Berlin. Im Ringen mehr lebensrettende Organspenden in Deutschland zeichnet sich weiterer Streit um neue gesetzliche Regeln ab. In einer kontroversen Debatte warben Abgeordnete am Mittwoch (26. Juni) im Bundestag für zwei gegensätzliche Initiativen. Einig waren sich die Redner in der gut zweistündigen Debatte im Ziel, die Spendenbereitschaft angesichts von fast 10.000 Menschen auf den Wartelisten zu erhöhen. Das sei kein Warten wie in einer Schlange vor der Kasse, sagte die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann. “Sondern Warten in Angst. Denn die Zeit läuft ab.” Dabei würden schon Millionen Organspende-Ausweise verteilt, die aber oft unausgefüllt blieben.
Eingebracht wurden ins Parlament zwei fraktionsübergreifende Initiativen. Im Weiteren sollen diese im Gesundheitsausschuss weiter beraten werden. Dafür ist eine Expertenanhörung für den 25. September angesetzt.
Den Abgeordneten liegen zwei gegensätzliche Vorschläge vor, die die Regelung zur Organspende – nach bisheriger Rechtslage sind Organentnahmen nur bei ausdrücklich erklärtem Ja erlaubt – reformieren sollen:
- Eine Gruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach schlägt eine “doppelte Widerspruchslösung” vor. Demnach sollen alle Volljährigen grundsätzlich als Spender gelten. Man soll dazu aber noch Nein sagen können, sonst wäre – als doppelte Schranke – noch bei Angehörigen nachzufragen.
- Dagegen stellt sich eine andere Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock und die Linke-Vorsitzende Katja Kipping. Sie schlägt vor, dass alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende angesprochen werden. In einem Online-Register soll man seine Entscheidung für oder gegen eine Spende eintragen und auch ändern können. Außerdem sollen Hausärzte bei Bedarf alle zwei Jahre über Organspenden informieren.
Diskutiert wurde am Mittwoch darüber hinaus ein von der AfD-Fraktion eingebrachter Antrag, der die Widerspruchslösung ablehnt und stattdessen auf eine Erhöhung des Vertrauens in die Strukturen abzielt.
“Sanfter Druck” versus Selbstbestimmungsrecht
SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach sagte in der Debatte, die Widerspruchslösung sei ethisch geboten. Jeder wolle im Zweifel Empfänger eines Organs sein. Dann müsse es zumindest die Pflicht zur Bereitschaft geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und gegebenenfalls zu widersprechen. So würde Spendebereitschaft zum Regelfall, sagte Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD). Und ja, davon gehe ein Druck aus. “Aber es ist ein sanfter Druck.” Sabine Dittmar (SPD) betonte, für sie habe das Grundrecht auf Leben schwerkranker Menschen höheren Stellenwert “als das Grundrecht auf Nichtbefassung mit einer Thematik”.
Mehrere Abgeordnete wandten sich gegen eine so tiefgreifende Umstellung. Baerbock mahnte, in einer so höchstpersönlichen Frage müsse man die Situation jedes einzelnen Menschen im Blick haben. In der Verfassung sei aus guten Gründen die Unversehrtheit des eigenen Körpers verankert. Dietmar Nietan (SPD) sagte: “Ich will nicht, dass Menschen der Einschränkung ihrer Freiheit widersprechen müssen, weil der Staat für sie entschieden hat.” Kathrin Vogler (Linke) sagte: “Kein Nein ist noch lange kein Ja.” Karin Maag von der CDU warnte davor, das Selbstbestimmungsrecht des Menschen auf ein nachträgliches Veto zu reduzieren und so Vertrauen in Organspenden zu beschädigen.
Knapper Vorsprung für Widerspruchslösung
Wie sich nun die Beratungen in den Ausschüssen entwickeln, muss sich zeigen. Abstimmen sollen die Abgeordneten am Ende ohne die sonst üblichen Fraktionsvorgaben. Die Mehrheitsverhältnisse sind aber nur schwer einzuschätzen. Bei einer ersten offenen Debatte im Herbst waren breite Vorbehalte gegen eine Widerspruchslösung deutlich geworden. Nun hatte die Gruppe um Spahn vorab 222 Unterstützer für ihren Gesetzentwurf – darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich nicht an der Debatte beteiligte. Der Entwurf der Baerbock-Gruppe hatte 191 Unterschriften. Insgesamt gibt es aber 709 Abgeordnete.
Hausärzte als Berater weiter stärken
Gemeinsames Ziel beider Initiativen ist es, angesichts von fast 10.000 Patienten auf den Wartelisten zu mehr Organspenden zu kommen. Die Zahl der Spender war nach langem Abwärtstrend 2018 erstmals wieder spürbar gestiegen – auf 955. Zu Beginn dieses Jahres war nach Daten der Deutschen Stiftung Organtransplantation aber wieder ein Rückgang zu verzeichnen. Im ersten Quartal 2019 gab es 224 Spender – nach 261 im selben Zeitraum des Vorjahres.
“Sowohl die Verfechter der Entscheidungs- wie der Widerspruchslösung eint das Ziel, die Zahl der Organspenden zu steigern”, betonte auch Gesundheitsminister Spahn. Im Zuge einer neuen Werbekampagne trat er einen Tag vor der Debatte im Bundestag dafür ein, das Thema auch im Unterricht zu platzieren, um bereits Schüler zu sensibilisieren.
Teil des vorgelegten sogenannten„Gemeinschaftlichen Initiativplans Organspende“ ist auch die weitere Stärkung der Hausärzte in ihrer beratenden Rolle. Die Informationspakete, die über den Deutschen Hausärzteverband vielen Praxen zur Verfügung gestellt wurden, könnten etwa durch ein Online-Fortbildungsmodul ergänzt werden, schlugen die 16 Organisationen unter Federführung der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) vor. Dieses müsste noch entwickelt werden.
Unabhängig von der laufenden Grundsatzdiskussion, wie mehr Spender gewonnen werden können, gelten seit kurzem neue Regeln, um Bedingungen für Organspenden in Kliniken zu verbessern – mit mehr Geld und mehr Freiraum für Transplantationsbeauftragte.
Mit Material von dpa