Zwar lässt sich mittlerweile per Definition eingrenzen, was Long- und Post-Covid-Symptome sind. So versteht man unter Long-Covid alle Symptome, die länger als vier Wochen nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten. Persistieren die Symptome länger als zwölf Wochen, spricht man von Post-Covid.
Auch klar ist, welche Symptome am häufigsten auftreten. Das sind Fatigue, Dyspnoe, Leistungseinschränkungen, Kopfschmerzen sowie Riech- und Geschmacksstörungen, wobei sich ganz grundsätzlich deutliche Unterschiede zwischen ambulant und stationär behandelten Patientinnen und Patienten zeigen. Aber wie sich die Diagnose “Long/Post-Covid” stellen lässt, und welche Behandlung angezeigt ist – das ist derzeit alles andere als klar.
“Bei einer Infektion ist Sars-CoV-2 überall im Körper und kann auch überall etwas auslösen. Long- und Post-Covid kann prinzipiell also alles sein”, fasste Dr. Hans-Otto Wagner bei einer Veranstaltung des Instituts für hausärztliche Fortbildung (IHF) zusammen.
“Das Problem ist, dass sich die meist sehr unterschiedlichen und subjektiven Beschwerden häufig nicht durch entsprechende Befunde objektivieren lassen. Die Diagnose eines Post-/Long-Covid-Syndroms kann weder durch eine einzelne Laboruntersuchung noch durch ein Panel an Laborwerten diagnostiziert werden. Ebenso schließen normale Laborwerte ein Post-/Long-Covid-Syndrom nicht aus.” Im Prinzip betreibe man Kaffeesatzleserei, so der Allgemeinmediziner vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.
Wagner empfahl bei Verdacht auf Long-/Post-Covid zunächst eine ausführliche Anamnese (siehe auch Kasten “Basisdiagnostik unten) und körperliche Untersuchung einschließlich neurologischem Status sowie ein Screening auf Depressionen oder Angststörungen.
Auch die soziale, familiäre und berufliche Situation sollte abgefragt werden. “Ergeben sich keine Warnhinweise, würde ich unter ‚Watchful Waiting‘ je nach Symptom die jeweiligen Leitlinien abarbeiten. Die DEGAM-Leitlinien Müdigkeit, Schwindel, Husten sowie der Expertenkonsens zu ME/CFS bieten hier zum Beispiel weitere Orientierung an”, erklärte Wagner. “Und haben Sie immer Differenzialdiagnosen im Blick!”
Zeigen sich Yellow Flags, empfahl der Allgemeinmediziner eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine engmaschigere Kontrolle. Dies sei der Fall bei ähnlichen somatischen und psychosomatischen Beschwerden in der Anamnese, einer hohen psychosozialen Belastung sowie bei gehäuften Konsultationen mit unergiebiger somatischer Diagnostik in der Vorgeschichte.
Um eine Chronifizierung zu vermeiden, sei auch an eine frühe psychosomatische Betreuung zu denken: “Das muss der Hausarzt im Patientengespräch thematisieren.” Auch rehabilitative Maßnahmen kämen in Betracht.
Bei Red Flags sollte eine vertiefende Diagnostik oder eine Überweisung an einen Spezialisten angeboten werden. Solche Red Flags sind laut Wagner etwa Warnhinweise in der Basisdiagnostik sowie eine zunehmende (para-)klinische Verschlechterung oder Unklarheiten.
Auch wenn nach durchgemachter Sars-CoV-2-Infektion die Einschränkungen länger als drei Monate persistieren, kann eine weiterführende spezialärztliche Abklärung angezeigt sein. “Sind die Symptome schwer, sollte aber in jedem Fall der jeweilige Facharzt hinzugezogen werden”, betonte Wagner.
Was tun bei Fatigue und Husten?
Bei länger bestehender Fatigue empfahl er, die Lymphknoten zu untersuchen und das Abdomen abzutasten (“immer an mögliche Differenzialdiagnosen denken, sich also etwa fragen: besteht ein Pankreas-Karzinom?”). Auch psychische Symptome sollten abgeklopft werden.
“Die Patienten sollten dazu ermutigt werden, sich nicht zu überlasten und nur bei Symptombesserung die Aktivität langsam zu steigern.” Viele neigten dazu, sich zu schnell wieder zu viel zuzumuten. Bei bestehendem Husten riet Wagner zu einer erweiterten Diagnostik mit Lungenfunktionsprüfung, EKG und einer Überprüfung der D-Dimere und Sauerstoffsättigung. Eventuell sei auch ein Röntgenthorax sinnvoll.
In Bezug auf Kopfschmerzen wies Wagner auf die hohe Spontanheilungsrate hin: “Bei rund 66 bis 75 Prozent der Betroffenen verschwinden die Kopfschmerzen innerhalb von zwölf Wochen.” Ohne Warnhinweise empfahl er eine Nachuntersuchung nach vier Wochen, bei starken Beschwerden oder neurologischen Auffälligkeiten die Überweisung an den Neurologen.
Auch bei Riech- und Geschmacksstörungen sei die Prognose gut – “und das sollte auch so kommuniziert werden”, betonte der Allgemeinmediziner. Im Mittel persistierten Riech- und Geschmacksstörungen etwa zweieinhalb Monaten. “Nach sechs Monaten können 90 Prozent der Patienten wieder riechen und schmecken.” Bei neurologischen Begleitsymptomen sei es aber sinnvoll, einen Neurologen oder HNO-Arzt hinzuzuziehen.
“Immer ein offenes Ohr!”
Die Abgrenzung zwischen psychischen und somatischen Ursachen sei bei Long- und Post-Covid-Symptomen oft schwierig, sagte Wagner abschließend. “Grundsätzlich sollten Hausärzte immer ein offenes Ohr haben und sich für jede ‚Idee‘ des Patienten Zeit nehmen und ihn ernst nehmen.”
Erfreulicherweise besserten sich die meisten Beschwerden von allein, häufig sei es ausreichend, die Betroffenen aufmerksam allgemeinärztlich zu beobachten.
Fazit
- V. a. Long-/Post-Covid: ausführliche Anamnese, körperliche Untersuchung plus neurologischem Status, Screening auf Depression oder Angststörung, Abfrage der sozialen Situation.
- Keine Warnhinweise: Leitlinien je nach Symptom unter „Watchful Waiting“ abarbeiten.
- Yellow Flags (z.B. hohe psychosoziale Belastung): engmaschigere Kontrolle, evtl. Hinzuziehen eines Spezialisten, psychosomatische Betreuung, Reha-Maßnahmen.
- Red Flags (z.B. Andauernde Symptome über mehr als drei Monate): weiterführende spezialärztliche Abklärung.