der Behandlung zu rücken. Während Ärzte meist eher auf Zielwerte achteten, sei für Patienten die Linderung der Symptome oft relevanter. So zeigte eine Studie mit 46 Asthmatikern [6], dass zwar ein Asthma-Spray die Einsekundenkapazität FEV1 am meisten verbesserte (um 20 Prozent). Unter Placebo-Spray, Schein-Akupunktur und ohne Therapie nahm die FEV1 um je sieben Prozent zu. Fragte man aber die Patienten nach ihrem Befinden, schnitten Placebo-Spray und Schein-Akupunktur so gut ab wie das Asthma-Spray (s. Abb. 2).
Entscheidend, um Beschwerden zu lindern, sei eben auch der persönliche Draht. “Selbst wenn Patienten die beste Therapie erhalten, haben Sie mitunter wenig Erfolg, wenn Sie als Arzt in der persönlichen Beziehung zu Ihren Patienten versagen”, fasste Olesen zusammen. “Ärzte sind die stärkste und oft eine vergleichsweise günstige Medizin.” Der therapeutische Nutzen einer engen Beziehung zum Patienten werde aber nicht nur von Ärzten, sondern auch von der Gesellschaft zu oft vergessen.
Literatur
- Kam-Hansen S et al. Altered Placebo and Drug Labeling Changes the Outcome of Episodic Migraine Attacks. Sci Transl Med 2014; 6(218): 218ra5. DOI: 10.1126/scitranslmed.3006175
- Kaptchuk TJ et al. Components of placebo effect: randomised controlled trial in patients with irritable bowel syndrome. BMJ 2008 May 3; 336(7651):999-1003. DOI: 10.1136/bmj.39524.439618.25
- Fuentes J et al. Enhanced Therapeutic Alliance Modulates Pain Intensity and Muscle Pain Sensitivity in Patients With Chronic Low Back Pain: An Experimental Controlled Study. Physical Therapy 2014; 94(4):477-489, DOI: 10.2522/ptj.20130118
- Jensen KB et al. Nonconscious activation of placebo and nocebo pain responses. PNAS 2012; 109 (39) 15959-15964. DOI: 10.1073/pnas.1202056109
- Silvestri A et al. Report of erectile dysfunction after therapy with beta-blockers is related to patient knowledge of side effects and is reversed by placebo. European Heart Journal 2003; 24(21):1928-1932. DOI: 10.1016/ j.ehj.2003.08.016
- Wechsler ME et al. Active Albuterol or Placebo, Sham Acupuncture, or No Intervention in Asthma. N Engl J Med 2011; 365:119-126. DOI: 10.1056/ NEJMoa1103319
Quelle: Olesen F. Hufeland-Lecture: The context and the doctor as a drug. DEGAM-Kongress, Innsbruck, 15.9.2018