Berlin. Adipöse Patienten müssen über ihr gesamtes Leben begleitet werden – also auch nach einem deutlichen Gewichtsverlust, plädierte Dr. Dirk Ghadamgahi, Ärztlicher Leiter von Johnson & Johnson Medical, in einer Gesprächsrunde zur Prävention auf dem Hauptstadtkongress. „Wir müssen über Adipositas-Patienten denken wie über trockene Alkoholiker”, sagte er dort. „Sie benötigen eine lebenslange Begleitung durch ihren Arzt.” In diesem Zusammenhang forderte er eine entsprechende Vergütung dieser Betreuungsleistung, die in seiner Schlüsselrolle der Hausarzt übernehmen könnte.
Politik, Kassen und Selbstverwaltung müssten entschlossen handeln, um eine angemessene Therapie und weitergehende Betreuung aller Adipositas-Patienten zu sichern. „Aktuell ist es zum Großteil Glück, wo und in welcher Kasse ich versichert bin, ob ich wirklich alle verfügbaren Angebote nutzen kann.”
Einmal gelernt, immer verstanden
Auch Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), betonte auf dem Podium diese Notwendigkeit zur Kooperation in Sachen Prävention. Damit diese wirkt, müsse einerseits ressortübergreifend – also etwa von Gesundheits- und Bildungsministerium – gedacht werden, andererseits kann eine Betrachtung auf sehr regionaler Ebene helfen.
Als Positiv-Beispiel nannte Thaiss dabei die Kommune Neumünster: Seit 2010/11 ist die Adipositasrate bei der Einschulung um 1,1 Prozent gesunken – unter anderem aufgrund einer guten Kooperation von Gesundheits- und Bildungswesen, so Thaiss. Neumünster sei für sie Beispiel, dass auch „unter sehr schwierigen Bedingungen, mit einer sehr hohen Adipositasrate als Ausgangspunkt” Erfolge erzielt werden können. Dies sei dadurch unterstützt worden, dass Daten auf kommunaler Ebene ausgewertet wurden und das Problem damit in greifbare Nähe rückte.
Dabei geht es darum, in den verschiedenen Lebenswelten einmal entsprechende Anreize zu setzen. „Haben wir es geschafft, etwa einen Beschäftigten im Betrieb davon zu überzeugen, dass er von Bewegung und gesunder Ernährung profitiert, dann wird er das auch im Rentenalter weiterführen.”
“Marketing” für Gesundheit in der Öffentlichkeit verstärken
Um diese Anreize zu setzen, sieht Mathias Krisam, Junior Consultant der Boston Consulting Group, Chancen im Nudging. Der Begriff beschreibt das Beeinflussen von Entscheidungen auf sehr indirektem Weg, also etwa ohne gezielte Anreize. Zwei Beispiele für sogenannte Nudges in der Gesundheitsförderung:
- Verfügbarkeit: Frei verfügbare Wasserspender in Betrieben können etwa helfen, den Cola-Konsum zu reduzieren; im Nudging nicht enthalten sind ökonomische Anreize wie die diskutierte Zuckersteuer.
- „Prompting”: Pfeile an Treppen mit der Aufforderung, diese zu benutzen, setzen unterbewusst Anreize; gerade in Verbindung mit kurzem Hinweis auf gesundheitlichen Nutzen ist Effekt in Studien belegt.
Für Deutschland könnte ein solches Prompting etwa an Bahnhöfen, durch große Werbeplakate mit „Marketing-Botschaften” für eine gesunde Lebensweise, platziert werden, so Krisam. Auch eine Auslage von Obst statt Süßigkeiten an Supermarkt-Kassen könnten durch das Abzielen auf die Bequemlichkeit Erfolge zeigen (Verfügbarkeit). Auch die diskutierten Lebensmittel-Ampeln stießen Entscheidungen auf Nudging-Ebene an.
Zunehmende Sorge vor “Gesundheitsaposteln”
Rudolf Henke (CDU), Mitglied des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag und Vorsitzender des Marburger Bundes, zeigte sich hier skeptisch. „Bürger wollen als mündige Bürger wahrgenommen und nicht vom Staat erzogen werden”, meint er. So beobachte er unter anderen Abgeordneten im Bundestag jüngst eine große Sorge vor „Gesundheitsaposteln”, die Prävention durch Zwangsmaßnahmen verstärken wollten – etwa auch in der Debatte um das Tabak-Werbeverbot. „Wir sollten dringend prüfen, ob solche Nudging-Maßnahmen wirklich dem Auftrag des Staates entsprechen.”