Zunächst einmal muss in diesem Fall zwischen zwei wichtigen Urteilen unterschieden werden. Im Jahr 2019 hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass ein Arzt unter bestimmten Umständen keine sogenannte Garantenstellung mehr für das Leben eines Patienten hat, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch den freiverantwortlichen Suizid begleitet. Die Entscheidung wurde vielfach gelobt, da sie die Autonomie der Patienten an deren Lebensende stärkt.
Das Bundesverfassungsgericht befasste sich in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 hingegen mit der geschäftsmäßigen Suizidbegleitung. Das Urteil hat sich zudem lediglich mit der Ermöglichung eines Suizids, nicht aber der Verhinderung des Todes befasst.
Urteil 1: Der freie Suizid darf begleitet werden
Da es dem BGH um eine Stärkung der Patientenautonomie geht, muss der grundlegende Wille des Patienten in diesem Fall unmissverständlich für den Arzt zum Ausdruck gebracht worden sein. Im geschilderten Fall wäre dies gegeben.
Wichtig: Gerade bei unklarer Sachlage ist die Einleitung von lebenserhaltenden/-rettenden Maßnahmen hingegen in jedem Fall angezeigt, um sich nicht strafbar zu machen.
Die Entscheidung des BGH ist so zu verstehen, dass in der Praxis für Ärzte weiterhin keine generelle Sicherheit besteht, straffrei – eine jedenfalls nicht geschäftsmäßige – Suizidbegleitung leisten zu dürfen. Und “Suizidbegleitung” setzt schon begrifflich voraus, dass der Arzt um den tatsächlichen Willen des Patienten weiß. Sprich: Wird Arzt A. vom Suizidversuch seines Patienten überrascht und hat er keine Kenntnisse über die näheren Umstände und Beweggründe, so besteht keine Alternative zum Ergreifen lebenserhaltender bzw. -rettender Maßnahmen.
Urteil 2: Geschäftsmäßige Sterbehilfe ist kein Tabu
Das Bundesverfassungsgericht befasste sich in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 hingegen mit der geschäftsmäßigen Suizidbegleitung (“Der Hausarzt” 6/20). Unter welchen Voraussetzungen eine solche Suizidbegleitung möglich ist, kann pauschal nicht beantwortet werden – hier kommt es wie so oft auf den konkreten Einzelfall an.
Es ist richtig, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gemäß Paragraf 217 StGB verfassungswidrig und somit nichtig ist. Hervorzuheben ist hierbei, dass das Verbot das Merkmal “geschäftsmäßig” vorsah, also die wiederholte Hilfe zur Selbsttötung. Es ging weniger um die Verhinderung des Todes, sondern vielmehr um dessen (wiederholte) Ermöglichung. Hierbei ist ein wesentlicher Aspekt, dass der Staat durch das Verbot der Sterbehilfe und damit durch die staatliche Verhinderung des selbstbestimmten Todes in die Grundrechte des Sterbewilligen eingreift. Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt, dass dieser durch Paragraf 217 StGB erfolgte Eingriff in die Grundrechte verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Für das Verständnis ist hierbei wichtig, dass Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat sind, das bedeutet ein “Schutz” des Bürgers vor dem Staat. Es ist allerdings nicht so, dass die Grundrechte auch Schutzrechte unter Privaten, unter den einzelnen Bürgern sind.
Wichtig: Das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, dass die Musterberufsordnung für Ärzte sowie die Berufsordnungen für Ärzte der Landesärztekammern vor dem Hintergrund dieses Urteils anzupassen sein werden, da diese (teilweise) ein absolutes Verbot der Sterbehilfe vorsehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass es die Berufsordnungen aus Gründen der Verfahrensordnung nicht prüfen kann, weshalb es lediglich bei dem Hinweis auf die Änderungsbedürftigkeit der Berufsordnung blieb. Wann und in welcher Form diese Anpassungen jedoch vollzogen werden, bleibt abzuwarten und kann nicht sicher vorausgesagt werden.