Das Impfen in den Hausarztpraxen ist der entscheidende Wendepunkt im Kampf gegen die Pandemie – und wurde von der Politik angesichts dieser Bedeutung viel zu lang stiefmütterlich behandelt. Ein zu später Impfstart, unzuverlässige Lieferungen und zu knappe Impfstoffmengen: Die Kritikpunkte, die die Delegierten des Deutschen Hausärzteverbands in ihrer Versammlung Mitte April anprangerten, waren klar definiert.
Die Corona-Impfungen und ihre Auswirkungen auf den Praxisalltag sind Themen, die Hausärztinnen und Hausärzten unter den Nägeln brennen, und waren damit naturgemäß Schwerpunkt der Delegiertenversammlung, die erstmals digital stattgefunden hat. Obwohl die rund 120 Delegierten in diesem Jahr – teils im heimischen Wohnzimmer, teils in der Praxis – nur vor der eigenen Web-Kamera saßen, einte sie dabei das gemeinsame Ziel.
“Praxen first” muss der Weg sein
In seinem Bericht zur Lage lobte Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt die Forscherinnen und Forscher für die rasche Entwicklung der Corona-Impfstoffe. “Dieser Elan wurde bei der Bestellung der Impfstoffe durch die Politik aber nicht fortgeführt”, kritisierte er in seiner von zahlreichen Landesverbandsvorsitzenden gelobten Rede.
Es gebe keinen sachlich nachvollziehbaren Grund, Impfzentren gegenüber den Praxen zu privilegieren, wie es die Bundesregierung von Beginn der Impfungen an getan hatte (“Der Hausarzt” 4/21). Hausärzte schafften deutlich mehr, sogar mit begrenztem Impfstoff, das habe sich bereits nach einer Woche Impfen in den Hausarztpraxen gezeigt. Vieles könnten die Impfzentren nicht leisten, etwa immobile Patienten in der Häuslichkeit zu impfen, erinnerte Weigeldt.
Für den Deutschen Hausärzteverband war die Sitzung trotz aller “Pandemie-Erprobung” – die vergangene Frühjahrstagung musste abgesagt werden, die Herbsttagung hatte unter strengen Hygieneregeln live stattfinden dürfen – ein Novum: Erstmals trafen sich die Delegierten rein digital, ohne den Rahmen der ursprünglich in Würzburg geplanten Frühjahrstagung, und stimmten dabei wie gewohnt zahlreiche Beschlüsse (S. 24f.) ab.
Gleich ein halbes Dutzend der Beschlüsse richtet sich an die Politik, um bessere und zuverlässigere Rahmenbedingungen für die Corona-Impfungen zu schaffen und die Rolle der Hausärztinnen und Hausärzte in der Pandemie endlich anzuerkennen.
Wertschätzung durch Politik nötig
“Ein bisschen mehr Anerkennung durch Politik und Gesellschaft wäre wünschenswert”, so Weigeldt. Die Dankbarkeit der Patienten sei überwältigend und gebe ein bestätigendes Gefühl, das über manchen Stress hinwegtröste. Erneut erinnerte er jedoch an die Notwendigkeit eines Corona-Bonus für die Mitarbeitenden in den Hausarztpraxen, wie ihn die Krankenhausangestellten bekommen haben.
Darüber hinaus kritisierte Weigeldt massiv die Kommunikation der Politik in der Pandemie. “Diese Angstkommunikation, die eine Katastrophe nach der anderen heraufbeschwört, macht auf Dauer entweder krank oder stumpft ab.”
Man könne einem Marathonläufer, den die Kräfte verlassen, ja auch nicht zum Beenden der Strecke motivieren, indem man sage: “Wenn du noch langsamer wirst, schaffst du es nie!”, sondern viel eher mit: “Gleich hast du es geschafft, halte durch!” Weigeldt vermisst positive Ziele und Motivation. Stattdessen schürten die Politiker weiter Ängste und Zweifel und das Land stolpere von einem Lockdown in den nächsten.
Als Gast der digitalen Tagung pflichtete ihm Prof. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM), hier explizit bei.
Valide Forschung fehlt
Weiter bemängelte Weigeldt, dass hierzulande keine validen repräsentativen Stichproben oder Kohortenstudien durchgeführt würden. Erkenntnisse kämen lediglich aus England, Israel und den USA. “Hier begründen die Politiker die Rücknahme von Einschränkungen für Geimpfte und Genesene mit der vagen Gefahr von dennoch möglichen Ansteckungen. Indem man immer wieder öffentlich die Impfeffekte anzweifelt, riskiert man den Impferfolg”, ermahnte Weigeldt.
“Niemand ist allein im Besitz der Wahrheit, niemand hat aktuell die eine Lösung, auch kein Virologe – die gibt es nicht”, so Weigeldt weiter. Er finde es erschreckend, dass es Gruppen gebe, die immer wieder behaupteten, nur ihr Weg führe aus der Pandemie, und die alle anderen Vorschläge und Ideen abtäten, als kämen sie von Verschwörungstheoretikern. Diskussion und Gegenmeinung müssten möglich sein.
Unter den Delegierten jedenfalls war neben der breiten Zustimmung auch Raum für eben solche Diskussionen und Gegenmeinungen. Weigeldt dankte für die Debatte und nicht zuletzt für die technische Unterstützung im Hintergrund, die das Treffen erst ermöglicht hatte. Nichtsdestotrotz hoffe er, dass man sich zur Herbsttagung im September wieder persönlich sehen könne.
Digitalisierung im Blick
Ein weiteres Thema der Delegierten war der Dauerbrenner Digitalisierung. In einem einstimmig gefassten Beschluss (S. 25) erinnerten sie Bundesregierung und gematik daran, dass die Digitalisierung zu Entbürokratisierung und Vereinfachung führen müsse. Dabei sei unter anderem eine angemessene Finanzierung der Investitions- und Betriebskosten nötig, etwa auch mit Blick auf Schulungsaufwände.
Auch intern nimmt sich der Deutsche Hausärzteverband weiter der Digitalisierung an: Beschlossen wurde, eine Arbeitsgruppe “Digitale Strategie” einzurichten. Mit Blick auf zwei bestehende Arbeitsgruppen etwa zu digitalen Innovationen wurde der Schritt zuvor kontrovers diskutiert. Die neue Arbeitsgruppe soll ein bundeseinheitliches Strategiekonzept zur Digitalisierung aus hausärztlicher Sicht vorlegen.