Wann sind Allgemeinmediziner zuständig, wann Kardiologen? Prof. Erika Baum beschreibt aus Sicht der DEGAM, wie Sie als Hausarzt/ Hausärztin bei kardiologischen Patienten vorgehen sollten. Vor allem Brustschmerzen und Palpitationen führen Patienten zunächst oft zum Hausarzt. Dr. Kai Schorn erklärt, welches Vorgehen aus internistischer Sicht angezeigt ist.
Aus hausärztlicher Sicht…
Von Prof. Erika Baum
Geplant war für den DGIM-Kongress und die practica 2020 je eine gemeinsame Veranstaltung mit der DEGAM, einem hausärztlichen Internisten und einem Kardiologen. Das ist leider der Covid-19-Pandemie zum Opfer gefallen, soll aber im nächsten Jahr nachgeholt werden. Nun diskutieren Frau Prof. Baum und Dr. Kai Schorn einige ausgewählte Aspekte vorab im HAUSARZT.
Welche Leitlinien gelten?
Immer wieder wird darüber diskutiert, welche Leitlinien gültig oder besser sind. Im Prinzip sind Leitlinien Entscheidungshilfen, keine Richtlinien. Bei Auseinandersetzungen sind sie hilfreich, weil sie den aktuellen Standard beschreiben – eine Abweichung wird aber akzeptiert, wenn sie im konkreten Fall plausibel begründet ist.
Der Standard für die Versorgung in Deutschland sind die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL). Deren Entwicklungsprozess, geleitet vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), genügt höchsten methodischen Anforderungen – dank systematischer Literaturrecherche, Einbeziehung aller relevanter Fachgesellschaften und Berücksichtigung möglicher Interessenkonflikte. Jedoch decken die NVL nicht alle Fragestellungen ab.
Auch seitens der DEGAM gibt es Leitlinien mit solch hohem Niveau (S3), wegen unseren begrenzten Ressourcen können wir diese aber nicht so oft aktualisieren. Wenn es nicht klare neue Evidenz gibt, beschreiben sie den gültigen Standard vor allem für den hausärztlichen Bereich.
In der Zusammenarbeit mit Kardiologen sind Hausärzte sehr stark auch mit den Leitlinien der ESC (European Society of Cardiology) konfrontiert, da Fachspezialisten die NVL oder DEGAM-Leitlinien oft nicht kennen. Kritisch zu sehen ist, dass die ESC sich zu mehr als 75 Prozent durch Sponsoren wie Arzneiherstellern finanziert, auch die Autoren weisen meist solche Interessenkonflikte auf. Zudem ist die Erarbeitung der Leitlinien intransparent und andere Fachgruppen werden nicht adäquat involviert.[1] Aus Sicht der DEGAM entsprechen die ESC-Leitlinien daher oft eher Expertenmeinungen (S1-Status), sodass sie nur herangezogen werden sollten, wenn es keine höherwertigen Leitlinien gibt. Die folgenden Empfehlungen beziehen sich im Wesentlichen auf die Leitlinien von NVL und DEGAM.
Konsultationsanlass Brustschmerz
Bei akutem Brustschmerz und Alarmzeichen (s. Kasten) erfolgt eine sofortige Einweisung mit dem NEF. Für alle anderen, die uns in der Hausarztpraxis wegen Brustschmerz konsultieren, gilt der Marburger Herz-Score (s. Tabelle). Erreicht dieser mehr als zwei Punkte, sollte in der Hausarztpraxis ein EKG geschrieben werden und eine weitere Abklärung erfolgen, wobei eine Überweisung zu einer kardiologischen oder entsprechend versierten Internistenpraxis häufig indiziert ist. Die Dringlichkeit hängt dabei von der Dynamik der Beschwerden ab und davon, wie Sie die Wahrscheinlichkeit einer akuten Gefährdung der Patienten einschätzen.[2] Wichtig ist eine gute und ehrliche Kommunikation gegenüber Patienten und Kollegen. Schätzen Sie die Dringlichkeit ein und übermitteln Sie alle relevanten Befunde einschließlich der Laborwerte, des Medikationsplans und Hinweise zu Begleiterkrankungen oder patientenspezifischen Problemsituationen.
Beim Spezialisten sollte die weitere Diagnostik in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit einer KHK stattfinden. Entscheidende Hinweise zur Vortestwahrscheinlichkeit für eine stenosierende KHK bei Patienten mit stabiler Brustschmerz-Symptomatik finden Sie in Tabelle 6 der NVL KHK (www.hausarzt.link/q5x61).
Wichtig: Die Ergometrie ist nicht mehr die Standardmethode für die weitere Abklärung, sondern allenfalls noch bei einer Prätestwahrscheinlichkeit von 15 bis 30 Prozent indiziert. Patienten mit hochgradigem Verdacht auf eine stenosierende KHK nach nicht-invasiver Diagnostik sollen vor weiteren Untersuchungen mit Hilfe der Patienteninformation “Verdacht auf koronare Herzkrankheit: Brauche ich eine Herzkatheter-Untersuchung?” (www.hausarzt.link/HNXT1) beraten werden. Erst danach ist definitiv über eine Herzkatheteruntersuchung zu entscheiden!
Die Langzeitbetreuung bei chronischer KHK sollte in der Regel mittels DMP KHK in der Hausarztpraxis stattfinden. Die Kontrollintervalle sollen von Patient, Hausarzt und Kardiologen gemeinsam festgelegt werden. Bei asymptomatischen Patienten soll gemäß NVL KHK im Rahmen der Verlaufsbeobachtung keine weitere spezielle kardiale Diagnostik erfolgen.
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