David spielt Arzt. Das “Wartezimmer” des Vierjährigen ist voll, Teddy über Teddy stapelt sich, immer wieder kommt ein neuer Bär die Tür herein, und jeder wartet auf seine Behandlung – auch, als Davids Schicht schon längst zu Ende ist.
Es ist eine Szene, die nicht nur in Kliniken, sondern auch in Praxen immer wieder anzutreffen ist: In der Corona-Pandemie etwa, als zahlreiche Hausärztinnen und Hausärzte ans Ende ihrer gewohnten Sprechzeit noch eine mehrstündige Infektionssprechstunde dranhängten und Patienten abgestrichen, beraten, beruhigt haben. Und es ist die Szene, mit der Hausarzt Dr. Thomas Kötter seinen Vortrag eröffnet hat: Bei der digitalen practica referierte er im Oktober zum Thema “Gesundheit von Hausärztinnen und Hausärzten”.
“Wir Ärzte haben oft ein ungesundes Verhältnis zur Freizeit”, erklärt er dort einen Baustein des Problems. “Wir stellen unser Leben in den Dienst der Versorgung und schämen uns geradezu dafür, wenn wir einmal nicht arbeiten, sondern etwas vermeintlich Sinnloses tun.” Dabei sei gerade das nötig, um auch dauerhaft eine hochwertige Versorgung stemmen zu können.
Selbstfürsorge im Genfer Gelöbnis
Festgehalten hatte dies 2017 auch der Weltärztebund bei seiner Überarbeitung des Genfer Gelöbnisses (s. links; “Der Hausarzt” 8/18). Der “moderne Hippokratische Eid”, der der Berufsordnung vorangestellt steht, besagt seither, dass sich Ärztinnen und Ärzte – etwa mit Blick auf die eigene Niederlassung – auch um ihre eigene Gesundheit kümmern sollen. Der Deutsche Ärztetag hatte die Arztgesundheit 2019 sogar zu seinem Schwerpunkt gemacht (“Der Hausarzt” 7/19).
“Ich persönlich bin überzeugt davon, dass wir als Ärzte regelmäßige Selbstreflexion brauchen und dies nicht nur für unsere Patientinnen und Patienten, sondern vor allem für unser eigenes Wohlbefinden”, sagt Prof. Pascal Berberat, Teil des vierköpfigen Autorenteams, das im Dezember den Ratgeber “Arzt & Ärztin als Ganzes – sinnvoll leben, sinnvoll arbeiten” (s. Kasten) veröffentlicht hat. “Besonders in Krisensituationen, wie jetzt in der Pandemie, brauchen wir diese Fähigkeit mehr denn je.”
Nichtsdestotrotz: Bislang müssen Ärztinnen und Ärzte, die Selbstfürsorge praktizieren wollen, nach diesen Ankern gezielt suchen, kritisiert Hausarzt Kötter. “Seminare zu Selbstfürsorge und Resilienz, etwa in der regelmäßigen Fortbildung, fehlen.”
Auch ist die Selbstfürsorge zwar im Genfer Gelöbnis festgeschrieben, nicht jedoch –beispielsweise in Form konkreter Lehrinhalte oder Werkzeuge – in der Approbationsordnung, die gerade überarbeitet wird (S. 20f.). Dabei wäre durchaus denkbar, entsprechende Kurse bereits im Curriculum zu verankern – ähnlich zu digitalen Lerninhalten, die jetzt fest in den Ausbildungskatalog aufgenommen werden.
Jeder sollte einen Hausarzt haben
Eine Wurzel des Problems sei der ärztliche Umgang mit “Krankheit”, beobachtet Kötter. Bei Patientinnen und Patienten werde diese Tag für Tag begutachtet und therapiert – bei sich selbst jedoch tabuisiert. “Der Grat zwischen völliger Verdrängung von Symptomen und heilloser Überdiagnostik ist besonders schmal, wenn es um die eigene Gesundheit geht”, sagt Kötter.
Als er die rund 20 Teilnehmer im Online- Seminar fragt, wer von ihnen selbst eine Hausärztin oder einen Hausarzt habe, verneinen die meisten. Für Kötter ist das bezeichnend: “Entweder wir kennen die Kollegen nicht und haben, weil wir selbst ja so gute Hausärzte sind, große Vorbehalte”, sagt er, “oder aber wir kennen die Kollegen viel zu gut.”
Sein Tipp: “Wir sollten uns alle einen guten Hausarzt suchen, und zwar in guten Zeiten. Ganz so wie wir es auch Patienten raten, die neu in eine Stadt gezogen sind.”