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PräventionDie Osteoporose älterer Menschen – Fallstricke und Chancen

Ein langes Leben stellt den Knochen vor besondere Herausforderungen. Jedoch ist die Plastizität von Muskel und Knochen eine große Chance – bis ins höchste Alter.

Der Knochen lebt – das erleben wir bei jeder Frakturheilung. Im ständigen Auf- und Abbau wird er nach Maßgabe der habituellen Krafteinleitung alle zehn Jahre komplett runderneuert – eine evolutionäre Meisterleistung, der andere Bindegewebe wie Haut, Herzklappen und Arterien nicht folgen. Die Immobilisierung unter einem Gips zeigt allerdings schon nach wenigen Tagen den Rückgang von Muskelmasse, gefolgt vom Abbau von Knochenmasse und -festigkeit.

Klinische Manifestation der Osteoporose sind die Frakturen, allen voran die sturzbedingten. Wegen der fatalen Kombination von reduzierter Knochenfestigkeit und nachlassender Muskelleistung werden diese im zunehmendem Alter immer häufiger: Das Lebenszeit-risiko von osteoporotischen Frakturen liegt bei Frauen um 50 und bei Männern um 20 Prozent. Dies ist aber kein zwangsläufiger Prozess, sondern eine Entwicklung, die das Individuum relevant modifizieren kann.

Die Osteoporose ist eine fachübergreifende Aufgabe, und damit ist auch die hausärztliche Rolle definiert: ein Lotse mit dem Ziel, im Dialog mit den Patienten einen individuell angepassten Kurs zu finden. Eine hilfreiche Quelle für Entscheidungen zu Diagnose und Behandlung bieten die Leitlinien der deutschsprachigen osteologischen Gesellschaften (www.hausarzt.link/UVfN7).

Tipps für die Diagnostik

Eine angemessene Osteoporosediagnostik beinhaltet ein Assessment der individuellen Sturzrisikofaktoren. Berücksichtigen sollten Ärzte auch Sarkopenie und Frailty-Syndrom-Sarkopenie als altersassoziierter Verlust von Muskelkraft und Muskelleistung führen diese unvermeidlich zum beschleunigten Knochenabbau und verzögertem -aufbau sowie zu einer erhöhten Sturzgefahr. Zur quantifizierten Risikostratifizierung können Hausärzte den international evaluierten Fragebogen SARC-F (s. Tab.1) und die Frailty-Kriterien nach Linda Fried (s. Tab. 2) einsetzen. Das international propagierte FRAX-Instrument zur Osteoporose enthält keine Daten zum Sturzrisiko oder zu neuromuskulären Leistungen.

Wirbelkörperfrakturen weisen bekanntlich auf eine akut erhöhte Rezidivgefahr hin. In großangelegten Studien werden bei bis zu zwei Drittel der Patienten klinisch stumme Wirbelkörperfrakturen entdeckt. Die Antwort auf diese Gefahr ist klar: Bei Rückenschmerzen, die durch Dauer, umschriebene Lokalisation und Grad der Schmerzen auffallen, sollten Ärzte durch sofortiges Nativröntgen oder CT nach einer Wirbelkörperfraktur fahnden.

Zu bedenken: Nicht nur bei Frauen sollte nach einer Osteoporose gesucht werden, Männer folgen mit 10-jähriger Verzögerung nach.

Multiple Therapieansätze

Die Wirksamkeit allgemeiner und medikamentöser Maßnahmen ist gerade auch im Alter gegeben. Die Tatsache, dass die gekrümmte Haltung seit Aristoteles als Signum des alten Menschen gilt, sollte nicht dazu führen, Osteoporose als schicksalsgegeben hinzunehmen. Auch im hohen und höchsten Alter kann ein Wirbelkörperbruch, eine Humerus- oder Femurfraktur viele Lebensjahre “verderben”. Besondere Brisanz gewinnt die Osteoporose der Älteren durch die komplexen Interaktionen von Knochenfestigkeit, Muskelleistung, Haltungskontrolle und Sturzgefahr: “Osteoporotische Frakturen” sind meist auch sturzbedingte. Damit ergeben sich neben besonderen Gefahren auch multiple Therapieansätze.


