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German DoctorsEin Sonnenstrahl für die Slums von Kalkutta

Kalkutta nennen die Einheimischen auch "Stadt der Freude". Doch die gesundheitliche Versorgung ist alles andere als das. Eine Allgemeinmedizinerin erzählt von ihrem Einsatz für German Doctors zwischen Saris, Sonnenstrahlen und Slums.

Der Ganges bei Kalkutta. Über 14 Millionen Menschen leben in der Region.

Säcke, Tüten, Kanister: Wo man hinblickt, stapelt sich der Müll. Gerüche, die europäische Nasen nicht gewohnt sind, liegen in der Luft. Die Straßen lärmen unerträglich, die Luft strotzt vor Staub und Abgas. Auf den lehmigen Straßen tummeln sich bettelarme Kinder, Frauen und Männer. Sie nutzen jedes Fleckchen als Behausung – braune Hütten mit Wellblechdach, teils nur ein Vorhang als Tür.

Sechs Wochen als Hausärztin in den Slums von Kalkutta – das sollte man sich gut überlegen! Seine Bewohner nennen Kalkutta die “Stadt der Freude”, doch von der einstigen Pracht zeugen nur noch verfallene Gebäude.

Es wäre schwer zu ertragen, wäre da nicht die unendliche Dankbarkeit der Patienten, ein erfahrenes und geduldiges einheimisches Praxisteam, das sich alle sechs Wochen auf einen neuen “German Doctor” einstellen muss. Täglich behandeln wir Kinder und verzweifelte Mütter, die keine Hilfe in den staatlichen

Krankenhäusern bekommen. Die Kliniken sind überfüllt, es mangelt an Ärzten und Pflegepersonal. Unsere Patienten sind dankbar für jede noch so kleine Hilfe in Form von sachgerechter Diagnostik und Therapie, aber auch Empathie.

So umarmen mich die alten, abgemagerten Menschen, weil ich ihnen eine Decke schenke, damit sie nicht in den kühlen Nächten der Wintermonate frieren. Einen Teil meines Mittagessens spende ich an die Bedürftigen, die nach der Mittagspause auf Behandlung warten. Sechs Wochen als Hausärztin in den Slums von Kalkutta – ist allein deswegen alle Strapazen wert!

“Hilfe, die bleibt”

Der Verein German Doctors entsendet Ärzte in diverse Projekte in Entwicklungsländer, um dort basismedizinische Hilfe zu leisten. “Hilfe, die bleibt!” lautet der Slogan. Zwar wechseln die Ärzte alle sechs Wochen, aber dadurch entsteht eine stetige Zusammen- arbeit, die in den langjährigen Projekten fortgesetzt werden kann.

Darüber werden einheimische Mitarbeiter ausgebildet. Auch klären wir Patienten über Wassergebrauch, Hygiene, Ernährung, Familienplanung und Bildung auf. Alle Ärzte arbeiten ehrenamtlich, verzichten auf Urlaub und übernehmen mindestens die Hälfte der Flugkosten (S. 56).

In Kalkutta fahren zwei Teams derzeit fünf Ambulanzen mehrmals in der Woche an. Jedes zählt drei Ärzte. In den Slums leben in einem winzigen Raum ohne Fenster meist sechs Menschen. Sie schlafen alle auf einer Pritsche, von den Großeltern bis zum Säugling. Für 50 bis 100 Menschen gibt es nur eine Stehtoilette! Obst ist teuer und kommt recht selten auf den Speisezettel. Kein Wunder, dass hier die Tuberkulose grassiert. Ein Besuch mit den Tuberkuloseschwestern führt uns die Lebensumstände drastisch vor Augen.

Killer Nummer 1: TBC

Ein breites Spektrum an Krankheiten erwartet uns, aber die TBC ist der Killer Nummer 1 der Slumbevölkerung. Oft tritt sie als Lungentuberkulose auf, aber wir sehen alle Formen: Lymphknotentuberkulose, Knochentuberkulose, die tuberkulöse Meningitis oder die abdominelle Tuberkulose. Mit seiner Erfahrung ist

uns der Langzeitarzt Dr. Tobias Vogt eine große Hilfe. Er lebt seit 15 Jahren in Kalkutta und steht uns zur Seite, wenn es um Therapien, aber auch um nicht vermeidbare stationäre Einweisungen geht. Es gibt zwei ländliche Ambulanzen und drei städtische, die in den Slums liegen.

