Wir sind nicht allein. Spätestens vom Zeitpunkt unserer Geburt an werden unsere Körperoberflächen von Mikroorganismen besiedelt, dem sogenannten Mikrobiom. Und das ist gut so. Was ist es, dieses Mikrobiom, wozu brauchen wir es und was tut es eigentlich genau?
Diesen Fragen geht die Wissenschaft seit einigen Jahren immer intensiver nach, wobei das Feld der Mikrobiom-Forschung beständig über die Grundlagenforschung hinauswächst. Überhaupt möglich ist dies durch die Entwicklung moderner Nachweis- und Analyseverfahren, die es erlauben, Mikroorganismen ohne vorherige Anzucht in Kultur nachzuweisen.
Die Gesamtheit der besiedelnden Mikroorganismen auf einer bestimmten Körperoberfläche beschreibt deren Mikrobiota. Das Mikrobiom wiederum bezeichnet die Gesamtheit der Gene dieser Mikroorganismen und beinhaltet ein Vielfaches an Informationen. An deren Entschlüsselung arbeitet die Forschung stetig.
Gesichert ist, dass die Zahl der Gene der mit dem menschlichen Körper assoziierten Mikroben die Zahl der menschlichen Gene um ein Vielfaches übersteigt. Auch ist die Bedeutung des Mikrobioms für die Gesundheit und seine Rolle bei verschiedensten Erkrankungen heute kaum mehr umstritten.
Am bekanntesten ist das Darm-Mikrobiom
Unser umfangreichstes sowie am besten erforschtes Mikrobiom ist das des Darmes. Eine Reihe von Erkrankungen verschiedenster Organsysteme sind mit Veränderungen des intestinalen Mikrobioms assoziiert. Gerät das Mikrobiom aus dem Gleichgewicht, kommt es zu einer sogenannten Dysbiose.
Seine Dichte und Zusammensetzung sind verändert, was weitreichende Folgen für den Organismus haben kann. Zusammenhänge wurden beispielsweise beschrieben für Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes, des neuronalen Systems sowie von Herz, Lunge, Leber, Pankreas, Nieren und Prostata.
Während ein lokaler Einfluss des intestinalen Mikrobioms auf Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes schnell plausibel erscheint, ist dies für Wechselwirkungen beispielsweise mit dem Gehirn (“gut-brain-axis”) oder der Lunge (“gut-lung-axis”) weniger leicht vorstellbar.
Man weiß heute jedoch, dass diese Achsen auf verschiedenen Ebenen geformt werden. Beispielsweise zirkulieren Mikro-biom-geprägte oder -induzierte Immunzellen im Körper und können an anderer Stelle pro- oder auch anti-inflammatorisch wirken.
Außerdem kommt es zur Ausbreitung bakterieller Metaboliten wie beispielsweise kurzkettiger Fettsäuren über die Zirkulation. Im Tierversuch wurde dies eindrücklich für Zusammenhänge zwischen ballaststoffreicher Ernährung, Veränderungen des intestinalen Mikrobioms, systemischen kurzkettigen Fettsäuren und der Entstehung von allergischem Asthma demonstriert.
Auch klinische Daten legen diese Art der Verbindung nahe. So zeigte kürzlich eine große kanadische Studie, dass ein Zusammenhang zwischen frühkindlichen Antibiotikagaben und einer Asthma-Diagnose im Kindesalter besteht, wobei mit den Antibiotikagaben assoziierte Veränderungen des intestinalen Mikrobioms vermutlich eine Rolle spielen.
Auch die Schleimhäute der Lunge sind mikrobiell besiedelt
Neben dem Gastrointestinaltrakt tragen auch nahezu alle anderen mit der Umwelt in Kontakt stehenden Körperoberflächen Mi-kroorganismen. Obwohl für die Lunge und Atemwege zunächst kritisch gesehen, besitzen auch diese Schleimhäute ein Mikrobiom.
War man lange davon ausgegangen, dass vor allem der untere Respirationstrakt nahezu steril sei, ist es jedoch nicht verwunderlich, dass beim ständigen Austausch mit der Umwelt und aufgrund der warmen, feuchten Umgebung auch in dieser Nische eine mikrobielle Besiedelung besteht.
