Was nutzt es, wenn der systolische Blutdruck um 10 mmHg sinkt? Zum Beispiel geht das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 20 Prozent und für Mortalität um 13 Prozent zurück [1, 2]. Daher hat die Europäische Kardiologengesellschaft für Hypertoniker den Zielwert um 10 mmHg gesenkt: 130/80 mmHg gilt jetzt für (fast) alle – auch Senioren [2, 3]. Laut SPRINT-Studie – die seit 2015 in Reviews einfließt – profitieren gerade die über 75-Jährigen von den niedrigen Werten.
Während Kardiologen weltweit schnell umschwenkten, halten andere wie die Amerikanische Fachgesellschaft der Familienmediziner am “alten” Ziel < 150/140 mmHg fest [2, 3, 4, 5]. Aus gutem Grund: Strittig ist, ob SPRINT ein niedrigeres Ziel wirklich rechtfertigt [4, 6-9]. Denn die Werte fußen auf der automatischen Praxis-Blutdruckmessung und fallen somit geringer aus. Übliche Praxismessungen hätten eher Werte von 130-140 mmHg erzielt – was den bisherigen Standard bestätigen würde [7, 10].
Auch sind die Ergebnisse schwer in der Praxis umzusetzen. So schloss SPRINT etwa Patienten mit Diabetes, symptomatischer Herzinsuffizienz oder Demenz aus. Die Langzeitfolgen für die Nieren bleiben ungeklärt. [9] Und die Patienten bezahlen für weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle mit mehr schweren Nebenwirkungen wie Hypotonien oder Synkopen [4, 7, 9, 10].
Hinzu kommt: “Eine Absenkung um 10 mmHg bedeutet meist die Einnahme eines zusätzlichen Medikaments”, schreiben Kardiologen [2]. Von den Nebenwirkungen abgesehen, fördert dies sicher nicht die Therapietreue. Vielmehr gewinnt das “Absetzen” bei älteren Patienten an Priorität. Schon heute erreicht jeder Zweite nicht 140/90 mmHg [8], bei vielen Senioren fällt die Einstellung schwer. Wie relevant sind da noch 10 mmHg?
Johanna Dielmann-von Berg Stellv. Chefredakteurin “Der Hausarzt”
Literatur
- Ettehad D et al. Blood pressure lowering for prevention of cardiovascular disease and death: a systematic review and meta-analysis. Lancet (2016) 387:957-967. DOI: 10.1016/S0140-6736(15)01225-8
- Mahfoud F et al. Kommentar zu den Leitlinien (2018) der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und der Europäischen Gesellschaft für Hypertonie (ESH) für das Management der arteriellen Hypertonie. Kardiologe 2019; 13:17-23. DOI: 10.1007/s12181-019-0300-y
- 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension. European Heart Journal (2018) 39, 3021-3104. DOI: 10.1093/eurheartj/ehy339
- Qaseem A et al. Pharmacologic Treatment of Hypertension in Adults Aged 60 Years or Older to Higher Versus Lower Blood Pressure Targets: A Clinical Practice Guideline From the American College of Physicians and the American Academy of Family Physicians. Ann Intern Med. 2017;166(6):430-437. DOI: 10.7326/M16-1785
- DEGAM-LL
- Neue Europäische Hypertonie-Leitlinie: Klassifikation, Behandlungsbeginn, Zielwerte. a-t 2018; 49:82-3
- Weiss J et al. Benefits and Harms of Intensive Blood Pressure Treatment in Adults Aged 60 Years or Older: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann Intern Med. 2017 Mar 21;166(6):419-429. DOI: 10.7326/M16-1754
- SPRINT-Studie zur intensivierten Blutdruckeinstellung… weiterhin wichtige Fragen offen, erste Leitlinien angepasst. A-t 2017; 48:111-3
- Intensivierte Blutdruckeinstellung gemäß SPRINT-Studie… wie und bei wem umsetzen? a-t 2015; 46: 122-4
- Hypertoniebehandlung bei Gebrechlichkeit im hohen Alter. a-t 2016; 47: 70-2.