“Patienten in der Häuslichkeit erreichen wir nur über die Hausarztpraxen
Vergleicht man die Impfung in den Zentren mit jenen in der Praxis, werden vor allem zwei Punkte deutlich: die Ressourcen, die in Impfzentren benötigt werden, und das für die Impfungen notwendige Vertrauensverhältnis, das in Praxen naturgemäß schon gegeben ist. Ich selber kenne beide Seiten: Seit Anfang an bin ich in einem der 13 Impfzentren in Sachsen tätig, außerdem habe ich bereits 144 Dosen (26.3.) in der eigenen Praxis verimpft.
Gerade jetzt zu Beginn der Impfungen haben wir es mit hochbetagten und kranken Menschen zu tun – das ist essenziell zu bedenken. In den Zentren macht das mitunter eine ungeheure Logistik nötig. Beispielsweise ist „mein“ Zentrum als einziges in Sachsen nicht barrierefrei. Glücklicherweise habe ich tolle junge Menschen von der Bundeswehr an der Seite, die unterstützen.
So habe ich erst einmal einen „Treppensteiger“ abgestellt, der gehschwache Impflinge geleitet. In der Hausarztpraxis erreichen wir immobile Patienten um ein Vielfaches leichter – nicht zuletzt durch die Hausbesuche. Das kann kein unbekannter, mobiler Impftrupp des Landes machen. Immer wieder appellieren wir an Hochbetagte, Fremden nicht zu öffnen – und nun sollen sie genau das tun? Nicht zuletzt öffnet es ein Tor für Kriminelle, wenn die Impfungen in der Häuslichkeit nicht durch die bekannten Hausärztinnen und Hausärzte durchgeführt werden.
Leider können wir aber gerade immobilen Pflegebedürftigen, die ja zum Großteil von Angehörigen daheim gepflegt werden, mit dem bisherigen Konzept nur ein minimales Impfangebot machen. Dabei sind die Impfzentren – zumindest für begrenzte Zeit – durchaus eine sinnvolle Ergänzung, jedoch für junge, gesunde Impflinge!
Wir müssten gerade die Impfung der Priorisierungsgruppen 1 und 2 in die Hände der Hausärztinnen und Hausärzte legen, die ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihren chronisch Kranken haben. Junge hingegen könnten in die Zentren, auch zu Terminen außerhalb der üblichen Arbeitszeiten. So könnten wir die dringend nötige Geschwindigkeit erreichen – und die Ressourcen in den Zentren würden sich endlich lohnen.
Dipl.-Med. Ingrid Dänschel, Hausärztin in Lunzenau und Vorstandsmitglied des Deutschen Hausärzteverbands
Wichtige Fragen im Impfalltag
In der Tat zeigen auch andere Praxisberichte, dass Bestellung, Patientenaufklärung und Organisation Fragen aufwerfen.
1. Wie gelangen Praxen an Impfstoff?
Praxen bestellen den Impfstoff – wie bei anderen Schutzimpfungen auch – ausschließlich bei der sie primär beliefernden Apotheke, stellt die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) klar. Einzige Ausnahme ist Bayern, wo zunächst die Impfzentren liefern.
Wichtig: Die Bestellung muss laut KBV immer bis spätestens Dienstag, 12 Uhr, für die darauffolgende Woche erfolgen. Für die Bestellung nutzen Praxen das Muster 16, als Kostenträger geben sie das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) mit dem IK 100038825 an.
Praxen müssten insbesondere zu Beginn damit rechnen, dass sie weniger Dosen erhalten als bestellt. Bis Donnerstag soll die entsprechende Info über die tatsächliche Liefermenge jeweils vorliegen.
Bei der Bestellung der Erstimpfung sollte zunächst nicht zwischen den Herstellern zu wählen sein, hieß es zuletzt. Erst bei höheren Impfstoffmengen könne auch impfstoffspezifisch bestellt werden.
2. Wie können Praxen sich vorbereiten?
Hierzu empfiehlt etwa der Bayerische Hausärzteverband folgende Schritte:
Erstellung einer Liste der Patienten, die priorisiert zu impfen sind (zum Beispiel mit Hilfe des Praxisverwaltungssystems). Diese müssen kontaktiert werden, ob sie eine Impfung wünschen oder möglicherweise schon versorgt wurden.
Praxisintern muss dann geplant werden, welche Zeiträume in der Praxis oder bei Hausbesuchen freigehalten werden. Sollte eine Impfsprechstunde in der Praxis geplant werden, sind Prozedere (Aufklärung, Nachbeobachtung) und Raumaufteilung mitzudenken: So kann beispielsweise die 15-minütige Nachbeobachtungszeit in wärmeren Jahreszeiten vor die Praxis verlagert werden, sollte der Platz drinnen zu eng werden. Für Hausbesuche rät Hausärztin Heidi Weber aus Rheinland-Pfalz rund 20-25 Minuten einzuplanen, wie sie im Podcast “HörBesuch ” verrät.
Daraufhin folgt die Terminvergabe und die erforderliche Impfstoffmenge muss geordert werden. Für die Terminvergabe bieten verschiedene Firmen speziell auf die Corona-Impfung zugeschnittene Online-Tools an. Teils halten die Landeshausärzteverbände vergünstigte Konditionen für ihre Mitglieder bereit.
Praxis-Tipp: Der Bayerische Hausärzteverband empfiehlt, die Zuständigkeit für das Impfstoff-Management in der Praxis frühzeitig festzulegen. So sind Liefermenge, Kontrolle der Bestellung und richtige Kühlung besser im Blick zu behalten.
