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GleichgewichtsstörungenSchwindel im Alter– mehr als eine Befindlichkeitsstörung

Die Auswirkungen von Schwindelbeschwerden älterer Menschen auf die Lebensqualität und die Lebenserwartung werden sowohl von den Patienten selbst als auch von den behandelnden Ärzten allzu oft unterschätzt [1]. Eine frühzeitige Analyse der Ursachen kann jedoch wirksame Therapien nach sich ziehen und den Betroffenen wieder zu deutlich mehr Mobilität verhelfen.

Schwindel und Gleichgewichtsstörungen sind keineswegs Erscheinungen des normalen Alterns, allerdings nimmt die Häufigkeit von Schwindel mit fortschreitendem Alter zu. Bereits die Hälfte aller über 60-Jährigen leidet unter Gleichgewichtsstörungen. Ab dem 80. Lebensjahr steigt der Anteil der Betroffenen auf nahezu 85 Prozent [1].

Besonders für ältere Menschen bedeuten Unsicherheit beim Gehen, Taumeligkeit, Schwankschwindel und Fallneigung oft den Beginn eines Teufelskreises. Darin führt die Angst zu stürzen zu Immobilität und sozialem Rückzug, was wiederum durch zunehmenden Übungsmangel den Schwindel verstärkt. Stürze und schwere Verletzungen verschlimmern wiederum die Mobilitätseinschränkungen.

Ähnlich wie beim Schmerz existiert ein “Schwindel-Gedächtnis”, das die Chronifizierung von unbehandelten Beschwerden begünstigt. Epidemiologische Analysen konnten belegen, dass ein inaktiver Lebensstil den Alterungsprozess beschleunigt, das Risiko für Stürze und Pflegebedürftigkeit erhöht, die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränkt und die Mortalitätsrate steigen lässt [2], [3], [4].

Lag die Mortalität von Personen ohne Schwindel in einem Beobachtungszeitraum von 12 Monaten bei 2,6 Prozent, betrug sie bei Patienten mit Schwindel 9 Prozent [2]. Damit erwies sich die Sterblichkeit ähnlich hoch wie bei Diabetes mellitus (9,8 Prozent) und kardiovaskulären Erkrankungen (10,5 Prozent) [2].

Ältere Patienten beklagen anders als Jüngere vorwiegend eher diffuse und ungerichtete Gleichgewichtsstörungen, die oft fälschlicherweise als altersbedingt interpretiert werden. Oft werden die Beschwerden in Bezug auf Häufigkeit, Komplikationen und Behandlungsmöglichkeiten unterschätzt.

Der Alterungsprozess bedeutet eine zunehmende Degeneration im peripheren und zentralen Nervensystem sowie eine langsamere Regeneration geschädigter Zellen. Neben der Alterung des vestibulären Systems treten unter anderem nachlassende Seh- und Hörfunktionen sowie Einbußen der Kognition auf. Sind mehrere Funktionssysteme betroffen, resultieren multimodale Krankheitsbilder wie Schwindel oder Demenz, zwischen denen relevante Korrelationen existieren [3].

Interdisziplinäre Zusammenarbeit anstreben

Neben den Hausärzten werden oft auch fachärztliche Kollegen in die Diagnostik und Therapie von älteren Schwindelpatienten miteinbezogen, vor allem HNO-Ärzte, Neurologen, Augenärzte und Orthopäden. Eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit sollte hier angestrebt werden. Lange Wartezeiten, die zu einer Chronifizierung der Beschwerden führen könnten, sollten unbedingt vermieden werden.

Grundlage der Diagnostik bildet die strukturierte Anamnese, welche vier wichtige Fragen beinhaltet:

  1. Dauer des Schwindels
  2. Art des Schwindels
  3. auslösende Umstände
  4. begleitende Faktoren

Der Altersschwindel beginnt typischerweise schleichend, wird als ungerichtet empfunden und dauerhaft anhaltend. Die aktuell von der internationalen Bárány-Gesellschaft publizierten Kriterien zur Diagnostik der “Presbyvestibulopathie” stellen einen Meilenstein bei der Erkennung und Therapie des Schwindels im Alter dar [5], [6].

Als eigenständiges Krankheitsbild wird die Presbyvestibulopahtie als ein chronisches vestibuläres Syndrom beschrieben, das sich durch Schwindel, Gangstörungen, Standunsicherheit und wiederholte Stürze bei leichten, bilateralen vestibulären Defiziten auszeichnet.

Da es sich anhand dieser Kriterien bei der Presbyvestibulopathie nicht mehr um eine Ausschlussdiagnose handelt, kann die Diagnose zeitnaher und präziser gestellt werden. Eine frühzeitige, wirksame Therapieeinleitung wird dadurch ermöglicht.

Grundlage der multimodalen Behandlung bilden ein aktivierendes vestibuläres und kognitives Training sowie die Gabe eines nicht sedierenden Antivertiginosums. Oftmals bildet Letzteres, zum Beispiel die evidenzbasierte Gabe der Fixkombination aus Cinnarizin und Dimenhydrinat, bereits vor Abschluss der Diagnostik die Basis für eine funktionierende, aktivierende Physiotherapie [7], [8].

Nur so lässt sich der Teufelskreis aus Vermeidungsverhalten, sozialer Isolation, Sturzgefahr und erhöhter Mortalität infolge der Gleichgewichtsstörungen durchbrechen.

Literatur:

  1. Agrwal Y et al. Arch Int Med 2009; 169: 938-944
  2. Corrales CE und Bhattacharyya N. Laryngoscope 2016; 126: 2134–2136
  3. Koopman R et al. J Appl Physiol 2009 Jun; 106(6): 2040-8
  4. Lin H W et al. Laryngonscope 2014; 124(12): 2797-801
  5. Agrawal Y et al. Journal of Vestibular Research 2019; 29: 161–170
  6. Agrawal Y et al. Nervenheilkunde 2020; 39: 242-250
  7. Waldfahrer F. Evidenz basierte Schwindeltherapie, in Iro H und Waldfahrer F (Hrsg.). Springer Verlag Wien 2011
  8. S3-Leitlinie “Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis”, AWMF-Register-Nr. 053-018

Mögliche Interessenkonflikte: Die Autorin hat Vortragshonorare von Hennig Arzneimittel GmbH & Co. KG erhalten.

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