Anregungen für die Praxis

  • Screening auf Osteoporose, Frailty und Sarkopenie
  • Früherkennung von Wirbelkörperfrakturen
  • Früherkennung von Sturzgefahr
  • Detaillierte Anleitung zu Muskelaufbau und Balancetraining
  • Indikation von Osteoporose-Orthesen überprüfen
  • Hinweis auf Selbsthilfegruppen

Die Krankheit dauert länger als die evidenz-belegte Wirkdauer der verfügbaren Medikamente: So wirkungsvoll die medikamentöse Behandlung mit einer 50-prozentigen Senkung der Frakturrate in den ersten Jahren ist, so kritisch ist die Entscheidungslage nach fünf- bis achtjähriger Behandlung mit Antiresorptiva (zum Beispiel Bisphosphonaten und Denosumab). Ein großes Handicap der medikamentösen Behandlung ist außerdem die sehr begrenzte Adhärenz. Nach einem Jahr liegt diese bei oralen Bisphosphonaten nur noch bei 23 bis 42 Prozent (IOF-Daten), bei der sechsmonatigen subkutanen Injektion von Denosumab allerdings deutlich höher. Zudem besteht bei Denosumab ein ungelöstes Problem im rasanten Rückgang der Knochenmasse nach Absetzen. Zur Sequenzbehandlung nach den ersten fünf bis acht Jahren gibt es bedrückende Datenlücken.

Nichtmedikamentöse Maßnahmen

Um die präventiven und therapeutischen Chancen jenseits der Medikation wirksam zu ergreifen, ist eine Symphonie von Maßnahmen nötig.

Das physiologische Prinzip der Knochenerneuerung ist eine rationale Grundlage, um osteoanabole Bewegungsprogramme zu verordnen: Wenn muskuläre Krafteinleitungen Knochen um mehr als 0,15 Prozent ihrer Ausgangslänge komprimieren, beginnt die osteoanabole Wirkung. Um diese physiologische Deformierung zu generieren, braucht es ungefähr 2 bis 3 g Beschleunigung, in eine Trainingsanleitung übersetzt: Hüpfen auf einem Bein ohne Aufsetzen der Ferse, oder wenigstens härteres reziprokes Trippeln auf den Vorfüßen. Neben diesen osteoanabolen Krafteinleitungen sollten die neuromuskulären Sturzrisikofaktoren angezielt werden, besonders die Haltungskontrolle.

Ein Beispiel: das Fünf-Esslinger-Übungsprogramm (www.hausarzt.link/9dCnG). Schwimmen, Radfahren oder Nordic Walking sind zwar im kardiovaskulären Rahmen unerlässlich, jedoch nicht osteoanabol. Der triviale Rat, sich mehr zu bewegen, reicht für Osteoporosepatienten somit nicht.

Zu den hausärztlichen Aufgaben zählen neben der frühen Weiterleitung zur radiologischen Diagnostik die Identifikation von sekundären Osteoporoseformen, etwa durch orthopädische, rheumatologische oder endokrinologische Mitbehandlung. Hier bieten die Leitlinien präzise Risikolisten. Hausärzte sollten Kalzium- und Vitamin-D-Substitution prüfen und eine allgemeine Ernährungsberatung organisieren. Als weitere, durchaus gut untersuchte Maßnahme ist an die Verordnung von Osteoporose-Orthesen der Wirbelsäule zu denken. Diese Orthesen können – wohl über die Anregung von propriozeptiven Reizen und vermehrten (!) Mikrobewegungen – zur Verbesserung der ossären und myofaszialen Strukturen führen, außerdem zu einer besseren Haltung, Beweglichkeit und Schmerzlinderung.

Auffälliger Schmerz im Bereich der Wirbelsäule ist im Akutfall eine “red flag” zur Frakturdiagnostik und im chronischen Fall ein “Muskelfresser”. Hier sollte die therapeutische Aufmerksamkeit neben der Medikation auf myofaszialen Physiotherapien liegen, im Bereich von Eigenübungen auf Dehnungen der paravertebralen Muskulatur zur Lockerung der Muskel- und Faszienschläuche. Faszientherapie ist kein vorübergehender Hype, sondern eine spät erkannte Notwendigkeit.

Ergänzende Literatur zur vertiefenden Auseinandersetzung kann beim Autor angefordert werden.

 

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