Die Zahl der Patienten mit der Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wächst; über die Ursachen wird heftig debattiert. Ein systematisches Scoping Review liefert nun jedoch neue Hinweise, dass ADHS bei Kindern und Jugendlichen überdiagnostiziert und übertherapiert wird.
Das Review untersuchte 334 Studien bei Kindern und Jugendlichen auf entsprechende Hinweise. In 104 Studien zeigte sich ein Potenzial für vermehrte ADHS-Diagnosen, in 45 Studien Evidenz für eine Zunahme der tatsächlich diagnostizierten ADHS-Fälle. Diese zusätzlichen Fälle waren eher leichter Natur.
Hinweise auf eine Zunahme der medikamentösen Behandlung von ADHS lieferten 83 Studien. Nur fünf Studien nahmen den kritischen Punkt unter die Lupe, ob die Zunahme von ADHS-Diagnosen und -Therapien nicht mehr Schaden als Nutzen bringen könnte – mit dem Ergebnis, dass das vor allem bei den zunehmend häufiger entdeckten leichteren ADHS-Fällen der Fall zu sein scheint.
Die Autoren warnen vor möglichen Schäden bei Kindern und Jugendlichen durch die übertriebene Verwendung des Labels “ADHS” und die Nebenwirkungen der eingesetzten Medikamente. Der Fokus sollte ihnen zufolge mehr auf Patienten mit stärker ausgeprägter Symptomatik liegen, da sie vermutlich eher von der ADHS-Diagnose und -Therapie profitieren.
Vielleicht könne bei Patienten mit sehr milder Symptomatik auch ein Watch-and-wait-Ansatz hilfreich sein. Studien zu den langfristigen positiven und negativen Folgen einer ADHS-Diagnose und -Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit milderer Symptomatik seien dringend erforderlich.
Quelle: DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2021.5335