Berlin. Nicht wie geplant zu Jahresbeginn, sondern erst ab Oktober 2021 wird die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) für alle Praxen Pflicht. Ab dann müssen auch Hausärztinnen und Hausärzte die AU-Daten digital an die Krankenkassen übermitteln. Darauf haben sich die KBV und der GKV-Spitzenverband geeinigt, wie die KBV am Donnerstagabend (3.12.) mitteilte. Das neue Startdatum für die digitale Weiterleitung der AU-Daten durch die Krankenkassen an die Arbeitgeber hatte der Gesetzgeber kürzlich bereits um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 2022 verschoben.
Hintergrund für die Verschiebung sei, dass die E-AU „rein technisch nicht – wie vom Gesetzgeber vorgesehen – zum Jahresbeginn umsetzbar“ gewesen sei, betonte KBV-Vorstandsmitglied Dr. Thomas Kriedel am Freitag (4.12) vor der Vertreterversammlung.
Kritik an enger Taktung
Aus eben diesem Grund könnte auch bei der elektronischen Patientenakte, die ebenfalls zum Jahreswechsel starten soll, eine Fristverlängerung abgewogen werden, stellte Kriedel zumindest zwischen den Zeilen in Aussicht. Denn: Vom angepeilten Startpunkt seien die Konnektoren-Hersteller noch weit entfernt. „Das schiebt die Praxen gefährlich nah an das Sanktionsdatum. Aber wie sollen sie die Applikation anwenden, wenn dafür die Technik noch nicht da ist?“ Kriedels Angaben zufolge seien „möglicherweise mehr als ein Drittel, vielleicht sogar die Hälfte der Praxen“ betroffen; sie könnten sich nicht rechtzeitig ausstatten.
Dabei kritisierte Kriedel ganz grundsätzlich die enge Taktung des Gesetzgebers mit Blick auf digitale Anwendungen. Die Industrie habe dadurch gar nicht die Chance, ordentlich zu programmieren und zu produzieren. Auch die Vertragsärzte, die der VV online zugeschaltet waren, kritisierten dieses “Schlag auf Schlag”: Die TI-Frustration steige immer mehr, berichtete etwa Allgemeinmediziner Burkhard John, Vorsitzender der KV Sachsen-Anhalt. Prozesse würden in einer Geschwindigkeit eingeführt, die in einer Praxis kaum umzusetzen seien.
Kleine Errungenschaften für Praxen
Gleichzeitig konnten jüngst weitere kleinere Schritte hin zu einer Vereinfachung für Praxen erzielt werden, wie Kriedel skizzierte:
- Spätestens zum 1. Juli müssen alle Konnektoren die Komfort-Signatur ermöglichen; diese Erleichterung im Praxisalltag hatte der Deutsche Hausärzteverband als notwendiges Werkzeug gefordert.
- Ein weiterer Punkt betrifft die Kopplung des elektronischen Heilberufsausweises (eHBA) an den Praxisausweis, die SMC-B: Künftig reicht es auch, wenn ein Arzt oder Psychotherapeut seiner Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gegenüber bestätigt, dass er einen eHBA beantragt hat.
- Außerdem haben KBV und GKV-Spitzenverband Näheres zum sogenannten Ersatzverfahren geregelt, falls die Telematikinfrastruktur (TI) ausfallen sollte: In diesem Fall muss für die E-AU sichergestellt sein, dass für den Patienten keine Nachteile bei Entgeltfortzahlung oder Krankengeldzahlung entstehen.
Zufrieden zeigte sich Kriedel auch über einen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konsentierten Vorschlag für die IT-Sicherheitsrichtlinie. „Aus unserer Sicht ist hier ein Kompromiss gefunden worden, der jetzt für die Praxen gut umsetzbar scheint und ihnen die erhoffte Rechtssicherheit und Klarheit gibt.“ Im Rahmen der letzten Vertreterversammlung im September hatten die Delegierten den KBV-Vorstand beauftragt, gewisse kritisch gesehene Punkte auszuräumen. Dies betraf unter anderem die Praktikabilität der Vorgaben, längere Fristen für die zeitliche Umsetzung sowie die Finanzierung des Mehraufwands.
Grundsätzliche Knackpunkte bleiben
Die nun verkündete Fristverlängerung ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Kritik des Deutschen Hausärzteverbands, die auch die KBV teilt, dass das Ausstellen von AU-Bescheinigungen nur teilweise auf ein digitales Verfahren umgestellt wird. So müssen Vertragsärzte ab 1. Oktober 2021 neben der elektronischen Datenübermittlung an die Kassen Papier-Bescheinigungen ausdrucken, die der Patient für sich sowie für seinen Arbeitgeber erhält.
“In aller Deutlichkeit“, forderte Kriedel zudem, „eine angemessene und umfassende Finanzierung des Digitalisierungsaufwandes.“ Die Praxen blieben häufig mit dem unguten Gefühl zurück, dass die Hersteller ihnen für jede Komponente mehr in Rechnung stellten, als durch die mühsam errungenen Finanzierungsvereinbarungen abgedeckt werde.
Messaging-Dienste schneller gebraucht
Mehr Tempo forderte Kriedel hingegen bei der Weiterentwicklung der sicheren Übermittlung von Dateien, Ton und Bild. Das sehe das Digitale Versorgungs- und Pflege-Modernisierungsgesetz erst ab September 2023 vor. “Solche nützlichen Messaging-Anwendungen brauchen wir viel schneller”, so Kriedel.