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Ein EssayGeduld, die höchste Tugend

Das "Warten" ist ein Begriff mit martialischen Wurzeln. Theologe und Fachjournalist Christian Beneker erkundet sozialpsychologische Aspekte des Wartens.

Warten auf den Fang.

“Ich will ja nicht drängeln”, sagt die Redakteurin am anderen Ende der Leitung, “aber wann darf ich denn mit dem Text zum ,Warten‘ rechnen?” Gedanken habe ich mir dazu bereits gemacht: Das Warten im Wartezimmer, das bange Warten auf das Aufklärungsgespräch. Das Warten auf Besserung oder auf die Op. All das kennen Ärzte von ihren Patienten gut, nur zu gut. Doch der Bildschirm vor mir leuchtet noch in reinem Weiß. Ich stelle mir vor, wie die Kolleginnen in der Redaktion von “Der Hausarzt” warten, wie sie verstohlen auf den Posteingang ihres Mail-Programms schielen. Wie die Nervosität steigt.

Der etymologische Befund zum Begriff ergibt, dass “warten” etwa so viel bedeutet wie “Ausschau halten”. Wie ein Jäger also, der auf seiner “Warte” auf das Wild lauert, mit seinem Feldstecher den Waldrand abscannt. Das erklärt die innere Unruhe, die mit dem Warten verbunden ist. Man könnte sagen, der Jäger eilt sich selbst voraus. Er ist gar nicht da, wo er ist, sondern erlegt im Geiste schon das Wild, obwohl es noch gar nicht zu sehen ist. Der Preis, den er zahlt, ist das nervöse Warten. Auch Ärzte kennen diese Nervosität. Manche sind ja durchaus ungeduldig. Eine Konsultation über zehn Minuten hinaus zerrt dann schnell am Nervenkostüm, manch ein Mediziner tut sich gar schwer, die 30 Sekunden abzuwarten, bis ein Patient seine Beschwerden geschildert hat. Nach durchschnittlich sechs Sekunden – oder waren es acht? – unterbricht er ihn. Es geht ihm dann, wie dem Jäger, er ist sich selbst voraus, nicht ganz bei sich. Und er mag es nicht abwarten. Wie gut, dass die Patienten (zumindest) per definitionem Geduldige sind.

Den Wartenden beherrscht mitunter ein überbordender Anspruch. Er lebt mit festen Vorstellungen dessen, was sich in der Zukunft erfüllen soll. Und er ist heimlich beleidigt, wenn dies nicht zum erwarteten Zeitpunkt geschieht. Als hätte er ein Recht darauf, als hätte ihm jemand an der Wiege gesungen: “Kind, niemals wirst du warten müssen.” Warum sollte man denn bloß nie warten müssen? Wir zum Beispiel haben fünf Enkel – sie verfügen über feste Vorstellungen, das kann man sagen. Jedenfalls was den Nachtisch angeht oder die neue Puppe. Beides muss sofort her! Kurz: Nicht länger warten zu wollen, ist offenbar der Teil unserer Seele, die noch nicht erwachsen genug ist, um sich zu gedulden. So erwarten wir von unseren Kindern die Langmut, die wir selbst nicht aufbringen: “Schlaf jetzt ein!”

Mehr noch. Es fehlt nicht nur an der Geduld der Erwachsenen. Sondern auch an ihrer Einsicht in das Wesen der Wünsche. Denn wie die Kinder, warten die Wartenden auf nichts anderes als auf die Erfüllung ihrer Wünsche, beziehungsweise auf das Ende ihrer Befürchtungen. Dass die Wildsau am Waldrand auftaucht, dass der Pudding auf dem Tisch steht, dass das Röntgenbild keine Auffälligkeiten zeigt, dass der Patient endlich zu Potte kommt.

Nur leider: Wenn sich die Wünsche endlich erfüllt haben, hat sich die ganze Warterei noch nicht einmal gelohnt. Denn anstelle von Zufriedenheit tauchen früher oder später die nächsten Wünsche auf.

Also wäre die Misere mit etwas mehr Geduld, Anstand und Kinderstube ganz leicht zu ertragen? Vielleicht.

Doch Unterscheiden heißt Erkennen, das gilt auch hier: Das Warten, das wir bis hierher betrachtet haben, ist ein kindliches Er-warten, dass die heimlichen oder unheimlichen Wünsche in Erfüllung gehen.

Doch hat das Warten auch eine helle Seite. Sie soll hier rehabilitiert werden. Denn ohne Wünsche hätte man es weder mit der Er-warterei zu tun, noch mit der zehrenden Ungeduld. Warum also nicht gleich die Wünsche aufgeben? Da wäre mancher Arzt offener für seine Patienten und mancher Patient bräuchte keiner mehr zu sein, weil er nicht nur die Ungeduld hinter sich gelassen hätte, sondern mit den Wünschen auch die Geduld.

Übrig bliebe ein entspanntes Warten (nicht Erwarten) – ohne allzu viele Erwartungen und stattdessen mit Offenheit für die Situation, wie sie gerade ist. Solches Warten entspannt. Schließlich braucht man die Sau nicht mehr im Geiste zu erlegen, sondern könnte warten, bis sie auf die Lichtung tritt – oder eben nicht. Oder man ließe seine Patienten ausreden. Was dann? Der Volksmund sagt es treffend: “Es kommt immer anders als gedacht.”

Das gilt natürlich nicht für meine Redakteurin. In diesem Moment hat sie den Text.

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