Berlin. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch (17. Juli) das Gesetz für eine Masern-Impfpflicht auf den Weg gebracht. Ab März 2020 müssen demnach alle nach 1970 geborenen Beschäftigten im Medizinbereich ebenso wie Kinder und Angestellte in Kindertagesstätten und Schulen sowie Gemeinschaftseinrichtungen wie Flüchtlingsunterkünften nachweisen, dass sie gegen Masern geimpft sind. Bei Verstößen gegen die Impfpflicht, die für den medizinischen Bereich durch die Gesundheitsämter überwacht wird, drohen Bußgelder bis zu 2.500 Euro.
Nach dem Kabinett muss noch der Bundestag zustimmen, im Bundesrat ist laut Gesundheitsministerium keine Zustimmung nötig. Ergeben sich am Gesetzentwurf keine Änderungen mehr – wovon in Berlin ausgegangen wird -, so bringt das Gesetz auch für Ärzte bedeutende Änderungen mit sich.
Vom Praxis-Chef bis zur MFA: Wer ist von der Impfpflicht betroffen?
Laut Gesetzentwurf alle Beschäftigten in “medizinischen Einrichtungen”. Dies betrifft laut Bundesgesundheitsministerium explizit Kliniken ebenso wie Arztpraxen, Praxisinhaber ebenso wie Medizinische Fachangestellte (MFA). Heilpraktiker mit eigener Praxis gehören laut Minister Jens Spahn (CDU) nicht zu dem Personenkreis, die verpflichtend geimpft sein müssten. Das treffe wiederum nicht zu, wenn die Heilpraktiker im Krankenhaus arbeiten.
Wem gegenüber müssen Ärzte künftig nachweisen, dass sie und ihre Praxismitarbeiterinnen geimpft sind?
Verantwortliche Stelle für die Einhaltung der Impfpflicht ist laut Gesetz jeweils die „Leitung“ der medizinischen Einrichtung. Angestellte Ärzte müssen demnach ihren Arbeitgebern – also der Klinikleitung oder dem Praxischef – gegenüber nachweisen, dass sie geimpft sind. Praxisinhaber selbst müssen diesen Nachweis nicht aktiv erbringen, sagen Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und Ministerium auf Nachfrage von „Der Hausarzt“. Aber: Die Gesundheitsämter als „Kontrolleure“ der Masern-Impfpflicht können den Nachweis jederzeit von ihnen verlangen. Sie sind für Einhaltung des Infektionsschutzgesetzes zuständig (Paragraf 20 Abs. 12) und können jederzeit kontrollieren, ob die Impfpflicht in medizinischen Einhaltungen eingehalten wird. Dies findet in der Regel stichprobenartig statt.
Laut Gesetzentwurf entstehen den medizinischen Einrichtungen durch die Anforderung und Prüfung der Nachweise sowie durch die Benachrichtigungen des Gesundheitsamts über säumige Personen Kosten von rund 2,4 Millionen Euro in den Jahren 2020 und 2021 und in den Folgejahren von 240.000 Euro pro Jahr.
In welcher Form erfolgt der Nachweis?
Über den Impfausweis, das gelbe Kinderuntersuchungsheft oder ein ärztliches Attest sowie bei Unsicherheit über den eigenen Impfstatus über eine Titer-Bestimmung. Im Zweifel sollten sich auch Erwachsene lieber noch einmal impfen lassen, rät die Ständige Impfkommission (STIKO). Kinder und Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes im kommenden März schon in einer Kita, Schule oder Gemeinschaftseinrichtung sind, müssen den Impfnachweis bis spätestens 31. Juli 2021 nachreichen.
Welche Ausnahmen gibt es?
Grundsätzlich sind vor 1970 Geborene von der Impfpflicht befreit, da sie größtenteils immun sein dürften, weil sie die Masern höchstwahrscheinlich durchgemacht haben. Aber: Das für Infektionskrankheiten zuständige Robert Koch-Institut (RKI) sieht gerade bei nach 1970 geborenen Erwachsenen große Impflücken. Wer mit einem ärztlichen Attest nachweist, dass eine Impfung aus gesundheitlichen Gründen kontraindiziert ist, ist darüber hinaus unabhängig vom Jahrgang von der Impfpflicht befreit.
Wie sollten Praxisinhaber verfahren, wenn sich Mitarbeiter der Impfung verweigern?
Bei einer Neueinstellung gilt laut einer Sprecherin des Gesundheitsministeriums ein Beschäftigungsverbot, sofern kein Impfnachweis vorliegt: „Der Praxisinhaber darf in diesem Fall gar nicht mehr einstellen.“ Anders sieht es bei bereits eingestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus: Da sie gegenüber ihrem Arbeitgeber eine Nachweispflicht haben, müsste der Praxisinhaber in diesem Fall an das Gesundheitsamt melden – andernfalls drohen nicht nur der Person, die sich der Impfung verweigert, sondern auch dem Arbeitgeber Sanktionen.
