Update zur antiretroviralen Therapie
Gemäß der aktuellen Deutsch-Österreichischen Leitlinie soll eine HIV-Infektion grundsätzlich dauerhaft antiretroviral behandelt werden – unabhängig von Immunstatus und Viruslast im Plasma. Empfohlen wird zudem, die ART so rasch wie möglich einzuleiten.
Dies gilt insbesondere für Patienten mit symptomatischer HIV-Infektion oder mit einer Beeinträchtigung der T-Zell-Immunität sowie für Patienten mit erhöhtem Risiko für eine Progression etwa aufgrund einer Hepatitis B-Koinfektion, einer Schwangerschaft oder einem Alter über 50 Jahren.
Wie neue Untersuchungen zeigen, wirkt sich ein zeitnaher Start der ART auch günstig auf die Entwicklung von nicht-Aids-definierenden und Aids-definierenden Tumoren aus.
Für die Initialtherapie stehen der Deutsch-Österreichischen Leitlinie zufolge mehrere Kombinationen zur Verfügung (Integrase-inhibitor-basiert, Nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer (NNRTI)-basiert, Proteaseinhibitor-basiert), wobei Fixkombinationen den Vorteil einer besseren Patientenadhärenz aufweisen.
Die europäische Leitlinie der EACS (European Aids Clinical Society) empfiehlt hingegen ausschließlich Integraseinhibitor-basierte Regime. Trotz zahlreicher Therapieoptionen bleiben einige Herausforderungen bestehen. Dazu zählen neben der Toxizität der ART auch die geringen Studiendaten für weibliche HIV-Patientinnen, die Behandlung der ‚late presenter‘ sowie die Gewichtszunahme unter Integraseinhi-bitoren (Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn).
Sex-Survey: Was weiß die Allgemeinbevölkerung über STI?
Von Oktober 2018 bis September 2019 wurden 4.955 Interviews geführt (18-35-Jährige überrepräsentiert), die das Wissen der zufällig Ausgewählten zu sexuell übertragbaren Infektionen (STI) ermittelten. HIV/AIDS ist den meisten Befragten ein Begriff: 71 Prozent erwähnten die Erkrankung von selbst (ungestützte Abfrage), 94 Prozent kreuzten sie auf einer Liste an (gestützte Abfrage).
Weniger bekannt sind Gonorrhö/Tripper (39 Prozent bzw. 75 Prozent) und Syphilis (32 Prozent bzw. 81 Prozent). Die übrigen STI wie Hepatitis B, genitaler Herpes, Chlamydien oder Trichomonaden sind weitgehend unbekannt. Vor allem Ältere ab 55 Jahren und Befragte mit niedrigem Bildungsstand waren deutlich schlechter informiert.
Der Anteil an Befragten, der jemals mit einem Arzt über HIV/AIDS oder andere STI gesprochen hat, liegt bei den 26- bis 35-Jährigen am höchsten (ca. 50 Prozent) und nimmt mit zunehmendem Alter deutlich ab. Für Allgemeinmediziner ist folgende Frage besonders interessant: “Sollten Hausärzte ihren Patienten häufiger sexualitätsbezogene Fragen stellen und Probleme rund um Sexualität abklären?” Hier antworteten über 70 Prozent mit “ja”. Bei einem solchen Gespräch sollte man auch auf die Schutzmöglichkeiten eingehen, denn viele sexuell aktive Menschen aller Altersgruppen nutzen Kondome nicht oder nicht konsequent (Dr. Arne Dekker, Hamburg).
Impfschutz für HIV-Patienten
HIV-Patienten sprechen auf Impfungen besser an, wenn der Immunstatus rekonstituiert (CD4>200/µl) und die Viruslast supprimiert ist (≤200 HIV-Kopien/ml). Konjugat-Impfstoffe sind den Polysaccharid-Impfstoffen vorzuziehen, da sie einen effektiveren Schutz vermitteln.
Bei nicht supprimierter Viruslast und/oder im Stadium Aids sind Lebend-vakzine kontraindiziert. Die EACS-Leitlinie empfiehlt Impfungen gegen Influenza, Humane Papillomviren, Hepatitis A* und B, Neisseria meningitidis*, Streptococcus pneumoniae, Gelbfieber* und Tollwut* (*abhängig vom Risikoprofil).
Der Impfschutz gegen Hepatitis B ist wichtig, da die HIV-Infektion die Progression der Hepatitis B-assoziierten Lebererkrankung beschleunigt. Im Anschluss sollte der Antikörper-Titer bestimmt und die Impfung bei nicht-Ansprechen wiederholt werden. Gegen Hepatitis A und Meningokokken sind insbesondere MSM (men having sex with men) zu impfen.
Die Impfung gegen Herpes zoster (Totimpfstoff) ist bei HIV-Patienten ab 50 Jahren möglich, wird gut vertragen und reduziert die Post-Zoster-Neuralgie (PD Dr. Carolynne Schwarze-Zander, Bonn).
Ergänzung: Die Datenlage für SARS-CoV-2-Impfstoffe bei HIV-Patienten ist sehr begrenzt. Viele Experten empfehlen dennoch eine Impfung, da Menschen, die mit HIV leben, ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe aufweisen (PD Dr. Alexander Zoufaly, Wien).
90-90-90-Ziele nicht erreicht
Die von UNAIDS angestrebten globalen 90-90-90-Ziele der HIV-Versorgung (90 Prozent diagnostiziert, 90 Prozent therapiert, 90 Prozent Viruslast unter der Nachweisgrenze) wurden im Jahr 2020 nicht erreicht – die aktuellen Zahlen lauten 81-67-59.
Schuld daran ist auch die Corona-Pandemie, die zu deutlichen Rückgängen bei der HIV-Testung und zu Therapieunterbrechungen führte. In Deutschland wurde die HIV-Therapie bei einem Großteil der regelmäßig betreuten Patienten während der Pandemie aufrecht erhalten.
Ein Therapieversagen trat nur bei rund zwei Prozent der Patienten mit zuvor unterdrückter Viruslast auf – vermutlich aufgrund eingeschränkter Möglichkeiten, einen Arzt zu konsultieren. (Prof. Jürgen Rockstroh, Bonn)
Chance zum HIV-Test ergreifen
Als Indikatoren für einen HIV-Test zählen folgende Erkrankungen: STI, malignes Lymphom, Herpes zoster, Dysplasie/Karzinom an Zervix oder Anus, Hepatitis B- und C-Infektion, Mononukleosis-like Syndrom, Seborrhöische Dermatitis sowie unerklärte Leuko- und Thrombozytopenie.
Doch selbst geschulte Ärzte verpassen bei fast 60 Prozent dieser Patienten die Chance zum Testen. Zu den Fallstricken gehört, auf die Initiative des Gegenübers zu warten. So denkt etwa der Patient: “Wenn er meint, ich hätte HIV, würde er mir einen Test anbieten. Und der Arzt: “Wenn er glaubt, er hätte HIV, würde er mich nach einem Test fragen (Dr. Hartmut Stocker, Berlin).