3. Was benötigen Praxen neben der Vakzine?
Das entsprechende Impfzubehör (Kanülen, Spritzen und ggf. NaCl-Lösung) ist laut KBV bei den Bestellungen inkludiert. Darüber hinaus rät Hausärzteverbands-Vorstandsmitglied Dipl.-Med. Ingrid Dänschel dazu, auf einen anaphylaktischen Schock vorbereitet zu sein – auch wenn dieser Notfall äußerst selten ist.
Um schnell handeln zu können, kann aufgrund der einfachen Handhabung ein Auto-Injektor Adrenalin in der Praxis, vor allem aber auch beim Hausbesuch, helfen. Wichtig: Das Adrenalin ist nicht als Sprechstundenbedarf zu beziehen, sondern muss als Praxisbedarf gekauft werden.
Zu dritt haben mein Mann (Anästhesist), meine MFA und ich 167 Menschen in einem Berufsbildungswerk in 5 Stunden geimpft. Im Impfzentrum haben an dem Tag 2-3 Ärzte und 3 MFA 151 Menschen geimpft – in 8 Stunden und mit viel „Leerlauf“. Plus: Rund 80 Mitarbeiter mussten für Organisation und Logistik vor Ort sein!
4. Wie sollen Patienten einbestellt werden?
Aufgrund der zunächst noch sehr geringen Liefermengen wird Ärzten im Bund-Länder-Beschluss dazu geraten, “zunächst ihre besonders vulnerablen Patientinnen und Patienten gezielt einzuladen”. Dr. Markus Beier, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, hatte angesichts des flächendeckenden Impfstarts in Bayern zum 1. April bereits vor einer Überlastung der Praxen gewarnt, würden jetzt alle Patientinnen und Patienten unkontrolliert zum Telefon greifen.
Praxis-Tipp: Zur proaktiven Patienteninformation kann ein entsprechender Hinweis auf der Praxiswebseite oder auf dem Anrufbeantworter helfen, der das genaue Vorgehen beschreibt und Patienten um Geduld bittet.
5. Wie wird in der Praxis priorisiert?
Auch in den Praxen gilt die Priorisierung gemäß der Corona-Impfverordnung als Grundlage – jedoch soll diese explizit “flexibel” angewendet werden. Bereits die jüngste Überarbeitung der Impfverordnung hatte klargestellt, dass in der Praxis – auch perspektivisch für die Priorisierungsgruppen 2 und 3 mit entsprechenden Vorerkrankungen – kein Attest nötig sein wird, sondern der Impfanspruch direkt vor Ort geprüft werden kann. Vorausgesetzt, die Patienten sind in dieser Praxis bereits in Behandlung.
6. Wie wird die Impfung dokumentiert?
Der Dokumentationsaufwand in den Praxen soll laut Bund-Länder-Beschluss explizit gering gehalten werden. Dafür hatten sich auch zahlreiche Hausärztinnen und Hausärzte wie auch ihre Verbände nach der Teilnahme in Modellprojekten starkgemacht.
Praxis-Tipp: Der Zugang zur arbeitstäglich erforderlichen Impfdokumentation erfolgt über KV-Safenet (Anleitung der KBV unter www.hausarzt.link/6fhDQ ). Dort tragen Praxen die Zahl der Erst- und Zweitimpfungen ein (pro Praxis, nicht aufgeschlüsselt nach Ärzten!), zudem die Zahl der über 60-Jährigen nach Erst- und Zweitimpfung.
Die KBV übermittelt die Daten dann täglich ans RKI. Mit der regulären Quartalsabrechnung werden dann Impfstoffname, Erst-/Zweitimpfung, Indikation und Chargennummer nachgemeldet. Alternativ können Ärzte auch das Meldeportal des RKI nutzen.
LINK
Praxisinfo zu Bestellung, Lieferung und Verabreichung: www.hausarzt.link/3qmdG
“Ein Hausarzt und zwei MFA – mehr braucht es nicht”
Die Impfzentren in Thüringen waren von Anfang an anders geplant als in anderen Bundesländern: Wir haben auf deutlich kleinere Räumlichkeiten gesetzt, die dafür flächendeckend vorhanden sind. Im Impfzentrum ist jeweils ein Hausarzt mit zwei MFA im Einsatz. Man kann sie also durchaus als Beweis dafür sehen, dass wir von Anfang an hätten in den Praxen impfen können, wenn nur der Impfstoff zur Verfügung gestanden hätte.
Nur in Erfurt und Gera wird in größeren Zentren geimpft. Hier ist die Infrastruktur entsprechend anders: Zahlreiches zusätzliches Personal leitet die Menschen durchs Prozedere, immer anwesend ist zusätzlich ein Notarzt.
Ich selbst habe seit Ende Dezember sowohl bei Tagesdiensten im Zentrum als auch mit meinem Praxisteam als mobiles Impfteam geimpft. In Heimen haben wir mitunter 250 Dosen verimpft. Gerade am Anfang waren wir mit vielen Fragen konfrontiert: Die Logistik war unklar, einmal haben die Aufkleber für die Impfausweise gefehlt.
Daher sah ich die Impfzentren nicht als Feinde, sie werden sich perspektivisch aber erübrigen. Die Impfungen sind der einzige Weg, diese Pandemie zu beenden.
Natürlich stecken hinter den Zentren aber auch Interessen: Wir Hausärzte erhalten für die Dienste Geld, aber unsere Motivation ist vielmehr, diese Pandemie endlich zu beenden. Auch die Politik hat sicherlich Interessen, wenn sich etwa Landräte mit einem gut laufenden Zentrum rühmen können. Aber ich nehme wahr, dass die persönlichen und kommunalen Antriebe immer mehr in den Hintergrund treten – wir alle sind Corona einfach leid.
Dr. Ulf Zitterbart, Hausarzt in Kranichfeld und Vorsitzender des Hausärzteverbands Thüringen