Abb.2: Wie oft werden Ärzte um Sterbehilfe gebeten?
Quelle: BfArM; Ansichten von Hausärzten zur Versorgung von unheilbar kranken Patienten am Lebensende; Befragung in Niedersachsen, 2006, n = 257 Hausärzte, DOI 10.1055/s-2006-933516
Hoffnung auf eine neue Rechtssicherheit keimte auf, die Hausaufgaben für die Bundesregierung waren deutlich formuliert. Und doch: Bislang ist, wohl auch durch die Corona-Pandemie verzögert, nichts geschehen. Ziel war eine Neuregelung in dieser Legislaturperiode – doch die Uhr tickt. Ende Juni ist die letzte Sitzungswoche des Bundestages terminiert, danach wäre eine Sondersitzung nötig.
Mittlerweile fürchten viele, dass es das Thema erst nach der Wahl (wieder) auf die politische Agenda schafft.
Zwei Entwürfe liegen vor
Zwei Gesetzentwürfe liegen bislang auf dem Tisch. Bei Redaktionsschluss war unklar, ob es noch im April zu einer sogenannten Orientierungsdebatte im Bundestag kommen würde – bei ethisch so komplexen Themen wäre das ein übliches Vorgehen.
Ein von Katrin Helling-Plahr (FDP) initiierter interfraktioneller Entwurf wird unter anderem von Prof. Karl Lauterbach (SPD) und Dr. Petra Sitte (Linke) unterstützt (Originaldokument: www.hausarzt.link/XgDuG ). Er rückt – wie von den Verfassungsrichtern aufgetragen – den Willen des Individuums in den Mittelpunkt, flankiert durch Fristen, Beratungsgespräche und Vier-Augen-Prinzip, um die freie und dauerhafte Entscheidung des Sterbewilligen zu gewährleisten.
Staatlich finanzierte Beratungsstellen sind vorgesehen, der Zugriff auf Medikamente zur Selbsttötung soll vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) losgelöst werden.
Einen weiteren Gesetzentwurf haben die Abgeordneten Renate Künast und Katja Keul (beide Grüne) vorgelegt (www.hausarzt.link/ev4jo ). Er zielt noch stärker auf mögliche Regelungsverfahren ab. Dazu unterscheidet er beispielsweise zwischen Menschen, die aufgrund einer unheilbaren Krankheit sterben möchten, und jenen, die trotz Gesundheit keinen Lebenswillen mehr verspüren – sie sind im Urteil des Bundesverfassungsgerichts explizit inkludiert.
Im ersteren Fall soll Ärzten in der Frage, ob ein Medikament zur Verfügung gestellt wird, eine entscheidende Rolle zukommen, im letzteren nicht.
Weitere Option: Fokus auf Ausnahmen
Beide sind liberaler als ein Papier der Bundesregierung, das kurz vor Redaktionsschluss noch bekannt wurde: Zwar handele es sich dabei explizit um ein “internes” Papier, jedoch skizziert es Medienberichten zufolge eine andere Richtung. Die Hilfe zur Selbsttötung könnte demnach weiterhin unter Strafe stehen – mit Ausnahmen, wenn ein “abgestuftes Schutzkonzept zur Wahrung der betroffenen Schutzgüter” eingehalten werde.
Ärzte und Psychotherapeuten sollen demnach schriftlich bescheinigen, dass eine zur Selbsttötung entschlossene Person bestimmte Voraussetzungen erfüllt und ihren Willen frei von akuten psychischen Störungen gebildet hat. Eine Wartezeit von regelhaft sechs Monaten soll Betroffene vor Kurzschlussreaktionen schützen. Zudem soll es ein “grundsätzliches Werbeverbot” für die Suizidbeihilfe geben. Konkret sieht das Konzept zudem ein “Gesetz zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung” vor.
Losgelöst davon spricht sich Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, für ein nationales Programm zur Suizidprävention aus, das auch einen Ausbau palliativmedizinischer und hospizlicher Angebote enthalten müsse.
Die Grundfrage lautet aber: Bleibt die Sterbehilfe grundsätzlich strafbar und wird dem Auftrag der Verfassungsrichter nur durch “Ausnahmen” entgegengekommen – oder kommt es tatsächlich zur kompletten Neuregelung?
