18. Münchner Aids- und Covid-TageHIV und Covid-19: Neues aus Forschung und Praxis

Wie lassen sich Hospitalisierungen und Todesfälle bei Risikopatienten mit Covid-19 reduzieren? Und – weniger dramatisch aber dennoch praxisrelevant – was kann man bei starker Gewichtszunahme unter antiretroviraler Therapie tun? Das diskutierten Experten bei den 18. Münchner Aids- und Covid-Tagen.

Menschen mit Adipositas, Diabetes mellitus oder Herzerkrankungen haben ein höheres Risiko für schwere Covid-19.

“Mit Nirmatrelvir können wir Todesfälle bei Sars-CoV-2-Patienten verhindern”, betonte Priv.-Doz. Dr. Markus Bickel, Frankfurt am Main. Die Substanz verringert die Virusvermehrung, indem es eine virale Protease blockiert. Das zusätzlich verabreichte Ritonavir hemmt den Abbau von Nirmatrelvir und sorgt so für eine längere Verfügbarkeit.

Die EU-Zulassung von Nirmatrelvir umfasst erwachsene Patienten mit Sars-CoV-2-Infektion und einem erhöhten Risiko für einen schweren Verlauf. Zu den Risikogruppen gehören etwa Patienten mit Adipositas, Diabetes mellitus, Herzerkrankungen, chronischer Nierenerkrankung, Immunsuppression und Menschen ab einem Alter von 60 Jahren.

Gut kontrollierte HIV-Patienten zählen nicht zur Risikogruppe; HIV-Patienten mit niedriger Anzahl an CD4-Zellen oder nicht supprimierter Viruslast hingegen schon.

Das Arzneimittel sollte möglichst unmittelbar nach der Diagnosestellung gegeben werden. “Wir können damit aber auch Patienten behandeln, die bereits seit fünf Tagen Symptome aufweisen”, erklärte Bickel. Der Internist und Infektiologe gibt das orale Medikament auch Risikopatienten mit typischen Symptomen und positivem Schnelltest bevor der PCR-Nachweis vorliegt. “Die häufige Sorge vor Regressansprüchen ist bei diesem Medikament vollkommen unbegründet”, so Bickel.

Deutlich geringeres Risiko für Hospitalisierung oder Tod

Ausschlaggebend für die Zulassung war eine randomisierte, placebokontrollierte Phase-II/III-Studie mit 2.246 ungeimpften, symptomatischen Risikopatienten [1]. Unter Nirmatrelvir und Ritonavir verringerte sich das Risiko für Krankenhauseinweisung oder Tod um 89 Prozent gegenüber Placebo.

Dieses Ergebnis war unabhängig davon, ob innerhalb von drei oder fünf Tagen nach Symptombeginn behandelt wurde. Todesfälle traten nur in der Placebogruppe auf. “Wie eine Subgruppenanalyse zeigte, profitieren alle Patienten, bei Älteren scheint die Wirksamkeit sogar noch besser zu sein”, berichtete Bickel.

Die Anzahl unerwünschter Ereignisse war in beiden Gruppen vergleichbar (22,6 Prozent unter Nirmatrelvir und Ritonavir vs. 23,9 Prozent unter Placebo). Schmeckstörung und Diarrhoe traten unter Verum häufiger auf.

Starke Gewichtszunahme unter TAF und INSTI

TAF (Tenofovir-Alafenamid-Fumarat) ist heute in zahlreichen Fixkombinationen der antiretroviralen Therapie (ART) von HIV-Patienten enthalten. Entwickelt wurde TAF aus TDF (Tenofovir-Disoproxil-Fumarat), da unter TDF bei längerer Anwendung in manchen Fällen eine verschlechterte Nierenfunktion oder Osteoporose auftrat.

Allerdings belegen mehrere Studien aus den letzten Jahren, dass die Umstellung von TDF auf TAF mit einer Gewichtszunahme einhergeht. So zeigte etwa eine Untersuchung, dass der Wechsel von TDF auf TAF innerhalb eines Jahres zu einer Gewichtszunahme von 3,17 Prozent führt [2].

Eine gepoolte Analyse aus acht randomisierten kontrollierten Studien beobachtete ebenfalls eine stärkere Gewichtszunahme unter TAF verglichen mit TDF oder den Nukleosid-Analoga Abacavir und Zidovudin [3].