In seiner Zusammensetzung ähnelt das Mikrobiom der Atemwege und Lunge dem des Nasen-Rachenraumes, allerdings nimmt die Masse an Mikroorganismen in Richtung der tieferen Atemwege kontinuierlich ab. Unter anderem dies macht Untersuchungen des respiratorischen Mikrobioms komplizierter als für den Darm.
Man versteht das respiratorische Mikrobiom als Gleichgewicht zwischen einem kontinuierlichen Eintrag aus den oberen Atemwegen und dem Mund sowie der gleichzeitigen ständigen Elimination durch Mechanismen wie das mukoziliäre System.
Wie für den Darm hat man heute auch für die Atemwege ein “gesundes” Mikrobiom identifiziert. Dieses ist bei verschiedenen chronischen Atemwegserkrankungen wie dem Asthma, der COPD oder auch der Mukoviszidose deutlich verändert. Jede Atemwegserkrankung führt zu charakteristischen Abweichungen im Lebensraum der besiedelnden Mikroorganismen.
Beispielsweise sind pH-Wert, Sauerstoffgehalt und Schleimproduktion verändert, was das Entstehen einer Dysbiose in den Atemwegen und der Lunge fördern kann. Diese Veränderungen sind so heterogen wie die individuellen Erscheinungsbilder chronischer Atemwegserkrankungen, weshalb es für bestimmte Erkrankungen zwar charakteristische Veränderungen im respiratorischen Mikrobiom gibt, diese aber in sehr unterschiedlicher Ausprägung auftreten.
Eine Dysbiose des respiratorischen Mikrobioms wiederum kann die zugrundeliegende Erkrankung, vor allem was die chronische Entzündung betrifft, weiter verstärken. So kommt es zum sogenannten Dysbiose-Entzündungs-Zyklus.
Gleichzeitig wird vermutet, dass Veränderungen des respiratorischen Mikrobioms die Entstehung chronisch entzündlicher Atemwegserkrankungen begünstigen können. In diesem Zusammenhang ist allerdings häufig noch schwierig zu klären, ob Veränderungen im respiratorischen Mikrobiom ursächlich oder Konsequenz der Erkrankung sind.
Unser Mikrobiom verändert sich kontinuierlich
Das Mikrobiom verändert sich unter anderem mit dem Alter, unseren Lebensumständen und unserer Ernährung. Mit der zunehmend erkannten und immer besser definierten Bedeutung des Mikrobioms für unsere Gesundheit und für die Entstehung sowie den Verlauf verschiedener Erkrankungen, nehmen Bestrebungen, das Mikrobiom positiv zu beeinflussen, ständig zu.
Es wird als Biomarker und treatable trait diskutiert und es gibt verschiedenste Nahrungsergänzungsmittel sowie Medizinprodukte, die auf das Mikrobiom wirken sollen. Häufig ist deren Wirkung jedoch wissenschaftlich kaum, beziehungsweise nur für spezifische Erkrankungen oder Patientengruppen belegt. Gleichzeitig gibt es auch beginnende Bestrebungen, das respiratorische Mikrobiom gezielt zu modulieren, beispielsweise durch probiotische Nasensprays.
Die größten Herausforderungen der Zukunft werden sein, die Bedeutung des Mikrobioms neben anderen Faktoren wie der genetischen Prädisposition zu klären und die genauen Zusammenhänge zwischen Veränderungen des Mikrobioms und bestimmten Erkrankungen im Detail zu beschreiben, um auf dieser Basis gezielt und sinnvoll zu intervenieren.
Fazit
- Ein gesundes Mikrobiom soll Motivation für gesunde Ernährung und einen gesunden Lebensstil sein – nicht nur bei Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes.
- Bei Antibiotikagaben kann die Vermeidung einer damit assoziierten Dysbiose durch Probiotika eine Option sein.
- Der Nutzen von Probiotika ist vielfältig beschrie- ben, jedoch im Einzelnen nicht wissenschaftlich belegt, so dass die Forschung der kommenden Jahre detaillierte Erkenntnisse liefern müssen wird.
Mögliche Interessenskonflikte: PD Dr. rer. nat. Sabine Stegemann-Koniszewski und Prof. Dr. med. Jens Schreiber geben an, dass keine bestehen.
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