Berlin. Die neue S1-Leitlinie zur nationalen Teststrategie bei Personal im Gesundheitswesen stuft das Personal in Haus- und Kinderarztpraxen mitunter als „Tätigkeitsbereich mit einem höheren Infektionsrisiko“ ein. Die Leitlinie haben 19 deutsche Fachgesellschaften erarbeitet, darunter auch die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM). Das geht aus einer Mitteilung der federführenden Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) vom Donnerstag (10.9.) hervor.
Demnach fordern die Fachgesellschaften die Regierung dazu auf, die nationale Teststrategie anzupassen. „Kein Gießkannenprinzip, sondern gezielt nach Relevanz testen“, erläutert DIVI-Präsident Prof. Uwe Jannssens das Ziel. Dies sei nicht nur wichtig, um die Mitarbeitenden in Praxen, Pflege und Krankenhäusern zu schützen, sondern auch die dort betreuten Patienten. Gerade chronisch kranke Patienten, die in der Regel als Risikopersonen gelten, werden insbesondere von Hausärzten betreut.
Zudem müssten die Politiker regeln, dass die Kosten für die Tests nicht die Praxen und Einrichtungen tragen müssen.
Abgestufte Teststrategie
Bei lokalen Ausbrüchen hätten Mitarbeitende von gesundheitlichen Einrichtungen ein doppelt so hohes Risiko wie die Allgemeinbevölkerung (s. letzter Absatz), heißt es in der Leitlinie. Daher schlägt sie für Gesundheitspersonal eine abgestufte Teststrategie nach vier Kriterien vor:
- Grad des Infektionsrisikos (Arbeit in Bereichen mit einem höheren Infektionsrisiko, hier werden auch Haus- und Kinderarztpraxen genannt)
- Art der Risikotätigkeit (wie Prozeduren mit Aerosolbildung)
- Signalwert des lokalen SARS-CoV-2 Wertes (mehr als 50/100.000 Infektionen in den letzten 7 Tagen eines Kreises)
- Lokales Ausbruchsgeschehen (Hot-Spot-Gebiet oder relevante Zahl von betreuten COVID-19-Patienten auf Stationen oder in Einrichtungen und Praxen)
Was bedeutet das für Hausärzte?
Als Tätigkeitsbereich mit höherem Infektionsrisiko stuft die Leitlinie hausärztliche und pädiatrische Praxen ein, „in denen Patienten mit Infekten primär vorstellig und/oder enge Kontakte regelmäßig stattfinden werden“. Diese Definition dürfte nahezu alle Hausarztpraxen betreffen, zum Beispiel weil die meisten eine Infektsprechstunde anbieten. Ebenso zählen Abstrichstellen oder Testzentren als Risikobereich, auch diese werden mehrheitlich von Hausärzten gestemmt.
Überschreitet ein Kreis den Signalwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen oder gibt es einen lokalen Ausbruch, sollen Hausärzte und ihre Praxisteams alle zwei Wochen einen PCR-Test erhalten. Mindestens soll die PCR zweimal stattfinden: Der erste Abstrich soll in der ersten Woche nach der Überschreitung genommen werden, der zweite Test frühestens ab dem 15. Tag nach dem ersten (aber dann möglichst zeitnah). Dies gilt für alle Beschäftigten eines Risikobereichs, also auch Auszubildende, Medizinstudierende oder Praktikanten sowie Reinigungskräfte.
Ob die Empfehlungen tatsächlich in der Praxis ankommen, hängt nun an der Politik. Diese müsste nämlich die nationale Teststrategie anpassen.
Anlehnung über Muster 10c OEGD
Als Praxisinhaber sollen Hausärzte die Testdurchführung für ihre Praxis regeln, so die Leitlinie. Die Test-Abwicklung soll möglichst standardisiert und digital erfolgen, heißt es in der Leitlinie. Vorgeschlagen wird daher, diesen Prozess an den des Muster 10c OEGD anzulehnen. Ob Praxismitarbeitende die Corona-Warn-App nutzen, solle freigestellt bleiben. Die Leitlinien-Autoren raten aber dazu, da so das Testergebnis schneller kommuniziert werden könne.
Schon seit Wochen weisen die deutschen Labore darauf hin, dass die Testkapazitäten zwar stetig ausgebaut worden sind, jedoch trotzdem eine Überlastung droht. Sie fordern daher von der Politik, endlich wieder gezielter zu testen, um die Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Vor diesem Hintergrund schlägt auch die Leitlinie eine Priorisierung vor, falls Testkapazitäten knapp werden.
In dieser Lage soll zuerst Gesundheitspersonal mit Symptomen getestet werden sowie diejenigen, die als Kontaktpersonen ersten Grades einzuordnen sind, aber keine oder noch keine Beschwerden zeigen. Erst in zweiter Linie soll dann eine systematische Testung von Beschäftigten in Risikobereichen erfolgen.
Telefon-AU wäre hilfreich
Seit Beginn der Corona-Pandemie hat auch der Deutsche Hausärzteverband wiederholt auf das hohe Infektionsrisiko für Hausärzte und ihre Teams hingewiesen. Zum Infektionsschutz forderte der Verband immer wieder eine Ausnahme für die telefonische Krankschreibung (AU) zu schaffen, die es dann vorübergehend auch gab.
Eine Telefon-AU ermöglicht es Hausärzten, ihnen bekannte Infektpatienten nur wenn nötig in die Praxis zu bestellen. Darüber hinaus erleichtert es gerade in einer Pandemie den Praxisablauf, da viele Patienten aus technischen Gründen eine Videosprechstunde nicht nutzen können. Besonders in der bevorstehenden Erkältungszeit könnte dies zusätzlich zur inzwischen erlaubten Video-Krankschreibung eine sinnvolle Ergänzung sein.
Bei Ausbrüchen Gesundheitspersonal besonders betroffen
Bisher fehlen Studien, die die Auswirkungen einer systematischen Teststrategie zum Schutz von Gesundheitspersonal vor dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) untersucht haben, heißt es in der Leitlinie. Dennoch zeigen Untersuchungen und Erfahrungen aus diversen Ländern, dass gerade Gesundheitspersonal einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt sind.
Zum Beispiel waren in der italienischen Lombardei auch sehr viele Hausärzte betroffen und einige auch in der Folge gestorben. Auch die Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) belegen, dass in Deutschland viele COVID-19-Fälle Tätige in Gesundheitseinrichtungen betreffen. Etwa jeder Zehnte arbeitet im Gesundheitswesen.
Gerade in Ausbruchssituationen könne das Risiko für Gesundheitspersonal „erheblich“ sein, heißt es in der Leitlinie: So liege die „Seroprävalenz von SARS-CoV-2 etwa doppelt so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung“. Hingegen sei die Seroprävalenz in „Nicht-Ausbruchssituationen“ ähnlich hoch.