Ein von übrigen HIV-Medikamenten unabhängiger Gewichtsanstieg direkt nach der Umstellung von TDF auf TAF (1,80 – 4,47 kg/Jahr) wurde in einer umfangreichen US-amerikanischen Studie gezeigt [4]. Nach etwa neun Monaten verringerte sich die Gewichtszunahme oder erreichte ein Plateau.

Gemäß der EACS (European AIDS Clinical Society)-Leitlinie von 2021 ist vor allem unter TAF oder INSTI (Integrase-Inhibitoren z.B. Bictegravir BIC, Dolutegravir, DTG) mit einem Gewichtsanstieg zu rechnen [5].

“Als Intervention empfiehlt die EACS-Leitlinie eine Optimierung des kardiovaskulären Risikoprofils sowie Änderungen der Gewohnheiten. Eine Umstellung der ART wird jedoch nicht erwähnt”, konstatierte Dr. Georg Härter, Ulm.

Hilft ein TAF- oder INSTI-Entzug?

Laut Härter gibt es prinzipiell die Möglichkeit des “TAF-Entzugs”, indem man auf ein TDF-haltiges Regime zurück wechselt. Eine Alternative stellt die Gabe von Dolutegravir/Lamivudin (DTG/3TC) oder Cabotegravir/Rilpivirin (CAB/RPV) dar. Die Kombination DTG/3TC wählte Härter für einen 37-jährigen HIV-Patienten, der – ohne seine Ernährungsgewohnheiten umzustellen – unter BIC/TAF/FTC (Emtricitabin, FTC) 9,5 kg Gewicht innerhalb von drei Monaten zugelegt hatte.

Nach der Umstellung auf DTG/3TC verringerte sich sein Gewicht in den folgenden drei Monaten um 4,5 kg. “Wie relevant das für den Patienten ist, muss sich herausstellen. Doch im Einzelfall ist dieses Vorgehen einen Versuch wert”, erklärte der Internist und Infektiologe. Definierte Risikogruppen für einen deutlichen Gewichtsanstieg liegen bisher nicht vor – gefährdet scheinen jedoch insbesondere “Women of Color”.

Laut einer weiteren Studie, erfolgt die Gewichtszunahme unter BIC/TAF/FTC schneller, stärker und mit höherer Wahrscheinlichkeit als unter DRV/COBI/FTC/TAF (Darunavir/Cobicistat/Emtricitabin/TAF) [6]. Die gewichtsfördernden INSTI lassen sich demnach versuchsweise mit einem Protease-Inhibitor (PI)-Regime ersetzen.

Härter zufolge ist unter allen antiretroviralen Substanzen eine Gewichtszunahme zu verzeichnen, allerdings fällt diese etwa unter NNRTI (Nicht-Nukleosid-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) oder PI moderat aus, verglichen mit INSTI oder TAF.

Die Frage, ob Patienten mit starker Gewichtszunahme tatsächlich von einer Umstellung auf ein anderes Regime profitieren, könnten derzeit laufende Studien klären. In der Phase-IV-Studie DEFINE werden Patienten mit raschem und signifikantem Gewichtsanstieg unter INSTI und FTC/TAF entweder sofort auf eine Fixkombination aus Darunavir/Cobicistat/Emtricitabine/Tenofovir Alafenamide (D/C/F/TAF) umgestellt oder bleiben für 24 Wochen auf INSTI und FTC/TAF und wechseln anschließend.

Primärer Endpunkt ist die Gewichtsveränderung zu Woche 24. Erste Ergebnisse könnten Ende nächsten Jahres vorliegen.

Literatur

  1. Hammond J et al. NEJM 2022; 386(15): 1397-1408
  2. Gomez M, Bogner JR. HIV&more online 2018 Sep 29. doi: 10.1007/s15010-018-1227-0
  3. Sax PE et al. Clin Infect Dis 2020; 71(6):1379-1389
  4. Mallon PWG et al. JIAS 2021; 24(4): e25702
  5. EACS (European AIDS Clinical Society) Leitlinie Oktober 2021 Version 11.0
  6. Emond B et al. Current Medical Research Opinion 2022; 38: 287-298
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