Welche Strafen drohen Praxisinhabern, wenn Impfnachweise fehlen?
Einrichtungen, in denen die Impfpflicht gilt, müssen Impfsäumige an das Gesundheitsamt melden. Das entscheidet dann über das weitere Vorgehen und kann im Extremfall Bußgelder bis 2500 Euro verhängen. Der Höchstsatz von 2500 Euro wird nach Spahns Angaben aber erst verhängt, wenn sich Betroffene beharrlich trotz wiederholter Aufforderung durch das Gesundheitsamt einer Impfung verweigern.
Cave: Laut Ministerium richten sich die Strafen explizit gegen beide Seiten – also im Beispiel sowohl gegen den Praxisinhaber, der Teammitglieder trotz fehlendem Nachweis nicht meldet, als auch gegen den Impfverweigerer selbst.
Müssen Hausärzte aufgrund der geplanten Impfpflicht mit mehr Patienten rechnen?
Das Bundesgesundheitsministerium geht explizit nicht davon aus, dass es in Hausarztpraxen zu einem Mehr an Patienten kommen könnte. Denn: Laut Gesetzentwurf sollen künftig alle Facharztgruppen außer Zahnärzten impfen dürfen. So könnten sich beispielsweise Eltern vom Pädiater impfen lassen, wenn sie mit ihren Kindern zur Impfung sind, was einen “niedrigschwelligen” Zugang bedeute, so die Ministeriumssprecherin.
Hausarzt Dr. Uwe Popert jedoch sieht durchaus steigende Patientenzahlen. “Im Gesundheitswesen und in den Schulen arbeiten etwa 6,5 Millionen Menschen. Diese müssen in fünf Monaten (März bis Juli 2020) alle kontrolliert werden und im Zweifelsfall Bescheinigungen erhalten”, erklärt er. “Wegen fehlender Impfungen oder fehlender Impfausweise sind davon (bei geschätzt 30% der Erwachsenen unter 50 Jahren) für mindestens 1,3 Millionen Erwachsenen und 1,2 Millionen Kindern/Jugendlichen serologische Tests bzw. Nachimpfungen erforderlich. Zusätzlich zu den etwa 1,8 Millionen MMR-Impfungen, die normalerweise pro Jahr – meist bei Kindern – erfolgen.”
Das Bundesgesundheitsministerium beziffert die im ersten Jahr erwartbaren zusätzlichen Impfungen wie folgt:
- 79.000 Impfungen bei Aufnahme in die Kindertageseinrichtung
- 361.000 Impfungen bei Kindern in Kitas
- 38.200 Impfungen bei Kindern in Tagespflege
- 71.000 Impfungen bei der Einschulung
- 800.000 Impfungen bei Schulkindern
- 166.000 Impfungen bei Personal in Gemeinschaftseinrichtungen
- 60.000 Impfungen bei Personal in medizinischen Einrichtungen
Und wie sieht es bei Impfstoffen aus?
Dass es nach der WHO-Empfehlung nur Dreifach- und Vierfachimpfstoffe gebe, stehe der Pflicht zur Masernimpfung nicht entgegen, betonte Spahn am Mittwoch. Die Frage nach ausreichendem Impfstoff gebe es derzeit auch bei Grippe und Herpes Zoster, wo Engpässe vorhanden wären, erinnerte er. Die pharmazeutischen Unternehmen würden ihre Kapazitäten nun erhöhen. Wer sich nicht impfen lassen könne, weil der Impfstoffe nicht vorhanden wäre, der wäre vom Bußgeld verschont.
Könnten in Zukunft auch weitere Impfpflichten folgen?
Angestrebt wird laut Minister Spahn, dass es künftig wieder vermehrt Reihenimpfungen in den Schulen gibt gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten. Die Krankenkassen werden verpflichtet, mit den Gesundheitsämtern Vereinbarungen zu treffen zur Finanzierung dieser Impfungen. Die Schulimpfungen sollen aber auf jeden Fall freiwillig sein. Wichtig sei für Spahn, dass die Kassen mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst kooperieren, um „in den Landkreisen und Städten“ wieder Reihenimpfungen möglich zu machen, Kassen hätten eine organisatorische und finanzielle Mitverantwortung. Die Kassen müssten jetzt auf die 360 Landkreise zugehen und Verträge regeln zur Kooperation; regional spezifisch, dazu seien sie verpflichtet, sagte Spahn.