Berlin. Kurz vor einer Anhörung zur Reform des Medizinstudiums, zu der das Bundesgesundheitsministerium für Donnerstag (18.2.) eingeladen hat, warnen der Deutsche Hausärzteverband und die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) vor einer weiteren Verschiebung der Studienreform. Seit bald vier Jahren sei diese „beschlossene Sache“, erinnert Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, in einer Mitteilung am Vortag. „Wer jetzt meint, auf der Zielgeraden an dieser so unverzichtbaren Reform rütteln zu müssen (und dann auch noch den organisatorischen Aufwand als Begründung vorschiebt), der denkt nicht im Sinne der Gesamtgesellschaft und riskiert damit die Basis unserer Gesundheitsversorgung!“
Zur Erinnerung: Der Grundstein für die Neuregelung der Approbationsordnung wurde bereits im März 2017 mit Vorlage des Masterplans Medizinstudium 2020 gelegt. Im November folgte – mit einem Jahr Abstand zum ersten Arbeitsentwurf – der Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium. Zwischenzeitlich war bereits ein Inkrafttreten zum 1. März 2020 angepeilt worden. Der Deutsche Hausärzteverband hatte von Beginn an eine schnelle Umsetzung des Masterplans angemahnt.
Doch diese scheint nun einmal mehr gefährdet. Denn „auf den letzten Metern versuchen Interessengruppen, (die Reform) mit teils fadenscheinigen Argumenten und Berechnungen aufzuhalten“, kritisiert auch Prof. Martin Scherer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM). Dabei sei im Grunde alles beschlossen und „eine Umsetzung dringend erforderlich und vor allem auch leistbar“. Dabei gebe es „einen breiten politischen Konsens“. Für seine Kritik wurde er im Kurznachrichtendienst Twitter scharf vom Bundesverband Deutscher Internisten (BDI) angegangen.
Reform soll Hausarztmedizin explizit stärken
Grund für die von Scherer kritisierten „Taktikspielchen“ ist, dass BDI und anderen Fachgesellschaften der Fokus auf der Allgemeinmedizin zu eng erscheint. Der BDI spricht sich auf Twitter etwa dafür aus, Kinder- und Jugendärzte einzubeziehen.
In der Tat werden insbesondere Lehrinhalte aus der Allgemeinmedizin mit der Reform aufgestockt und longitudinal, also entlang der gesamten Studiendauer, integriert – was explizit Ziel der Studienreform war. „Keiner wird nach diesem Jahr auch nur einen geringen Zweifel an der Bedeutung der hausärztlichen Versorgung für die Bevölkerung und das deutsche Gesundheitssystem hegen können“, unterstreicht Hausärzte-Chef Weigeldt dieses Ziel aktuell einmal mehr. Dabei erinnert er daran, dass etwa ein Drittel der Kolleginnen und Kollegen über 60 Jahre alt ist und sich nach wie vor – trotz erster wichtiger Erfolge – noch immer zu wenige Absolventinnen und Absolventen nach dem Studium für den Weg in die hausärztliche Versorgung entscheiden. Der Grund: „Sie lernen diesen spannenden Beruf an vielen Universitäten einfach noch zu wenig kennen!“
Genau dies soll die Reform ändern. Dafür wird etwa das bisher einmalige Blockpraktikum in der Allgemeinmedizin über zwei Wochen in eine dauerhaft verankerte Unterrichtsform transformiert; als Gesamtumfang sind nun sechs Wochen zwischen dem zweiten und zehnten Semester vorgesehen. Die Blockpraktika beginnen bereits im zweiten Semester und sollen „einen engen studentischen Bezug zur hausärztlichen Patientenversorgung ab Beginn des Studiums“ gewährleisten. Außerdem wird das Praktische Jahr (PJ) von derzeit drei Tertialen auf vier Quartale umgestellt. Zu den Pflichtquartalen Innere Medizin und Chirurgie kommen zwei Wahlquartale. Eines davon muss in der hausärztlichen Versorgung oder in einem anderen „klinisch-praktischen Fachgebiet vollständig im ambulanten vertragsärztlichen Bereich“ geleistet werden. Hierfür ist ausdrücklich eine Lehrpraxis vorgesehen.
Unis und Lehrpraxen sehen sich gerüstet
Doch genau an diesem Ziel, die hausärztliche Versorgung zu stärken, scheint sich nun Kritik zu entzünden. So hat der Spitzenverband der Fachärzte (Spifa) vorgeschlagen, statt Allgemeinmedizin als Pflichtfach im dritten Abschnitt der Prüfung „Fächer der Grundversorgung“ aufzunehmen. Auch der Medizinische Fakultätentag (MFT) äußerte sich in der Vergangenheit in eine ähnliche Richtung, aus Sorge, nicht ausreichend Lehrpraxen zur Verfügung zu haben. Diese Sorge teilt Prof. Ferdinand Gerlach, der den Masterplan Medizinstudium 2020 federführend mit ausgearbeitet hatte, explizit nicht, wie er gegenüber „Der Hausarzt“ betont hatte.
Auch DEGAM-Präsident Scherer sieht, dass „sich die universitäre Allgemeinmedizin durch die Vorbereitungen der letzten Jahre gut für die neuen Herausforderungen gerüstet sieht“, wie er aktuell mitteilt.
Streitpunkt Finanzierung
Vertreter der Wissenschaftsministerien fordern mitunter eine Verschiebung aus “organisatorischen” – und sicher auch finanziellen – Gründen. Dies hatte sich bereits abgezeichnet. Denn das Gesundheitsministerium hatte im Referentenentwurf nicht – wie sonst üblich – Angaben zum „Erfüllungsaufwand“ macht. Dieser sollte „im Rahmen der Abstimmung des Referentenentwurfs ermittelt“ werden.
Dass die Studienreform finanzielle Mittel benötigt, wird schnell deutlich: digitale Lehrinhalte, Lehrpraxen, neue Prüfungsformate. Die Kosten hierfür sind noch nicht abschließend geklärt, ebenso wenig wie die Kostenträger. Bereits der Masterplan Medizinstudium 2020 war ohne ein entsprechendes Finanzierungskonzept verabschiedet worden.
Der MFT beziffert die zusätzlichen Kosten pro Medizinstudienplatz, der bislang mit 200.000 bis 300.000 Euro angegeben wird, auf 32.000 bis 40.000 Euro pro Studienplatz. Die DEGAM hingegegen findet das “nicht nachvollziehbar”. Die eigenen Berechnungen zeigten, dass die Aufwertung der Allgemeinmedizin mit den vorgesehenen Maßnahmen “zu moderaten Mehrkosten von 5.940 Euro pro Studierendem für die gesamte Studiendauer führen würde”. „Das sollte uns die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung der Zukunft schon wert sein“, so Scherer.