PRO
Sterbehilfe ist eine ärztliche Aufgabe
Freiheit ist: verschiedene Möglichkeiten zu sehen und bewusst eine davon zu wählen. Vielleicht ist es auch eine Art von Freiheit, anderen die Entscheidung und damit die Verantwortung zu überlassen. Oder nur eine Gewohnheit?
Was Freiverantwortlichkeit in Bezug auf den assistierten Suizid ist, hat der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 3. Juli 2019 präzise definiert (Az. 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18). Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 ist klar: Ärztinnen und Ärzte können sich ohne Angst vor Strafe entscheiden, bei einem freiverantwortlichen Suizid Beistand zu leisten. Klar ist aber auch: Wer einem nicht freiverantwortlichen Menschen bei der Selbsttötung hilft, wird nach Paragraf 22 StGB wegen Totschlags bestraft.
Jeder, der hilft, muss sich sorgfältig vergewissern, dass die Entscheidung des Sterbewilligen freiverantwortlich erfolgt ist. Das braucht Zeit, gegenseitiges Vertrauen, intensives Kennenlernen. Ich habe in den letzten Jahrzehnten einige wenige Male Sterbehilfe geleistet und die Menschen, denen ich geholfen habe, vorher sehr gut gekannt. Eine wohlüberlegte, nachdrückliche Bitte um die Verschreibung geeigneter Medikamente und um eine Sterbebegleitung ist bei mir nur alle paar Jahre vorgekommen. Das waren und sind dann Menschen, die sehr selbstbestimmt und selbstverantwortlich gelebt haben und auch so sterben wollen.
Jeder verantwortungsvolle Arzt, der bereit ist, Sterbehilfe zu leisten, und jeder der drei in Deutschland tätigen Sterbehilfe- Vereine (DGHS, Dignitas, Verein Sterbehilfe) verlangt eine wohlüberlegte Patientenverfügung, einen Lebenslauf (in dem viele Fragen beantwortet werden müssen), alle wesentlichen Arztbriefe und eine ausführliche Begründung der Freiverantwortlichkeit.
Die Begleitung eines freiverantwortlichen Suizids ist eine ärztliche Aufgabe, genauso wie eine Abtreibung eine ärztliche Aufgabe ist. Wer sonst kann eine fachkundige Beratung durchführen, wer sonst genießt das Vertrauen des Patienten, wer sonst hat die medizinischen Kenntnisse? Dafür muss es ganz selbstverständlich auch Abrechnungsnummern im EBM und der GOÄ geben. Ebenso muss auf dem Leichenschauschein ein Abschnitt eingefügt werden.
Eine verfassungsgemäße Änderung der Musterberufsordnung für Ärzte wird in Kürze erfolgen.
In Deutschland wird Suizidhilfe ausschließlich mit nicht BTM-pflichtigen Medikamenten durchgeführt. Leider steht das in einigen anderen Ländern verfügbare, oft erprobte und schnell wirksame Natrium-Pentobarbital nicht zur Verfügung. Hier ist dringend auch eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes nötig.
Dr. Anton Wohlfart Hausarzt und Palliativmediziner in Ehekirchen
CONTRA
Hilfe zum Leben statt Hilfe zum Sterben
Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum assistierten Suizid vom 26. Februar 2020 untergräbt den Kern ärztlichen Handelns mit seinem Grundsatz primum nihil nocere. Den Suizidwunsch müssen wir doch als Symptom menschlicher Not, als Hilferuf, erkennen, der in aller Regel vorübergehender Natur ist. Aufgabe des Arztes ist es, dem suizidalen Menschen einen Ausweg aus seiner vermeintlichen Hoffnungslosigkeit aufzuzeigen, mit ihm neue Perspektiven im Umgang mit seiner schwierigen Lage zu entwickeln, und diese Situation mit ihm auszuhalten.
Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient basiert auf der Gewissheit, dass der Arzt höchsten Respekt vor dem Leben – auch in seiner gebrechlichen Form – bewahrt. Die menschliche Autonomie ist immer eine Autonomie in Beziehung zum Mitmenschen. Daher wird die Haltung der Menschen, die Suizidwilligen begegnen, immer auch den Suizidwunsch in die eine oder andere Richtung beeinflussen – die Selbstbestimmung entlässt keinen Mitmenschen und erst recht keinen Arzt aus der Verantwortung.
Es darf niemals die Absicht ärztlichen Handelns sein, dass nach einer Konsultation der Patient nicht mehr lebt. Vielmehr sollten Ärztinnen und Ärzte sich tatkräftig einsetzen für eine Kultur des Beistandes für schwer kranke und sterbende Menschen, die Mut macht und Hoffnung weckt für ein Leben bis zum letzten Atemzug.
Die palliativmedizinische Betreuung hat zur zentralen Aufgabe, Lebensqualität zu schenken, den Patienten auf seiner letzten Wegstrecke zu begleiten, zur Seite zu stehen und “Wunden”, die das Leben geschlagen hat, gemeinsam anzuschauen, zu reinigen und noch zur Abheilung zu bringen. Diese Begleitung hat mit Leben und Heilung im ureigensten Sinne zu tun. Fast immer ist diese gebrechliche Zeit besonders “lebendig” und wertvoll. •
Dr. Volker Eissing Hausarzt und Palliativmediziner in Papenburg
Prof. Paul Cullen Vorsitzender der “Ärzte für das Leben”
In jedem Fall wird die Antwort tief ins ärztliche Berufsrecht hineinwirken. Bereits das Bundesverfassungsgericht hatte darauf hingewiesen, dass die ärztliche Musterberufsordnung entsprechend anzupassen sei.
Ärztetag diskutiert digital
Daher will sich auch der Deutsche Ärztetag Anfang Mai mit dem Thema beschäftigen . Eine geschlossene Haltung der Delegierten ist dabei wohl eher unwahrscheinlich. Zwar lehnten 62 Prozent der Ärztinnen und Ärzte 2010 die ärztlich assistierte Sterbehilfe ab [1], und auch Stand heute bekennt sich nur eine Handvoll Hausärztinnen und Hausärzte offen dazu, schon einmal Sterbehilfe geleistet zu haben (s. “Pro”).
Unklar ist aber, wie hoch die “Dunkelziffer” ist. Darüber hinaus sei unbestritten, dass sich eine wachsende Zahl die Suizidassistenz vorstellen könne, sagte Ethikrat-Mitglied Prof. Franz-Josef Bormann erst kürzlich [2].
Der Vorstand der Bundesärztekammer empfiehlt zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils konkret, Satz 3 in Paragraf 16 Musterberufsordnung zu streichen. Demnach würde “Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.” wegfallen, bleiben würden die beiden Sätze “Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten.”
Als durchaus möglich gilt, dass die Delegierten sich für eine Erläuterung oder Begründung der Streichung einsetzen werden, die festhält, dass die Suizidassistenz als ureigene ärztliche Aufgabe verneint wird.
Als Redner sind während des nur zweitägigen digitalen Ärztetags Dr. Klaus Reinhardt als Vorsitzender des Ausschusses für ethische und medizinisch-juristische Grundsatzfragen sowie Dr. Josef Mischo, Chef des Berufsordnungs-Ausschusses, vorgesehen. Anschließend werden auch Hausärzte ihre Gedanken einbringen. So wie H., der die Debatte als Delegierter aufmerksam verfolgen wird.
* Name liegt der Redaktion vor
Fazit
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Februar 2020 gekippt hatte, ist eine Neuregelung noch offen.
Auf dem Tisch liegen zwei interfraktionelle Gesetzentwürfe sowie ein Arbeitspapier aus dem Gesundheitsministerium. Bei Redaktionsschluss unklar war, ob es noch vor der Bundestagswahl zu einer Debatte dieser Vorschläge kommen würde.
Ein Votum der Politikerinnen und Politiker hätte auch dem Deutschen Ärztetag helfen können: Dieser diskutiert das Thema am 4. und 5. Mai digital; es geht dabei auch um die entsprechende Änderung der Musterberufsordnung für Ärzte.
Quellen im Online-Artikel auf www.hausarzt.digital