Bremen. Kitas, Schulen, Sporteinrichtungen, Spielplätze – alle geschlossen. Keine Geburtstags- oder Familienfeiern, kein Kontakt zu anderen Kindern, kein Spielen, kein Raufen, kein Lernen von und miteinander – Kinder und Jugendliche mussten in der Pandemie viel ertragen. Zu viel, betonte Bundesärztekammer (BÄK)-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Deshalb wolle man der jungen Generation beim Deutschen Ärztetag eine Stimme geben.
Zunächst ein paar Fakten: Eine Covid-Erkrankung verläuft bei den allermeisten Kindern mild. Die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) hat ein Register erstellt, in dem Daten von stationär behandelten Kindern und Jugendlichen aus 200 Kinderkliniken deutschlandweit erfasst sind.
“Was wir sehen: Nur ganz wenige Kinder mussten intensivmedizinisch versorgt werden, in der Datenbank waren es insgesamt nur rund 190 Fälle”, berichtete Professor Reinhard Berner vom Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden. “Drei Viertel dieser Kinder hatten Vorerkrankungen. 21 Kinder sind verstorben, und von diesen nur zehn tatsächlich an Covid-19. 16 Kinder hatten schwere Vorerkrankungen.”
“Mehr Post-Lockdown-Folgen als Post-Covid-Folgen!”
Auf der anderen Seite stehen die Folgen der strengen Kontaktbeschränkungen vor allem zu Beginn der Pandemie: “Die Post-Lockdown-Folgen übertreffen bei Kindern die Post-Covid-Folgen bei Weitem!” fasste der Kinder- und Jugendpsychiater Professor Martin Holtmann zusammen. “Wir sehen zum Beispiel, dass sich Zahl der Kinder mit psychischen Auffälligkeiten im Vergleich zum vorpandemischen Zeitraum mehr als verdoppelt hat.”
Die Zahl der Kinder mit pathologischer Mediennutzung habe um 44 Prozent zugenommen, die der Kinder mit Computerspielsucht um 52 Prozent. Es gebe zudem einen eklatanten Anstieg bei Kindern und Jugendlichen mit Magersucht.
Geringere Lese- und Mathekompetenz
Auch körperliche Folgen der Lockdown-Maßnahmen seien bei Kindern zu sehen, wie Reinhard Berner berichtete: Ein sprunghafter Anstieg des BMI, sowie ein Anstieg der Kinder mit Typ-1-Diabetes. “Wir vermuten, dass sich dadurch, dass sehr viele Kinder wegen der Lockdown-Maßnahmen keinerlei Kontakt mit alltäglichen Krankheitserregern hatten, eine Autoimmunität und ein Typ-1-Diabetes entwickelt hat”, erklärte er. Sicher belegt sei dies allerdings noch nicht.
Dr. Annic Weyersberg, Universitätsklinik Köln, wies auf die expliziten Folgen von Schulschließungen hin: “Wir sehen Insgesamt bei den Kindern eine geringere Lese- und Mathekompetenz, und zwar besonders bei solchen aus benachteiligten Familien. Das sind alles Folgen, die uns lange beschäftigen werden!”
Acht Millionen für die Lufthansa, aber nur eine Million für Kinder?
Zwar habe die Bundesregierung ein Aktionsprogramm für Kinder und Jugendliche gestartet, das aber nicht ausreichend sei. Laut BÄK-Chef Reinhardt wird das Aktionsprogramm mit einer Million Euro gefördert. “Die Rettung der Lufthansa wurde übrigens mit acht Millionen Euro unterstützt, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen,” meinte Reinhardt.
Das Fazit lautete daher einhellig: Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen muss in den Fokus gerückt werden. Sollten Lockdown-Maßnahmen wieder nötig werden, müssten Schulen und Kita geöffnet bleiben. “Schulen und Kitas sind Seismografen für psychische Auffälligkeiten”, betonte Kinder- und Jugendpsychiater Holtmann.