Durch die Luftverschmutzung, aber auch Begleiterkrankungen leiden viele an chronischer Bronchitis und Asthma. Hautkrankheiten wie Scabies, Läuse und allen voran die Tinea corporis sehen wir täglich in einem Ausmaß, das in Deutschland unvorstellbar ist. Auch das hängt mit Hygiene und Klima zusammen und erfordert von Ärzten und Übersetzerinnen immer wieder Hygienehinweise an die Patienten. Besonders Frauen sind enorm gefährdet. Sie waschen sich an den öffentlichen Brunnen, waten in ihren farbenfrohen Saris ins Brackwasser, seifen die Gewänder mit ein. Ihre Oberteile schmiegen sich eng an ihre Haut. Dank des feuchtwarmen Klimas sind das ideale Bedingungen für Pilze, um sich auf der Haut auszubreiten. Außer der lokalen und systemischen Therapie raten wir den Frauen, die nasse Kleidung schnell zu wechseln.

Fehlende Sonne, fehlende Nahrung

Kinder werden häufig von Würmern befallen. Daher versuchen wir mehrmals im Jahr zu entwurmen. Säuglinge und Kleinkinder kommen mit Infekten zu uns, nicht selten aber steckt eine Pneumonie oder Bronchitis dahinter, oft verursacht durch Unterernährung. Einigen geht es

so schlecht, dass wir sie in die Kinderstation der German Doctors aufnehmen müssen, wo wir sie täglich besuchen können. Dort kümmert sich ein Pädiater um ihr Wohlergehen. Manchmal entführen die German Doctors die kleinen Patienten auf einen Ausflug: Im Zoo von Kalkutta gibt es weiße bengalische Tiger zu bewundern, die die Kinderaugen zum Strahlen bringen. Ein paar Stunden Ablenkung von ihrer oft monatelangen Behandlung auf der Station.

Immer wieder stehen noch kleine Mädchen und Jungen mit verkrümmten Händen und Beinen vor uns. Aus religiösen Gründen verhüllt die Kleidung oft den ganzen Körper. Viele leben in fensterlosen, dunklen Räumen und gehen nur wenig an die Sonne. So erkranken schon Kinder an Rachitis, was sich durch Gelenkdeformationen zeigt. Mädchen und Frauen leiden an Osteomalazie, was wiederum zu Behinderung und Erwerbslosigkeit führt. Aber wir behandeln auch Chroniker mit Diabetes mellitus, Hypertonie, viele Patienten mit Apoplex und dessen Folgen sowie Epileptiker.

Entlang der Lebensader Hooghli

An den Wochenenden bieten sich uns aber auch andere Bilder: Wir tauchen ab in die indische Kultur, lassen uns von den Sehenswürdigkeiten Kalkuttas den Atem rauben. Ab und an fahren wir mit den Impfschwestern in die Außenbezirke der Megacity, in deren Region mehr als 14 Millionen Menschen wohnen. Entlang des Flusses Hooghli, ein Arm des Ganges, reiht sich ein Ziegelfeld ans nächste. Die Lehmziegel leuchten von Matsch- bis Goldbraun: An einem Tag gießen Familien hier rund 1.000 Ziegel. Viele ziehen dafür als Saisonarbeiter

samt ihren Großfamilien für vier Monate aus den Staaten Bihar und Jharkhand im Norden bis zu 600 Kilometer gen Süden nach Kalkutta. Jeder Ziegel trocknet sieben Tage in der Sonne, bevor sie dann in den Öfen auf den Feldern gebrannt werden. Erst dann können daraus Häuser gebaut werden.

Schon ab zwölf Jahren arbeiten Kinder mit. Regelmäßig werden sie von den Impfschwestern durchgeimpft. Schwangere versorgen sie mit Vitaminen, Keksen und Eisenpräparaten – viele von ihnen sind selbst noch Kinder. Zu unseren Besuchen bringen wir Obst mit, worüber sich die Familien sehr freuen. Natürlich löst das alles nicht die Probleme, aber es rührt mich, Dankbarkeit selbst für so kleine Taten zu sehen.

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